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Doberan-Heiligendamm_20er_Nationalsozialismus
Geschichte & Architektur

Das Ende des 2. Weltkriegs in Bad Doberan-Heiligendamm

Der 2. Weltkrieg ist zu Ende. Für uns seit nunmehr 75 Jahren, für unsere Eltern und Großeltern war er es am 9. Mai 1945 erst seit wenigen Stunden. Am 8. Mai um 23:01 Uhr endete der Krieg. Die Menschen von damals hätten viel zu erzählen, aber sie erzählten nicht. Die einen aus Scham und Schuldgefühl, die anderen, weil das, was sie zu erzählen hatten, sie in der DDR in Schwierigkeiten gebracht hätte und wieder andere, weil sie vergessen wollten, was da gerade geschehen ist. Darum ist das Kriegsende – nicht nur in Bad Doberan – heute noch eine Indiziensammlung. Was wissen wir und was wissen wir nicht von den Geschehnissen im Mai vor 76 Jahren?

 

Bad Doberan im Nationalsozialismus

Der Parkentiner Weg (Quelle: WIG-Archiv, Urheber unbekannt)

Schauen wir uns zuerst die Ausgangssituation an: Doberan – seit 1921 offiziell „Bad“ – wuchs seit dem Ende der Monarchie um einige Straßenzüge an. Der Parkentiner Weg fällt noch in die Zeit der Weimarer Republik, die Verlängerung des Althöfer Weges hingegen ist schon ein Produkt des 3. Reiches.

Die damals modernen Klinkerbauten rechts und links der heutigen Fritz-Reuter-Straße entstanden unter anderem für Arbeiter in den Heinkel-Flugzeugwerken in Rostock. Direkt am Bahnhof gelegen brauchten die Arbeiter nicht weit laufen, um nach Rostock zu fahren. Ob hier auch andere Leute wohnten, ist nicht belegt, aber die Siedlung hatte wie auch Siedlungen in Rostock den Namen „Heinkel-Siedlung“ weg. Es waren aber nicht die Heinkel-Werke selbst, die dort bauten, sondern der Doberaner Baumeister Hans Carlson. Er kaufte zwei Grundstücke am Althöfer Weg, parzellierte und bebaute sie und verdiente damit Geld. Immobilienspekulationen gab es schon seit 40 Jahren – geändert hatte sich nur der Stil. Carlson war das, was man heute „Immobilieninvestor“ nennt und zugleich auch „Projektentwickler“. 

In Bad Doberan selbst gab es keine große Rüstungsindustrie, aber es ist belegt, dass zwischen Rostock und Wismar die Müller-Werke und das Unternehmen Streusloff Zwangsarbeiter beschäftigten. Anzunehmen ist, dass die Chemischen Werke am Walkmüller Holz auch für die Kriegswirtschaft produzierten und sicher ist, dass die Metallverarbeitung für den Krieg produzierte. In der „Chemischen“ gab es auch Ermittlungen wegen einer Sabotage der Produktion.

 

Der Krieg war weit weg

Ansonsten bekam man in Bad Doberan nicht so viel vom 2. Weltkrieg mit, wie vom ersten, als regelmäßig Frontmeldungen herausgegeben wurden. Die Propaganda war nun auch eine andere, als das Radio. Den Menschen wurde in den Kinos der Stadt am Kamp und am Schützenplatz die Ideologie lange genug nahe gebracht, um im entscheidenden Moment das zu glauben und zu tun, was das Reichspropagandaministerium erwartete. Oder wenigstens nichts dagegen zu tun.

 

Propaganda und Konflikte in Bad Doberan

(Quelle: Archiv Rochow, Urheber unbekannt)

Auf alten Bildern sieht man Hakenkreuzfahnen, aber sie zieren nicht die ganze Stadt, sondern immer bestimmte Geschäfte. Manche hatten demonstrativ keine Beflaggung.

Es gab auch Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Stadt. In der Alexandrinenstraße kam es am 30. Oktober 1931 zwischen 3 und 4 Uhr nachts zu einem Handgemenge zwischen dem Nationalsozialisten Walter Gädecke und den beiden Kommunisten Klöcking und Bohn. Es fielen vier Schüsse, Klöcking und Bohn starben und Gädecke wurde schwer verletzt. Die auf Wunsch der Familien kirchliche Bestattung am 4. November erfolgte unter enormen Andrang von etwa 1.000 Menschen, darunter viele Kommunisten auch aus Rostock. In der DDR wurde die Neue Reihe nach Klöcking benannt. 

Am Totensonntag des selben Jahres wollten der Kriegerverein und der Verein Stahlhelm Flagge zeigen, jedoch wurden öffentliche Umzüge mit Fahnen verboten. Am 29. Februar 1932 brannte „Brandt’s Höh“ (heute Bellevue) nieder und vier Tage später standen die Ställe des Kurhauses (heute Friedrich-Franz-Palais) in Flammen. Politische Motivationen wurden bisher nicht erforscht, die wahren Gründe aber auch nicht.

Als Oberstudiendirektor Dr. Carl Reuter 1933 wegen seiner SPD-Mitgliedschaft versetzt werden sollte, kam es trotz Demonstrationsverbotes und SA-Präsenz zu einer Protestveranstaltung der Schüler. Helmut Gaedt (NSDAP) wurde ungeachtet dessen neuer Schuldirektor. In der Poststraße (heute Severinstraße) kaufte der Lichtspielbesitzer Johannes Lange die Büdnerei 58 (Severinstraße 4) und auf dem Friedhof in der Waldstraße entstand eine Kapelle mit Feierhalle.

Bad Doberan bekam ein Forschungsinstitut für Geistesurgeschichte. Das war keine Wissenschaft, sondern eine Pseudowissenschaft, mit der die Rassenideologie untermauert werden sollte. Auch der Dichtertag in Bad Doberan war in erster Linie eine politische Veranstaltung, denn die Teilnahme daran war nicht jedermann möglich.

