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Meine Führungserlebnisse in Heiligendamm

Seit fast 15 Jahren verfolge ich nun schon die Entwicklung Heiligendamms und von Anfang an begleite ich sie mit einer Dokumentation, aus der schließlich ZEIT AM MEER wurde, wie man es heute kennt und das sich gerade wieder verändert. Ich bin regelmäßig in Heiligendamm, das kann man so nennen. Im Herbst und Winter weniger, im Frühling und Sommer mehr. Wann immer es etwas zu dokumentieren gibt, bin ich da.

So sah ich dann immer wieder Gästeführungen und überlegte, ob das nicht auch etwas für mich wäre. Schließlich werde ich immer wieder gefragt, wo es zum Grand Hotel und wo zum Ortskern geht, warum man dort nicht durch kann und hier alles so verfallen aussieht. Meistens beginnt es mit einer einfachen Frage, aus der dann ein ganzer Haufen Fragen werden, an deren Ende dann eine dankbare und herzliche Verabschiedung steht. Die Leute wollen verstehen, was sie hier sehen und dazu sind Führungen gut geeignet.

An einem Mittwoch im Sommer 2013 machte ich gerade Fotos für die neue Gebäudedatenbank und als wieder so eine Führung begann, hängte ich mich einfach mal in sicherer Entfernung dran. Ich blieb nicht lange unerkannt: Die Kurdirektorin nahm auch gerade daran teil, sah mich und lud mich zur Teilnahme ein. So bekam ich einen Einblick und einen Eindruck von den Themen. „Das kann ich auch“, dachte ich bei mir und da ich zuvor mehrmals und von verschiedenen Medien als „Heiligendamm-Kenner“ bezeichnet wurde, überzeugten mich auch andere davon, dass ich unbedingt Gästeführer werden solle.

Beim nächsten Stadtführertreffen war ich mit dabei und am Ende entschied ich mich, mitzumachen. Im Herbst begann der Gästeführer-Kurs an der Volkshochschule bei Dr. Wilfried Steinmüller und im März hielten meine Mitstreiter/innen und ich dann das Zertifikat in der Hand. Nebenbei auch eine dicke Mappe an Materialien zu ganz Mecklenburg, denn wer bei Herrn Steinmüller lernt, der wird bestens versorgt. Für mich sollte es auf eigenen Wunsch erst im Juli los gehen, weil im Mai die Geburt unseres Sohnes anstand. Für insgesamt acht Führungen wurde ich eingeteilt und ich möchte Ihnen ein wenig über meine Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse erzählen.

Die Gummibärchen-Führung

Meine erste Führung sorgt heute noch für Scherze in der Familie. Überpünktlich machte ich mich an diesem heißen Mittwoch auf den Weg nach Heiligendamm. Am Treffpunkt unter der Laterne neben der Coco Eismilchbar wartete ich auf Gäste. Die Promenade war voll, der Strand war voll und immer mehr Menschen strömten herbei. Sie alle hatten nur ein Ziel: Den Strand. Niemand interessierte sich für mich, auch wenn man meine auffällige Führungsmappe mit Doberaner Wappen und großer Schrift durchaus registrierte. Ich versuchte es an verschiedenen Stellen, mal im Stehen und mal im Sitzen. Irgendwann tauchten bekannte Gesichter auf: Die Nichte, die Urgroßcousine und der Urgroßcousin. Wir unterhielten uns und sie boten mir an, dass ich sie doch führen könnte. „Nein, vergnügt ihr euch mal, ist schon gut“. Die Urgroßcousine kam noch einmal zurück und schenkte mir eine Tüte Gummibärchen.

Bei den neun farbenfrohen Gesellen blieb es dann auch. Mein Versuch, Leuten aktiv eine Führung anzubieten, misslang. Ich versuchte es bei einer Familie, die geschichtsinteressiert wirkte. Der Vater hatte gerade mit großer Geste seinem Sohn erklärt, dass dies das älteste deutsche Seebad ist, gegründet 1815. Heiligendamm wurde 1793 gegründet und ich dachte mir, dass ein Führer hier nicht schaden könne. Am Tor am Findling war die gute Laune des Vaters jedoch dahin – man kommt da ja gar nicht rein. Ich erwähnte, dass er im Zuge einer Führung auf das Gelände kommt, aber er lehnte barsch dankend ab und schimpfte wegen des geschlossenen Tores vor sich hin. So blieben nur meine neun bunten Gummigefährten, mit denen ich einfach mal übte, bevor ich sie verspeiste.