All das geschah noch vor der Machtergreifung Hitlers – also vor der Notverordnung. Erst am 8. März 1933 konnte er das Ermächtigungsgesetz durchbringen und am 24. März trat es in Kraft. Sogleich kam es zum Verbot von Gewerkschaften, Bücherverbrennungen, dem Verbot der SPD und KPD und der Selbstauflösung der anderen Oppositionsparteien, Verhaftungen und der Schließung von jüdischen Geschäften. Gesetze zum Verbot der Neubildung von Parteien und der Verhütung erbkranken Nachwuchses wurden erlassen.

Am 12. November 1933 trat Deutschland aus dem Völkerbund aus, am 1. Dezember wurde die NSDAP per Gesetz zur Regierungspartei und der Stellvertreter des Führers und der SA-Chef Mitglieder der Regierung und am 1. Januar 1934 wurde festgelegt, dass alle Bürgermeister und Gemeindeleiter ohne Wahl für 12 Jahre berufen werden und alle Entscheidungen ohne Gemeinderat nach dem Führerprinzip fällen dürfen. Damit war die Diktatur auch ganz unten angekommen.

Was dann folgte, ist deutsche Geschichte: Säuberungen, Verhaftungen, Internierungen, Konzentrationslager, Massenmord. Hitler wurde Führer und Reichskanzler und das Amt des Reichspräsidenten auch auf ihn vereinigt und 1935 verschwand mit der Gemeindeordnung auch das letzte bisschen Föderalismus zu Gunsten der Länder, also der Gauleiter.

 

Säuberungen in Bad Doberan

Auch die Bad Doberaner Parfumfabrik Haliflor Company GmbH fiel 1937 den Nationalsozialisten zum Opfer. 

(Quelle: eBay-Inserat)

Der Chef Leo Glaser – von 1924 bis 1928 auch Präsident der IHK zu Rostock – wurde verhaftet und die Kosmetikfabrik arisiert. Da Glaser aber in zweiter Ehe mit einer Nichtjüdin verheiratet war, entging er der Deportation und kam wieder frei.

 

Der Anfang vom Ende

Österreich wurde an das Deutsche Reich angegliedert und die Schüler des Gymnasiums mussten sich die stundenlange Radioansprache Hitlers zur Angliederung anhören.

Bernhard, Juliana und Beatrix von Oranien-Nassau vor Villa „Krone“ in Heiligendamm (Mit freundlicher Genehmigung der Königl. Niederl. Bibliothek)

Kronprinzessin Juliana von Oranien-Nassau und Prinz Bernhard besuchten im Juli 1938 die deutsche Verwandtschaft am Heiligen Damm. Mit dabei hatten sie ihre im Januar geborene Tochter Beatrix. Es war der letzte Besuch des niederländischen Königshauses vor dem Krieg. Wenig später marschierten deutsche Soldaten in die Niederlande ein.

Am 23. Juli1939 fand das 132. Kamp-Fest mit Kamp-Illumination statt. Es war das letzte Fest vor dem Krieg. Für das KdF-Bad war der Sommer 1939 der letzte Durchlauf. Am 1. September begann mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Das letzte Pferderennen fand statt, bevor die Rennbahn als Ausgleichsfläche für Notlandungen von Flugzeugen deklariert wurde.

Der Lindenhof (heute Rathaus) wurde zum Lazarett erklärt, auch die Marienschule (einstige Lessingschule in der Lessingstraße) wurde zum Lazarett und das KdF-Bad Heiligendamm wurde im August beschlagnahmt und zum Reserve-Lazarett erklärt.

Die drei Lkw des Fuhrbetriebs Hameister wurden zum Kriegsdienst beordert. Noch eine Neuerung gab es: Der Kreis um Rostock wurde zur besseren Unterscheidung von der Hansestadt in „Landkreis Rostock“ umbenannt. Den Namen trägt er seit 2011 wieder.

 

Heiligendamm und der jüdische Baron

Urlaub der Nazi-Größen in Heiligendamm (Quelle: Bundesarchiv)

Eine ganz eigene Geschichte ist die von Heiligendamm im Nationalsozialismus. Nach der Pleite durch die Inflation und den 1. Weltkrieg kaufte Baron Oskar Adolf von Rosenberg das Bankhaus Louis Wolff, dem die Aktien am Ostseebad Heiligendamm gehörten. Über drei Gesellschaften stieg er in das Ostseebad ein. Das war nötig, um als Jude im Hintergrund zu bleiben. Das gelang Rosenberg lange und als die nationalsozialistischen Machthaber es entdeckten, stellten sich die deutschen Partner Rosenbergs vor ihn und mahnten die Regierung, dass sie auf das Geld des jüdischen Barons angewiesen sind, da die Gesellschaft sonst ruiniert würde.

Das half erst einmal, aber Rosenberg musste hinnehmen, dass das einstige Adelsbad zum KdF-Bad wurde. Trotzdem zahlte er weiterhin die Schulden der Gesellschaft bei der Dresdner Bank. Als die Nationalsozialisten dann sein Bad als Reservelazarett beschlagnahmten, konnte er nichts mehr für das Bad tun und sein Geld nicht mehr abziehen.

Er wurde tot in seiner Villa in Kaumberg aufgefunden, es wurde Suizid bescheinigt und nur drei Tage später wurde sein Vermögen verteilt. Die Reichsmarine kaufte das Bad für gerade so viel Geld, wie die Dresdner Bank zur Ablösung der Kredite brauchte. Heute zweifelt man am Suizid. 2007 flammte diese Geschichte noch einmal auf, als die Jewish Claim Conference Ansprüche aus dem Erbe Rosenbergs prüfen wollte. Sie sind durch die Verträge nach dem 2. Weltkrieg, spätestens aber durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung ausgelöst worden.

Hitler und Goebbels in Heiligendamm (Quelle: Bundesarchiv)

Hitler und Goebbels waren in Heiligendamm, der italienische Duce Benito Mussolini war 1937 zu Gast am Rande eines Manövers auf der Halbinsel Wustrow und auch der Rüstungspionier Ernst Heinkel und der Gauleiter Friedrich Hildebrandt gingen ein und aus.

Beide hatten Sommerhäuser in Heiligendamm: Heinkel die Villa „Sporn“, die er in „Eikboom“ umbenannte und Hildebrandt die Villa „Adler“, deren Name weiter passte. Der Kameradschaftsbund deutscher Polizeibeamter bekam das Haus „Bischofsstab“. Hier passte der Name wieder nicht: Es wurde in Haus „Doberan“ umbenannt.

Modell der Adolf-Hitler-Schule Heiligendamm (Quelle: Archiv Rochow / Niederdeutscher Beobachter)

Am 15. Januar 1938 hatte der Gauleiter den Grundstein für die Eliteschule in Heiligendamm gelegt. Sie sollte westlich des Bades hinter dem kleinen Wald entstehen. Die Baugruben waren zwar ausgehoben, aber gebaut wurde nicht mehr, weil die Männer für den Krieg gebraucht wurden. Kurzerhand machte man das inzwischen zum KdF-Bad umfunktionierte Grand Hotel zur Reichskadettenschule, was aber etwas ganz anderes war, als die geplante Adolf-Hitler-Schule.

 

Wie die Stadt den Führer ehrte

(Quelle: Bundesarchiv)

Man kann nicht behaupten, dass die Doberaner alle besonders faschistisch waren. Der Reichsstatthalter Friedrich Hildebrandt war der Hauptinitiator der Ehrungen. Er hätte als Gauleiter des Gau Mecklenburg-Lübeck überall im Gau wohnen können, aber ihn zog es immer wieder nach Bad Doberan und mit diesem Ort war er verbunden. Er vereinigte am 1. April 1936 Althof und Heiligendamm wieder mit der Stadt und er lud Hitler an die Ostsee ein. Der war eigentlich gar kein Freund von Seebädern und der Ostsee, sondern lieber im Gebirge unterwegs, aber er kam und das sollte gebührend begangen werden.

Die Dammchausee wurde zur Adolf-Hitler-Straße, auf dem Kamp und in Heiligendamm wurden je eine Adolf-Hitler-Eiche gepflanzt und als eine der ersten deutschen Städte verlieh Bad Doberan dem Reichskanzler die Ehrenbürgerschaft.

Hätte es die NAPOLA gegeben, hätte auch sie Adolf-Hitler-Schule geheißen. Doch auch der Reichsstatthalter bekam seine Ehrung: Die Beethovenstraße wurde zur Friedrich-Hildebrandt-Straße.

 

Wie der Krieg ins Bewusstsein rückte

Bombentrichter im Wald von Heiligendamm

Natürlich gab es Mütter, die ihre Söhne und Männer im Krieg verloren und denen die schlimme Botschaft überbracht wurde. Wie schon im 1. Weltkrieg wurden sie mit Ehre überhäuft, um ihnen das Gefühl zu geben, dass der Verlust nicht sinnlos war.

Das zu behaupten hätte sich ohnehin niemand getraut. Es gab aber auch Berichte von zurückgekehrten Soldaten von der Front, sodass die Bevölkerung durchaus wusste, wie schlimm der Krieg und zuletzt auch die Lage der Deutschen war.

7 Lehrer und 165 Schüler sollen die Bad Doberaner Schulen im 2. Weltkrieg verloren haben.

(Quelle: WIG-Archiv, Urheber unbekannt)

Am Stülower Weg standen die Baracken des Reichsarbeitsdienstes, für den Frauen und nicht wehrfähige Männer den zivilen Dienst für Krieg und Vaterland leisteten. Mit Zwangsarbeitern, Konzentrationslagern und Nazi-Terror kamen die Doberaner scheinbar nicht in Berührung. Darüber gibt es keine Berichte.

So richtig mit Sirenen, Donner und Feuer erreichte der Krieg zuerst die Hansestadt Rostock. Am 20. Februar 1943 verkündete der im Auftrag des designierten Großherzogs für dessen Liegenschaften in Heiligendamm zuständige großherzogliche Aufseher Klatt:

„Hiermit teile ich mit, dass durch Verordnung des Luftfahrt-Ministeriums hier alle Häuser dunkel angestrichen werden. Der Marstall und die Autogarage sind schon gemacht Die ganzen Villen und Privathäuser werden alle der Reihe nach gestrichen “

Die hellen Gebäude vor dunkler Kulisse wurden in verschiedenen Grün- und Brauntönen gestrichen (Tarnanstrich). Schon am 23. April erreichte die British Royal Airforce Rostock und startete in den Nächten vom 23. auf den 24. und vom 26. auf den 27.04. das so genannte Vier-Tage-Bombardement auf Rostock.

Anders als die Amerikaner bombardierten die Briten nicht erstrangig militärische Ziele, sondern wollten die Moral der Bevölkerung brechen. Hitlers V-Waffen auf Großbritannien waren auch nicht auf militärische Ziele ausgerichtet. Sie sollten einfach nur zerstören. Das fiel nun auf das deutsche Volk zurück.

Gedenkstätte für die Bombenopfer auf dem Neuen Friedhof in Rostock (Quelle: Wikimedia)

Viele obdachlose Zivilisten mussten die brennende Hansemetropole verlassen und ins Umland fliehen. Im Althöfer Weg hinter der Bebauung entstanden 1944/45 zwischen der Straße und den Bahnschienen in Bad für einen Teil von ihnen Behelfsheime. Wahrscheinlich schon zuvor waren am Bahnhof Althof Baracken als Behelfsheime entstanden. Koordiniert wurden diese Normbauten nach Bauanleitung auch für Laien ausführbar vom Deutschen Wohnungshilfswerk (DWH).