Kurzer Führungs-Überblick

Die folgende Führung am 30. Juli fiel aus, weil es regnete und niemand kam, sodass ich umsonst wartete. Das passte mir aber, denn zu 12 Uhr war ich ja zum Pressegespräch im Grand Hotel eingeladen und hätte den Termin nicht wahrnehmen können, wenn ich Gäste geführt hätte. So entstand an diesem Tag der Artikel „Halloren again 2014„.

Der 3. August holte dann alles wieder raus: Es war ein warmer Sommersonntag und kaum nahm ich meinen Platz ein, kamen die Leute und ich gar nicht mit dem Rechnen hinterher. Sieben Leute waren es am Ende, zuerst zwei zugezogene Börgerender und dann Paare aus Hamburg und Hessen. Auch der folgende Mittwoch war ein voller Erfolg und die Teilnehmerzahl steigerte sich um eine Person. Diesmal waren vier Leute aus Österreich dabei, zwei aus Nordrhein-Westfalen und ein Paar, wo die Frau englisch sprach und der Mann dolmetschte. Das war ein ganz neues Erlebnis und insgesamt war diese Führung sehr angenehm, auch wenn man sich natürlich Gedanken macht, nicht zu schnell zu sein, damit der Dolmetscher hinterher kommt und einen das Warten manchmal etwas durcheinanderbringt. Die Österreicher waren wissbegierig und stellten viele Fragen, sodass ich viel auch außerhalb dessen erzählen konnte, was ich so im Plan habe. Es war da auch eine gewisse Verbundenheit, denn meine Vorfahren kommen aus Böhmen-Mähren, der bekannteste Vertreter aus Österreich.

Die nächste Führung hatte ich dann erst am 7. September, wieder einem Sonntag. Diesmal waren es vier Leute, alle aus Sachsen und alle Heiligendamm-Urlauber. Sie alle waren das erste Mal in Heiligendamm und enttäuscht. Dazu später mehr. Die nächste Führung lief wieder nicht und die übernächste musste ich delegieren, weil Sohnemann krank war und Fieber bekam. Die letzte Führung war dann am 15. Oktober mit zwei Rostockerinnen. Natürlich habe ich außer den eingangs genannten neun keine weiteren Führungsteilnehmer verspeist. Nun haben wir schon wieder Dezember und ich etwas Abstand. Analysieren wir doch mal:

Führungs-Erkenntnisse

Die „Kundschaft“: 80% kommen nicht in Frage.

Die wichtigste Erkenntnis für mich ist natürlich, wer meine „Kunden“ sind. Die betagten Damen und Herren mit dem Rollator oder am Stock gehören meistens zur Median-Klinik und die bietet selbst Führungen an. Potenzial mag es aber geben – ich muss mich da mal dran hängen.

Die Reisebusgesellschaften haben ihre eigenen Führer an Bord. Ich traf auf zwei Gruppen, die komplett in Englisch geführt wurden. Die Teilnehmer hatten Karten mit Nummern drauf und die Führer hielten an den jeweiligen Punkten die Nummern in die Luft und erklärten was zu der Station. Sogar über die Flora sprachen sie, wie ich mit meinen autodidaktischen Englischkenntnissen heraus hörte.

Die in Massen auftauchenden Fahrradfahrer sind eher selten meine Gäste – ich hatte nur zwei Leute, die mit dem Rad da waren und die hatten Heiligendamm als längeren Aufenthalt gewählt. Die meisten Radler wollen nur kurz Halt machen und gucken, sie laufen (oder fahren trotz Verbot auf der Promenade) in eine Sackgasse, denn ab der Seebrücke müssen sie ihr Rad durch den Seesand schieben und Treppen hoch und runter tragen. Der Radweg ist außen herum ausgeschildert, aber es ist nur verständlich, dass die Leute Heiligendamm sehen wollen und hinein fahren.

Beide Gästegruppen lassen nicht viel Geld im Ort: Die einen kriegen ihr Essen in der Klinik (und ich hörte, dass es gut sein soll, nur Diabetiker oder Veganer bemängelten die Auswahl), die anderen haben es meistens im Gepäck oder einen längeren Aufenthalt zwecks Stärkung in Kühlungsborn oder Warnemünde eingeplant.

Dann gibt es da noch die Badegäste, die schnurstracks zum Strand laufen und die Einheimischen, die einfach nur ihre Runde drehen und eher nicht an Führungen interessiert sind, wenn sie nicht gerade zugezogen sind oder mal hören wollen, was der Neue da zu erzählen hat und ob das denn auch alles so stimmt. Zu denen gehöre ich ja auch, wenn ich nicht selbst führe und ich bin manchmal genau der Typ Gast, den ich selbst nicht so gern habe.

Die „Kundschaft“ finde ich also bei den Tagesgästen, den Urlaubern der Pensionen und den Urlaubern aus der näheren Umgebung, die streng genommen auch zu den Tagesgästen zählen. Gäste des Grand Hotels hatte ich m.W. keine (aber die sind ja nicht besonders markiert). Sie können sich aber schon in den Prospekten des Hauses und der Bibliothek sehr umfangreich informieren. Bei der Rezeption nachfragen ist nicht unbedingt eine Lösung: Da wird auch schon mal Friedrich Franz II. für Lord Nelson gehalten. Ich saß nun schon dreimal in der Bibliothek und fand kaum Bücher über Heiligendamm. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass sie verliehen sind. Führungen sind aber nicht nur Information, sondern auch Unterhaltung. Das Hotel hat da eigene Angebote, die aber nicht so regelmäßig und eng beieinander sind. Hier sehe ich noch Potenzial.

Was sagen die Gäste zu Heiligendamm?

Zuerst ein paar Zitate:

(Von der Promenade kommend):
Wo ist denn hier das Zentrum?

Ich verweise immer auf die Promenade, in diesem Fall aber auf Bad Doberan.

Wie, das war es schon – mehr ist hier nicht?

Tja, was soll man dazu sagen? Es ist in 220 Jahren nicht mehr entstanden und das, was Jagdfeld entstehen lassen will, das wollen Politik und Bevölkerung nicht. Das dem Gast zu erklären, wäre aber sinnlos.

Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt.

Kann ich gut verstehen: Die tollen Bilder vom G8-Gipfel, immer schön mit Kühlungsborn vermischt…


Kann man hier sonst noch irgendetwas machen?

Ich habe da durchaus einige Tipps aus der Sparte „Romantik“, aber die wenigsten überzeugen die Tagesgäste.


Gibt es hier auch irgendwo was vernünftiges zu essen?

Sonntags kann ich drei Gaststätten empfehlen, mittwochs nur noch zwei, denn da hat eine geschlossen (Die Gastronomie des Grand Hotels stelle ich während der Führung sowieso vor). Dass man für Gaststätten aber im Hinterland suchen muss, verstehen die Gäste nicht. Anderswo findet man all das in der ersten Reihe.


Gibt es hier noch andere Toiletten? In die da gehe ich nicht.

Tja, die gibt es, ein paar Kilometer weiter, aber die sind nicht besser…
Die Sanitäranlagen in Heiligendamm sind ein Trauerspiel.


Kann man hier auch irgendwo Geld holen?

Nein, nur lassen ;-). Geldautomaten gibt es hier nicht. Man braucht aber in Heiligendamm eh nur Kleingeld, denn es gibt ja nur kleine Speisen und Automaten. Wo mehr Geld gebraucht wird, kann man auch mit Karte zahlen.

Hier ist ja überhaupt nichts los – was soll man denn hier?