Trotzdem übte man sich in Bad Doberan – von wo aus man das brennende Rostock sehen und auch riechen konnte – in der Normalität. Es entstanden weitere Wohnhäuser und das Kino feierte Richtfest und eröffnete noch im selben Jahr als Hansa Lichtspieltheater Bad Doberan. Im Obergeschoss befanden sich Wohnungen.

Korvettenkapitän Bernhard Bieberick stellte 1943 für Heiligendamm die Lehrgänge ab Juli in der Reichskadettenschule auf. Der Unterricht fand im Salon des Kurhauses statt, es wurde in Allgemeinbildung, Sport, Bootsdienst und „ein wenig Infanteriedienst“ unterrichtet.

Die Ausbildungszeit betrug ein halbes Jahr und wurde mit der Prüfung an der Marinekadettenschule Mürwick abgeschlossen. Unteroffiziere, die nicht zum Hauptlehrgang in Mürwik zugelassen wurden, erhielten in Heiligendamm einen Vorbereitungslehrgang und die für Mürwik nötigen Schulabschlüsse. Wer die Ausbildung nicht bestand, wurde sofort an die Front zurück geschickt.

Die Lehrkräfte – Marineoffiziere meistens mit Lehrer als Zivilberuf und Marinebeamte –  bezogen das Grand Hotel und Kurhaus, während die Kadetten nach Ausbildungsgruppen sortiert in den Villen einquartiert wurden. Die Gruppen hatten untereinander nur wenig Kontakt. Pro Lehrgang wurden 60 Kadetten unterrichtet, einer von ihnen dichtete das „Heiligendammer Loblied“, in dem es u. a. heißt:

„Mecklenburger Land, Heiligdammer Strand, brachtest mit viel Freude und Leid! Denken wir zurück an das selt’ne Glück alter Kadettenherrlichkeit.“

„Mecklenburger Land, Heiligdammer Strand, Mädel leb‘ wohl. Drüben in Doberan sind wir Kadetten wohlbekannt, und den langen Weg von dort sind wir oft nach Haus gerannt.“

Bomben auf Rostock – und Heiligendamm

Bis April 1943 bombardierte die britische Royal Airforce die norddeutschen Ziele, ab Juli löste die US Airforce sie ab. Am 25. Juli 1943 starteten zwei Wellen: 80 bis 100 Maschinen der USAAF flogen gegen Flensburg und Stralsund und sollten die Luftverteidigung ausschalten. Abends flogen dann 150 Maschinen entlang der Elbe, um die Marine auszuschalten und die Häfen von Hamburg und Cuxhaven zu zerstören.

Der erste Schlag der ersten Welle galt in Mecklenburg der Flak-Artillerieschule auf Wustrow bei Rerik. Schließlich war das nicht nur eine Schule, sondern eine wehrfähige Bastion in strategisch guter Lage. Von hier aus konnten Rostock, Stralsund und Stettin gegen Angriffe aus der Luft von Westen her geschützt werden. Auch Abfangjäger konnten hier aufsteigen.

Mit 30 Sprengbomben richtete man Schäden an zwei Hallen samt Inhalt an, beschädigte das Offizierskasino, zerstörte die Schwimmhalle und traf Wohnungen.  Die Erstmeldung ging von 8 Toten, 40 Verletzten und einer unbekannten Zahl Vermissten aus. Auch über Kühlungsborn West fielen sieben Stabbomben ins Wasser und wie sich 2006 zeigte, erreichte eine Bombe auch die Ostsee vor Heiligendamm.  

Der nächste Schlag sollte den Heinkelwerken in Rostock und Arado in Warnemünde gelten, aber wegen schlechter Sicht beschränkte man sich auf Gelegenheitsziele und umflog die abwehrbereite Hansestadt. Gegen die Arado-Werke und den Flugplatz warf man 60 Sprengbomben ab, 6 Blindgänger waren dabei. 11 Menschen wurden verwundet, darunter vier Wehrmachtsangehörige. Ein Mensch starb.

Deutsche Jäger stiegen auf, um den Gegner abzufangen. Das Geschwader verteilte sich – es fielen Stabbrandbomben in den Saaler Bodden und dann sollte offenbar ein neuer Angriff auf Wustrow von Osten her erfolgen. Doch der Bomber warf seine Last auf die Baugruben der Adolf-Hitler-Schule und traf dabei das still sein 150. Jubiläum begehende Seebad Heiligendamm.

Ein toter Soldat und eine verletzte Frau, sowie ein verwüsteter Wald und zerborstene Fensterscheiben waren die Bilanz des Krieges in Heiligendamm. Noch während des erneuten Sirenengeheuls berichtete der großherzogliche Aufseher Klatt am 27. Juli 1943:

 „Gestern Nachmittag 4 Uhr, acht Bomben im Gespensterwald gefallen. Ein Soldat tot, eine Frau schwerverletzt, einige weitere Spaziergänger leicht verletzt. Fast alle Fensterscheiben an den großherzoglichen Gebäuden sind zerstört.“

Noch während dieser Nachricht dürfe es gewesen sein, dass weitere 29 Sprengbomben inklusive 13 Blindgängern auf „Hinter Bollhagen“ fielen. Zu der Gemarkung gehörte der heutige Kleine Wohld. Darum gibt es über 30 Bombenkrater. Diese Bomben galten eigentlich Wustrow. Während es die acht Bomben in die Literatur schafften, findet man die 29 weiteren nur in Akten und als Krater in der Landschaft. 

Vorbei war es damit nicht. In er Nacht vom 28. zum 29. Juli 1943 fielen erneut Bomben  – drei Sprengbomben und 10 Brandbomben trafen ein Haus in Retschow.