Wenn das Grand Hotel als Argument nicht zieht, muss ich passen: Was soll man in Heiligendamm? Gucken, eine Führung mit machen, wenn möglich baden, hier und da ein wenig Kleingeld los werden und wieder fahren. Als Einheimischer ist es halt ein Spazier-Revier, aber für Urlauber eine Enttäuschung. Die Urteile sind vernichtend: „Grauenvoll“, „Gottverlassenes Kaff“, und aus einem Kindermund „Todlangweilig“. Nur Architektur- und Kulturinteressierte, Naturliebhaber und Ostsee-Fans finden auch nette Worte.

Was bietet das Grand Hotel überhaupt, dass da noch Gäste kommen?

Da kann ich zum Glück vieles aufzählen. In erster Linie höchsten Luxus (Es ist alles gold, was glänzt und Marmor, was wie Marmor aussieht), Gourmet, Kulinarik, SPA, Wellness, Golf, Sport, Reiten, viele Angebote für Kinder und eben das Ambiente des ältesten deutschen Seebades. Es ist ein Familienhotel und die Kleinen lieben es. Die Hotelgäste kommen gern wieder. Die Tagesgäste nicht.

Eine Million für eine Wohnung HIER?

Als bestes Argument hat sich erwiesen, dass man dafür eine ganz individuell geplante Wohnung von der Lage der Wand über den Standort der Toilette bis hin zum Material der Türklinke und Form des Wasserhahns bekommt. Quasi ein Maßanzug vom Star-Designer. Bloß das „HIER?“ ist damit noch nicht erklärt. Heiligendamm ist halt etwas für Liebhaber und so, wie sich einige einen Bentley oder Rolls Royce leisten, gibt es auch einen Markt für Luxus-Ferienwohnungen in ruhiger Lage an der See. Wobei keiner bezweifeln wird, dass die sich besser verkaufen ließen, wenn das Umfeld nicht ganz so ruhig und vor allem ansprechender wäre und die Berichte aus Heiligendamm etwas freundlicher ausfielen. Von den 6 Wohnungen in der Villa „Großfürstin Marie – Perle“ wurde erst eine verkauft und drei sind seit Monaten schon reserviert. Es ist zu unsicher, in der Perlenkette eine Wohnung zu kaufen, denn es ist nicht absehbar, ob es einen öffentlichen Stichweg an der Terrasse vorbei geben wird und wann mit der Sanierung der anderen Villen begonnen wird und wie lange es dauert. Wie schlecht sich Ferienwohnungen auf einer Dauerbaustelle machen, hat man gerade nebenan in Börgerende erfahren. 

Sehr einsam hier. Naja, wer’s mag…

Gerade diese Abgeschiedenheit ist das, was Heiligendamm so besonders macht und das Grand Hotel und auch die Median-Klinik werben damit. Ich erzähle dann die Geschichte von einer Patientin aus Berlin, die sich am Wahlsonntag 2012 zu uns Wahlhelfern in das Wahllokal in der Median-Klinik gesellte und schwärmte, wie ruhig es hier ist und wie schön, mal allein zu sein und den Wald zu genießen oder am Strand zu wandern. Diese völlige Stille hat sie in Berlin noch nie erlebt. Das überzeugt viele: Hier ist die Einsamkeit, die man sucht und nicht die, die man fürchtet. Wohnen will hier trotzdem keiner von denen das ganze Jahr über.

Es ist so traurig, dies Geschichte, das Potenzial und keiner macht was draus.

Ich kann dazu kaum etwas sagen. Oder besser: Ich kann viel dazu sagen, aber ich lasse es bleiben. Die Pläne Jagdfelds sind sowieso Thema, der Streit darum auch. Ich spreche das nicht von selbst an, aber die meisten sind so weit im Bilde, dass sie mich fragen. An irgend einem Punkt der Führung kommt man nun einmal zu den Villen und damit zum Thema. Einige Leute  erahnen die Ursachen anhand von Parallelen in ihrer Heimat, aber es gibt auch viele, die aus Prinzip auf die Politik oder den Investor schimpfen. Die Mehrheit der Leute kann nicht glauben, „dass man so dumm sein kann, eine Goldgrube wie diese nicht zu nutzen“.


Mal ehrlich: Das hier wird doch nichts mehr.

Das ist oft das Fazit aus den Gesprächen zum vorherigen Thema. Eigentlich sehe ich das auch so: Solange Stadt und Investor sich nicht einig sind und jeder in eine andere Richtung will, wird das nichts mehr. Viele, die das Ganze über Jahre begleitet haben, werden die Blüte Heiligendamms nicht mehr mit erleben. Aber ich erinnere dann an die Anfangszeit und wie lange es dauerte, bis das erste Badehaus stand und bis dann die Logis ans Meer verlegt wurde. Bad Doberan war schon immer sehr mit sich selbst beschäftigt und nach dem Verkauf Heiligendamms waren die Besitzer immer nur auf das Seebad fixiert und Doberan weit weg. Bis auf Paul Friedrich und Friedrich Franz II. hat vorher und nachher nie jemand den Nutzen Heiligendamms für Doberan erkannt. Aber Heiligendamm ist daran nie gestorben und wenn man sich das Auf und Ab anschaut, dann sieht man eine Verbindung zwischen der Abhängigkeit und der Unabhängigkeit von Doberan und den Höhen und den Tiefen. Heiligendamm hat immer dann funktioniert, wenn es in den Händen von Investoren lag, die dort das tun konnten, was wirtschaftlich notwendig war und es hat immer dann gelitten, wenn die Entscheidungen in Doberan gefällt wurden.

Ich mag es nicht beziffern: Sind es 90% oder doch nur 80, vielleicht auch nur 70?
Auf jeden Fall habe ich diese Worte so oder anders formuliert ausnahmslos in jeder Führung gehört: 

Wir kommen nicht wieder!

Es kann ganz schön deprimierend sein, wenn die Gäste nach ihrer Meinung gefragt ehrlich antworten. Ich liebe Heiligendamm und es tut weh, solch vernichtende Kritiken zu hören, aber ich bin ja selbst der größte Kritiker dessen, was in Heiligendamm blind getan und sehend unterlassen wird. Die Meinungen bestätigen alles, was ich bisher gesagt und geschrieben habe: Die sanierten Häuser sind Klasse, aber Häuser allein machen keinen Ort und locken keine Gäste. Der Flughafen BER ist auch Klasse, aber eben tot und leer. Heiligendamm ist nicht weniger, als der BER von Mecklenburg-Vorpommern. Oder die Elbphilharmonie oder Stuttgart-21 – jedes Bundesland hat sein eigenes Pleite-Image-Objekt, aber kein anderes ist in der komfortablen Lage, alle Verantwortung auf nur einen Mann zu schieben.

Die Leute lieben das Meer und den Strand, sie lieben die Architektur Heiligendamms, aber sie sind maßlos enttäuscht, dass ihnen hier nichts weiter geboten wird. Sie können nicht verstehen, warum man das riesige Potenzial nicht nutzt und warum man das einzigartige Erbe nicht in Szene setzt.

Sie fühlen sich abgezockt, müssen hier Münzen in den Parkautomaten werfen und dort in den Kurtaxautomaten, nur um dann ein Stück eintönige Promenade ablaufen, eine Seebrücke mit Angelsteg-Charakter abschreiten und ein wenig Häuser gucken zu können. Nur der Strand verspricht so etwas, wie Freiheit und der Wald, der aber auch viel zu schnell wieder zu Ende ist.

Die einen gehen aus Lust an einem Eis zu Coco, die anderen aus Trotz, um überhaupt hier etwas anderes gemacht zu haben, als nur geguckt. Die einen gehen zum Imbiss, weil sie Hunger haben und die anderen, weil sie wenigstens die Hälfte des heute ausgegebenen Geldes nicht in irgend einen Schlitz gesteckt haben wollen. Der Parkschein ist – ich zitiere: „ein notwendiges Übel“, der Kurtaxschein „eine Frechheit“ und die Pommes, Wurst etc. „wenigstens eine Gegenleistung für das Geld“. Und das auch nur, „weil es hier ja nichts besseres gibt.“ Wenngleich einigen die Portion gemessen am Preis zu klein, das Essen zu fettig oder zu Schock-aufgetaut ist. Das ist aber letztlich Geschmackssache, ich kann da keinen Unterschied zu den Doberaner Imbissen erkennen. Wobei das doppelsinnig ist.