Die B24 „Liberator“ (42-51086) der 446th Bomb Group „the Bungay Buckaroos“ des 706th Bomb Squadron der USAF  Bomber der USAF geriet am 25. August 1944 in der Nähe Bad Doberans unter Beschuss. Bis auf den Piloten retteten sich 10 der 11 Mann starken Besatzung mit Fallschirmen. Fünf von ihnen konnten flüchten, drei landeten in Steffenshagen und wurden verhaftet, zwei landeten in den Wittenbecker Tannen und wurden ermordet. Unter den Toten können später 1st Lieutenant John W. Simon, 1st Lieutenant John B. Dzanaj (21), Staff Sergeant Garnett E. Saint jun. (20) und 1st Lieutenant Colin F. Barkell (21) identifiziert werden, letzterer soll in Brusow gestorben sein.

Ziel war auch hier Rostock. In der Historie der Bombengruppe heißt es:

25. August: Rostock
36 Flugzeuge trafen das Heinkel-Triebwerkswerk inmitten präziser Flocken. Ronnie beendete seine Serie von 79 erfolgreichen Missionen durch Abbruch. „Happy Go Lucky“ (42-52772) stürzte in die Nordsee und tötete alle 10 an Bord. Es wird angenommen, dass ein Motorschaden aufgetreten ist. Ein anderes Flugzeug (42-51086) stürzte ebenfalls ab und tötete 4, wobei 7 weitere gefangen genommen wurden.

Insgesamt wurden 2.942 Tonnen Bombenlast auf Rostock abgeworfen, 990 Tonnen durch die RAF und 1.952 Tonnen durch die USAAF. Die Industrie lag am Boden, 42% des Gewerbes waren zerstört und 85% der Wohnungen. Tausende waren obdachlos und tausende Flüchtlinge in der zerbombten Hansestadt.

 

Flucht und Vertreibung

Weit vor den Russen kamen die Flüchtlinge. Schon 1942 ging es los – zunächst aus den zerbombten Gebieten des eigenen Landes, dann auch aus den Ostgebieten Deutschlands, die als „Schutzgebiete“ das deutsche Kernreich umhüllten und deren Hülle nun durch die Besetzung der Polen und Tschechen zerbrach. Sie nahmen sich ihr Land zurück und wer in ihm wohnte und Deutsch war, musste raus. In Tschechien ging das noch recht geordnet zu – da organisierte man den Transport der Deutschen ins Kerngebiet.

Kapitän Bieberick vermerkte 1943 in seinen Aufzeichnungen:

„Wenige Tage darauf erhielt ich Nachricht vom Ortsgruppenleiter Doberan, dass in einigen Stunden 120 Flüchtlinge in Heiligendamm eintreffen würden. Ich ließ sofort zwei Strandhäuser räumen, quartierte die dort untergebrachten Kadetten durch Engerbelegung der übrigen Unterkünfte um und ließ die Flüchtlinge in den geräumten Kadettenquartieren unterbringen.“

Auch der Marstall und die Garagen wurden geräumt, um sie zu Behelfsunterkünften umzufunktionieren. Das Seehospiz wurde gegen eine Abfindung von 26.000 Mark aufgelöst, die Auflagen Prof. Vogels aus dem Grundbuch gestrichen und Obdachlose in das Haus einquartiert.

ADN-ZB/Levermann/6.3.85
Rostock: Chronist mit der Kamera war Hildegard Levermann vor allem für die Bezirkstadt an der Ostsee. 1946 begann sie als Mitarbeiterin der ersten Pressestelle der Stadt. Fotografiert hatte sie jedoch schon zuvor. So entstand diese Aufnahme der Krämerstrasse im Jahre 1942.

Von den Hügeln um Bad Doberan konnte man die stolze Seestadt in Schutt und Asche versunken sehen. Der Donner war bis hier zu hören, das Sirenengeheul schreckte auch hier manchem aus dem Schlaf und natürlich waren auch die Bomber von hier aus zu sehen, wenn man sich denn nachts hinaus traute.

Mein Opa sah das als Kind, er sah auch Bomber abstürzen und er erzählte mir, dass man den Rauch des brennenden Rostock bis nach Ivendorf riechen konnte. Seine spätere Frau sah mehr und auch meine anderen Großeltern waren dichter dran. Sie mussten auf ihrer Flucht vor den Russen um das bombardierte Rostock herum. Meine Oma mütterlicherseits von Soldin in Pommern aus kommend und meine aus dem Sudentenland vertriebenen Großeltern väterlicherseits von Graal-Müritz aus, wo das Aufnahmelager war. Beide berichteten unabhängig voneinander dasselbe.

 

Widerstand gegen letztes Aufgebot

Am 11. April 1945 endeten der 5. und 6. Lehrgang der Reichskadettenschule und eine Woche später wurde die Schule wegen der vorrückenden Roten Armee durch den Kapitän zur See Hans Bartel aufgelöst. Ausbilder, Offiziere und Unteroffiziere erhielten einen Schnellkurs in der Handhabung der Panzerfaust und es wurde Alarmbereitschaft ausgerufen. Im Angesicht der auf Doberan vorrückenden Russen wurde am 1. Mai die Truppe umgebildet zur Einsatzgruppe Kpt-z.S. (Ing.) Bartel und weg von der russischen Übermacht nach Westen zum neuen Einsatzort Wismar verfrachtet.

Die Rote Armee erreichte am 2. Mai von Osten her Bad Doberan. Die Kirchgemeinde und das Stadtarchiv hatten schon 2015 versucht, die Geschehnisse zu rekonstruieren. Allerdings widersprachen sich sowohl Augenzeugen, als auch Akten. Eine beglaubigte Kopie des Protokolls von Schlachtermeister Karl Schröder gilt als der glaubhafteste Beleg. Er war Führer des Volkssturmsund sollte mit seinen Männern gegen die vorrückenden Sowjets kämpfen. Er weigerte sich und stellte sich der NSDAP.

Der Ortsgruppenleiter der NSDAP Walter Kittmann hatte am 1. Mai Panzersperren aufstellen lassen. Schröder ordnete deren Abbau an und setzte der NSDAP ein Ultimatum. Er soll auch versuche haben, den NSDAP-Chef zu entwaffnen und von diesem mit einem Maschinengewehr beschossen worden sein. Angeblich soll auch jemand auf dem Wasserturm Stellung bezogen haben und von unten erschossen worden sein.