Die Gäste meckern auch gar nicht überwiegend über das Essen, sondern über das zu kleine und einseitige Angebot von diesem. Noch mehr meckern sie aber über die Promenaden-Sackgasse und darüber, dass sie vor Zäunen stehen und nicht in das Hotelgelände hinein können. Es ist nicht das gleiche Meckern, wie das der Einheimischen. Die Gäste wollen da nicht „durch“, sie wollen „rein“.

Für sie ist das Grand Hotel nicht der üble Fremdkörper, als den einige (ich betone: einige!) Einheimische es sehen. Die Gäste wollen dort, wo es so toll aussieht, Kaffee trinken oder wenigstens einmal bummeln und schauen. Da es rings um das Grand Hotel nichts handfestes zu kaufen gibt, erwarten sie hier in diesen großen Bauten Markensachen, Luxusartikel, Waren aus Übersee, irgendetwas exotisches, vielleicht Souvenirs. Nichts davon hat das Grand Hotel zu bieten, immerhin könnten die Gäste hier aber in Bars und Restaurants einkehren und wirklich in schönem Ambiente das Grand Hotel erleben. Wenn ich die Preise für Kaffee, Eis und Kuchen nenne, ist das der Mehrzahl der Gäste nicht einmal zu teuer – sie würden gern dort einkehren, aber sie wissen nicht, wie. Natürlich nehme ich ernsthafte Interessenten am Ende der Führung mit hinein, aber die meisten würden gern noch ein paar meiner anderen Ausflugstipps sehen und danach erst zum krönenden Abschluss einkehren. Das Glas Wein bei Sonnenuntergang auf der Kurhausterrasse geht eben um 15:30 Uhr noch nicht. Ob sie dann tatsächlich einkehren, erfahre ich letztlich nicht.

Der Zeltpavillon vor dem Grand Hotel mit preisgünstigen Angeboten des Hauses wird zudem fehlinterpretiert: „Für uns ist ja das hier.“ nahm ein Gast an und es klang fast so, wie im Märchen, wo das Gesinde sich mit den Resten der Tafel zufrieden geben muss. Das war ganz sicher nicht der Gedanke Jörg Zumbaums. Der Insolvenzverwalter wollte das Hotel an den Tagesgästen Geld verdienen lassen und kaufmännisch ist an der Anschaffung eines billigen Zeltpavillons nichts auszusetzen. Minimaler Einsatz, größtmöglicher Gewinn. Welche Emotionen das hervor ruft, kriegt man nur außerhalb des Pavillons und nur von denen mit, die seine Angebote eben deshalb nicht nutzen – für einen Kaufmann also auch gar nicht relevant sind. Für das Image Heiligendamms hingegen schon.

Nicht alles, was gut gemeint ist, ist letztlich auch gut gemacht. In letzter Zeit häufen sich die gut gemeinten Dinge, die von den Gästen gar nicht so empfunden werden: Die Strandversorgung ist für sie nur eine billige Imbissbude und der Saisonparkplatz nur ein abgelegener Schotterplatz mit unverschämten Parkscheinautomat. Auf beides ist man im Rathaus unglaublich stolz, aber bei den meisten Gästen kommt es nicht an. Beides ist nur für Badegäste überhaupt relevant und die spielen im Traum von einem mondänen Seebad nur eine Nebenrolle. Wenn Heiligendamm nur eine Billig-Badewanne sein soll, muss die Stadt sich dazu bekennen und kann nicht zweigleisig auf sich gegenseitig ausschließende Dinge zusteuern. Es ist einfacher, nebenbei an Tagesgästen und Badegästen zu verdienen, als nebenbei an Luxushotel-Gästen zu verdienen.