 

Als die Russen kamen

Ende April kamen zuerst weitere Flüchtlingstreks, aber auch fliehende Wehrmachtangehörige. Am 30. April herrschte dann gespenstische Stille in der Stadt. Die Russen blockierten die Straßen und keiner kam durch.

Am 1. Mai zog dann das aufgelaufene deutsche Heer nach Westen durch Bad Doberan. Es hatte die Ostfront aufgegeben. Am Abend forderten mehrere Initiatoren die Bürger in einem Aufruf auf, in den Häusern zu bleiben, wenn die Armee anrückt.

Am RAD-Lager am Stülower Weg waren zehn Jungen und ein Führer in Stellung gegangen, um die Russen mit Panzerfäusten und Gewehren abzuwehren. Schröder überredete sie, in der Nacht abzuhauen.  

In der Nacht zum 2. Mai trafen Spitzen der Infanterie in Bad Doberan ein. Zuerst Motorräder mit Maschinengewehren, dann 1,5 Stunden später Lkws mit Soldaten und Nachschub. Ein Aufseher klopfte an eine Tür einer verdunkelten Wohnung. Die Tür war von innen verstärkt worden. Das Klopfen ließ nach, kurz darauf polterte es im Flur, die Tür wurde aufgebrochen, die Wohnung gestürmt und Uhren, Schmuck und die Frauen mitgenommen. Der Vater versperrte die Tür, diskutierte mit den Russen und entschloss sich dann, die Kolonne zu begleiten. Die Uhren und den Schmuck bekam er nicht wieder, wohl aber die weiblichen Angehörigen. Es wurde auch im Münster eingebrochen und Altarbekleidung gestohlen. Ob von Russen oder von Flüchtlingen oder befreiten Zwangsarbeitern weiß man nicht.

Die drei Bad Doberaner Dr. Willi Brandt, H. Grünberg und P. Schlünz sollen der 162. Nowgorod-Sewersk-Division mit weißen Fahnen entgegen gegangen sein, als sie am 2. Mai gegen 13 Uhr mit Panzern, Pferdewagen und Soldaten, die immer wieder „Hurra“ riefen einrückte. Der Sohn des Pastors, Freimuth Wistof, erinnert sich hingegen: „Unser Vater war mit einem weißen Bettlaken in den Dachreiter, ein kleines Türmchen auf dem Doberaner Münster, gestiegen und hisste dort die weiße Fahne zum Zeichen der Kapitulation.“ Es könnte beides zutreffen. Nur ein Polizeileutnant stellte sich den Russen entgegen. Der einzige überlieferte tödliche Schuss an diesem Tag traf ihn.

Die Stadt war mit Flüchtlingen vollgestopfte und hatte 15.000 Bewohner. Man nimmt heute an, dass die Russen Demmin zerstörten, weil sie beim Einmarsch aus dem Hinterhalt beschossen worden sein sollen. Das wäre am Stülower Weg auch passiert. So verschonten sie die Bauten der Stadt, aber sie plünderten alle Geschäfte. Doch nicht nur sie: Auch die von ihnen befreiten Zwangsarbeiter, die ihnen folgten, nahmen, was sie kriegen konnten. 

Der ehemalige Direktor des Gymnasiums, Dr. Willi Brandt, schreibt in seinen Erinnerungen:

„Auf offener Straße wurde ein Mädchen geschändet.“
In der Nacht, so Brandt, brechen die Sowjettruppen in die Häuser ein und nehmen sich, was sie wollen — auch die Frauen.“

In der Stadt setzte Bewegung ein – ungesehen und heimlich. Die Frauen brachten sich vor den Russen in Sicherheit. Wer konnte, floh aus der Stadt, wer es nicht schaffte, floh in Ställe und Scheunen. Augenzeugen berichteten auf einer Podiumsdiskussion 2015, wie die Frauen und Mädchen beschmiert und versteckt wurden, damit die Russen sie nicht oder wenn, dann zu unattraktiv finden. Wenn sie auf Männer trafen, holten sie sie aus den Häusern und nahmen sie mit.

Propst Hans Martin Ehlers schrieb in der Pfarrchronik:

„In die Kirche wird eingebrochen: Das Kreuz auf dem Altar zerschlagen, das Reiterstandbild von Behr zerstört, die Altarkleidung gestohlen“.

Die Gottesdienste blieben nach den Aufzeichnungen von Pastor Eherls aber weitgehend ungestört und es nahmen auch russische Soldaten daran teil.

In Heiligendamm nahmen sich 3-5 Betreuer aus Angst vor den einrückenden Rotarmisten das Leben. Diese besetzen Heiligendamm, zogen dann aber weiter.

Um 15:30 Uhr fiel ein Schuss im Rathaus (damals das Großherzogliche Salongebäude am Kamp). Ein Herr Stübing soll das Opfer gewesen sein. Das Rathaus wurde geräumt. Die Russen besetzten zwar die Stadt, aber das war eher ein Verwaltungs- als ein militärischer Akt. Menschen mussten registriert und versorgt werden und gegnerische Personen erkannt und entfernt. Dazu brauchte man keine ganze Armeeeinheit.

Und so zogen die meisten Soldaten am 3. Mai zusammen mit einem weiteren Durchzug von Einheiten weiter gen Westen, um sich mit den Westalliierten dort zu treffen. Eine kampflose Übergabe scheint es formell nicht gegeben zu haben. Die Gruppe Brandt wäre dazu nicht berechtigt gewesen und Dokumente, die belegen, dass ein Berechtigter die Stadt kampflos übergeben habe, gibt es scheinbar nicht. Da aber kein Widerstand erfolgte und viele weiße Fahnen wehten, reichte das. Ohnehin war Bad Doberan kein strategisches Ziel, sondern nur eine Stadt, durch die man hindurch musste, um sich mit den Westalliierten zu treffen und am 8. Mai den Sieg zu feiern. 

 

Der Herzog auf der Flucht

Jedoch blieb das Land der Besatzungsmacht unterstellt. Großherzog Friedrich Franz IV. floh vor den Russen mit der Familie nach Glücksburg, um dann nach Dänemark zu seiner älteren Schwester und dänischen Königin Alexandrine auszuwandern. Dazu kam es wegen einer Erkrankung des Familienoberhauptes nicht mehr:

Auf Grund der schlechten Versorgungslage starb Friedrich Franz IV. am 17. November in Flensburg. Schon 1943 bestimmte er Christian Ludwig als Nachfolger, weil Friedrich Franz V. eine unebenbürtige Ehe eingegangen war.

Der neue Chef des Hauses blieb im britisch besetzten Ludwigslust. Als Briten und Russen die Grenzen festlegten und Ludwigslust an die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) fällt, flüchtete auch Christian Ludwig nach Glücksburg.

 

Heiligendamm sollte gesprengt werden

Am 8. Mai um 23:01 Uhr endete der 2. Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands.

In Bad Doberan bezog die Kommandantur das aufgelöste Kinderheim in der Villa Winter in der Dammchaussee und in Heiligendamm das Alexandrinencottage, aus dem gerade zuvor der deutsche Kommandeur ausgezogen war. Hermann Wirths zwar nicht betriebenes aber noch vorhandenes Institut wurde im Dezember ins Möckelhaus verbracht, wo zugleich auch Flüchtlinge unterkamen. 

Im Stadtarchiv lagern heute mehrere Papier-Bücher, in denen in kyrillischer Handschrift alle Ein- und Bewohner Bad Doberans von 1945 verzeichnet sind. Der 2020 verstorbene Doberaner Historiker Dr. Helge Rehwaldt hat sie ins Deutsche übersetzt und zusammen mit dem Mitarbeiter Herrn Bluhm in eine Excel-Tabelle eingetragen. Ich habe mit Dr. Rehwaldt die Einträge noch mal komplett nachkontrolliert, um Lese- oder Hörfehler auszumerzen.  

Am 1. Oktober 1945 eröffneten die Schulen wieder, das Stahlbad nahm seinen Betrieb wieder auf, spezialisierte sich aber auf Moorbäder und heißt deshalb von nun an Sanatorium Moorbad. Pächter Alwis Ludwig aus Bad Doberan gab das Café im Gespensterwald am Kinderstrand ab.

Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) deklarierte Heiligendamm auf Grund der durch den nicht zum Anschluss gekommenen Verkaufes unklaren Eigentumsfrage zum herrenlosen Gut. Sie sah in den grün getarnten und von Seekadetten genutzten Gebäuden eine militärische Einrichtung und befahl gemäß dem Potsdamer Abkommen die Sprengung Heiligendamms. Zuvor sollten die Gebäude leer geräumt und alle Installationen von einer Berliner Firma als Reparationen nach Russland verbracht werden.

(Quelle: ECH-Archiv, Archiv Rochow, Urheber unbekannt)

Christian Ludwig kehrte von Glücksburg nach Ludwigslust zurück, um den Familienbesitz wieder an sich zu nehmen. Er protestierte gegen den Umgang mit dem Seebad und stellte einen Restitutionsantrag für die drei ihm verbliebenen Cottages. Die SMAD verhaftete ihn daraufhin und verschob ihn in mehrere Gefängnisse, bis er schließlich nach Moskau gebracht und in der Lubjanka zu 25 Jahren Haft „als Mitglied einer Kaste, die immer schon Kriege geplant und ausgeführt hat“ verurteilt wurde. Die lokalen Medien nutzten das Ereignis als Propagandafeldzug gegen den Feudalismus.

Kurze Zeit später stoppte man den Abriss Heiligendamms, weil man die Gebäude doch nutzen wollte – als Sanatorium für Werktätige.

 

Wie es nach dem Krieg weiterging

Im November wurde ein neuer Kirchenrat gewählt und der wieder entstandene Kirchenchor gab sein erstes Konzert. Zu Sylvester wurde die Glocke erstmals nicht mehr geleiert, sondern getreten, wofür ein Gemeindemitglied freiwillig zur Verfügung stand. Es entstanden drei neue Klosterteiche in Hütten und Pastor Ehlers vermerkte über diese direkten Nachkriegstage:

„Wie in Staat und Leben regt sich auch auf dem kirchlichen Sektor neues Leben.“

Kurz nach Ende des Krieges bestellte die SMAD den ehemaligen Chef der Haliflor-Company zum Leiter des Finanzamtes Rostock. Zugleich baute Glaser die Liberal-Demokratische Partei (LDPD) in Mecklenburg auf und wurde 1946 Stadtrat für Finanzen in Rostock.

Zu Neujahr 1946 wurde der Diakon Martin Stonies und Küster aus Osterode in Ostpreußen Küster in Bad Doberan.

Immer wieder wurden Leichen angespült und in Zeltbahnen gehüllt in den Wald gebracht. Es kam vermehrt zu Suiziden und andere unnatürliche Todesursachen. Frauen hatten ihre Männer und oft auch zugleich die Söhne verloren und waren verzweifelt. Andere waren vergewaltigt worden und hätten nun einen „Bastard“ auszutragen – so nannte man ein Kind von einem Russen, ob nun ungewollt oder nicht. Aber auch schwere Verletzungen waren damals ein Grund für Suizid. Nicht zuletzt war dies der erste Winter nach dem Krieg – ein kalter Winter. 

Allein im Januar und Februar wurden 117 Beerdigungen vollzogen, bis zu 22 an einem Tag. Überführungen von Toten in ihre Heimat kamen noch hinzu und brachten den Friedhof an seine Grenzen. Die Kirche beantragte eine Vergrößerung in den Kellerswald hinein und am 13. Mai überließ der Staat aus dem Staatsforst einen Hektar Wald für 3.500 Mark zur Friedhofserweiterung. Die Einwohnerzahl Bad Doberans betrug im Oktober 10.957.

Am 30. Juni hielt der Pastor Erich Walter – ein Sohn des vor dem Krieg amtierenden Pastors – seine erste Predigt und am Nachmittag einen Vortrag unter dem Motto „Er ist unser Friede“. Zum Abendmahl gab es einen regelrechten Andrang von 822 Teilnehmern und auch die vierzehntägige Kirchenkonzertreihe ab dem 7. Juli mit Musiklehrer Nell und einem Konzert mit Solisten zu Bach und Schütz, dem Erntedankfest und Jugendgottesdienst waren voll besetzt.

Im Oktober fanden an drei Abenden Gebetsstunden für die Gefallenen statt und am 27. Oktober traf sich die evangelische Jugend aus den Bereichen Kühlungsborn, Retwisch, Retschow und Toitenwinkel in Bad Doberan.

Zum Jahreswechsel gelang es den Familien der toten Betreuer, die Leichen in Westsektoren umzubetten.

 

Eine persönliche Geschichte

Die Flüchtlinge wurden verteilt oder zogen selbst um. Meine Uroma wohnte mit der ganzen Familie zuerst unter dem Dach eines Gebäudes der einstigen Pension Mellendorf. Es gab nicht genug zu essen und wenn man Rübenblätter vom Feld stahl, gab es Ärger und Strafandrohungen. Der jüngste Sohn wollte nichts essen. Meine Uroma drohte ihm, mit ihm in die Ostsee zu gehen. Schließlich versuchte sie, sich selbst umzubringen, indem sie sich am offenen Ofen vergasen wollte. Die Kinder entdeckten das durch die Scheibe in der Tür und holten Hilfe. Ein Nachbar brach die Tür auf und rettete die Uroma.

Die Familie zog in das Mecklenburgische Heim für Kaufmannserholung in der Gartenstraße um, meine Oma durfte bei dem Bauern wohnen, bei dem sie in Neu Hohenfelde arbeitete. Sie lernte meinen Opa kennen – den Sohn des alteingesessenen Schusters Lettow aus Ivendorf. Die beiden verliebten sich, bekamen Kinder, zogen ins benachbarte Ivendorf und holten die Uroma zu sich. Meine Uroma hieß Marianne Dietrich, von den Polen wurde in der Urkunde später „Dytrych“ daraus gemacht. Der Uropa war gefallen, meine Uroma lernte aber einen anderen Mann kennen – ein Kriegsinvalide mit nur einem Bein. Sie selbst hatte im Krieg viel Schlimmeres erlebt – war im Keller von den Russen vergewaltigt worden. Meine Oma war 8 und hörte es bis oben.

Meine Großeltern Dostal waren nach der „Austreibung“ durch die Tschechen mit Viehwagen aus dem Sudetenland nach Deutschland gekommen. Bei Dresden starb die Uroma (wahrscheinlich an TBC) und wurde in Weißenfels in einem Massengrab verscharrt. Meine Großeltern kamen mit drei Kindern in Graal-Müritz im Auffanglager unter, wurden dann nach Althof in die Baracken am Bahnhof verschoben und hatten dort mit Wanzen, Kakerlaken, Mehlwürmer und Ratten zu kämpfen.

Schließlich bekamen sie eine Wohnung in der Neuen Reihe über der Kohlehandlung, wo sie noch mit sieben Kindern in dreieinhalb Räumen lebten. Als die meisten Kinder aus dem Haus waren, zogen sie in die Dr.-Leber-Straße in den Hof des einstigen Hofkonservators Carl Knuth, wo ein Teil des Stalls zur Wohnung umgebaut worden war. 1951 kam in Bad Doberan mein Vater zur Welt, 1953 in Ivendorf meine Mutter und 1970 lernten sie sich in Bad Doberan kennen, verliebten sich, heirateten, bekamen 1972 ihren ersten Sohn und 1979 den zweiten. 2007 starben die mütterlichen Großeltern, 2008 die Oma väterlicherseits (der Opa war schon 1988 gestorben) und 2018 und 2019 starben dann auch meine Eltern. Zurück bleiben diese Familiengeschichte und indem ich sie weitergebe, bleibt sie erhalten.  

 

Schlusswort

Es ist nicht viel, was wir über das Kriegsende in Bad Doberan wissen und was hier zusammengetragen ist, wissen wir eigentlich gar nicht. Es stammt aus Überlieferungen. Aus Protokollen, die von Leuten geschrieben wurden, die darauf achten mussten, das richtige im Kontext ihrer Zeit zu schreiben. Aus Erzählungen von Menschen, die von Gefühlen überwältigt waren, als sie erlebten, was sie uns später erzählten.

Manches wurde vergessen, manches hinzugedichtet und manches absichtlich weggelassen oder verdreht, denn die Menschen mussten in diesem neuen System auch überleben und das duldete kein schlechtes Wort über die Befreier und schon gar kein gutes über das Dritte Reich.

All das müssen wir im Hinterkopf haben, wenn wir uns mit dieser Geschichte befassen und das müssen wir beachten, wenn wir uns fragen, ob Deutschland befreit oder besetzt wurde oder ob es nicht doch irgend etwas dazwischen gibt.

 

Haben Sie weitere Infos? Enthält die Zusammenstellung Fehler? Dann schreiben Sie mir!

 

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2 Kommentare

    1. Hallo Herr Kellermann!
      Entschuldigung – Ihre Kommentare wurden irgendwie als Spam angesehen und ich habe sie erst eben entdeckt. Die Beethovenstraße müsste zusammen mit allen anderen Straßen umbenannt worden sein. Ich halte es aber für denkbar, dass sie und die Dammchaussee schon gleich 1945 umbenannt wurden, weil das ja besonders brisante Namen waren. Ein genaues Jahr weiß ich leider (noch) nicht.Ich achte aber mal drauf.

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