Die Median-Klinik hat das Geldverdienen an Tagesgästen anders realisiert. Nach der Übernahme durch Advent International und Marcol drängten die beiden Private-Equity-Unternehmen auf schnelle und hohe Gewinne. Das liegt in der Natur dieses Beteiligungskonzepts und darum beschimpfte Franz Müntefehring solche Unternehmen als „Heuschrecken“. Die Median-Klinik wurde aufgestockt, das Klinikcafé umgebaut, verschönert und öffentlich gemacht. Aus dem schlichten Klinik-Charme wurde ein gemütliches Bistro-Ambiente. Man kann dort unglaublich günstig speisen und das wird auch sehr intensiv und großflächig beworben. Es gibt auch Fast Food, wie Wurst und Kartoffelsalat, aber eben nicht nur das und es spielt angesichts der bunt gefüllten Theke auch nur für richtig Hungrige eine Rolle. Median verdient an Tagesgästen und diese werden hier angenehm überrascht.

Aktuell will das Grand Hotel auf dasselbe Pferd setzen, allerdings knapp daneben. Median lädt ins Haus, das Grand Hotel will die neuen Angebote (Italiener, Sushi-Bar) wieder außerhalb des Hotelgeländes schaffen, nämlich im der Straße zugewandten Teil der Orangerie. Wieder werden die Menschen sich abserviert und ausgeschlossen fühlen. Auch wenn die Orangerie zum Grand Hotel gehört – für die Gäste sind die drei das Ensemble beherrschenden Bauten im Herzen Heiligendamms das Grand Hotel und die Orangerie ist „irgendwo da hinten.“ Kaufmännisch mag es Sinn machen, in sonst besser nicht nutzbaren Räumen an den Tagesgästen zu verdienen, aber es liest sich schon richtig unwürdig, oder? In der ersten Reihe hätte man viel mehr Besucher und damit auch viel mehr Chancen auf Gäste und man könnte es sich dort auch erlauben, einen Tick teurer zu sein. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum man das nicht nutzt.

In der Geschichte Heiligendamms findet sich dieses Phänomen der „Zoneneinteilung“ auch, aber da war es anders: Außerhalb des Hotels im Waldrestaurant und auf den Kegelbahnen, Schießplätzen und beim Lotto und Toto tummelten sich Hotelgäste, sie nahmen die Angebote Heiligendamms gern an, denn diese Angebote waren für sie gemacht. Wer Geld verdienen wollte, bot den Hotelgästen etwas – die Betonung liegt auf „Hotelgästen“. Im Grand Hotel selbst bot man Kolonialwaren, Tabak, Spirituosen, Keramik, Kunst und Kulturgüter feil, unten in den Erdgeschossen der drei Haupthäuser, rings um den ovalen Platz, das Herz Heiligendamms.

Heute kommt der Gast dort nur in die drei Gaststätten des Kurhauses und über Ecken in die Nelson-Bar. Im Haus „Mecklenburg“ gibt es unten im Erdgeschoss nur Zimmer und Suiten und Herr Weber sagte mir, die seien von Hundebesitzern sehr gefragt. Ich bin der Meinung, dass man gar nicht so viele Hundebesitzer nach Heiligendamm locken kann, wie man mit dem Erdgeschoss Geld verdienen könnte: Hier wäre Platz für Mode- und Schmuck-Boutiquen, kleine Spezialshops und vielleicht eine Brasserie mit Seeblick und die Tagesgäste wären mittendrin im Grand Hotel, ohne doch wirklich im Hotelbetrieb zu sein. Das ist gar keine Neuerfindung, sondern wird von Hotels gern realisiert, um an der Laufkundschaft zu verdienen. Solche Angebote kann dann auch nur das Grand Hotel schaffen, denn es macht das Herz Heiligendamms nun einmal aus. Zehn Außen-Gastro-Buden mit Grand-Hotel-Logo etc. können das nicht. Sie erreichen nicht das Herz der Menschen, sondern nur ihren Magen und der hat morgen schon wieder vergessen, was es gestern gab.

Die Erkenntnis aus der Gäste-Analyse:

Wenn ich die Leute auf die 300.000 jährlichen Tagesgäste hochrechne, die mir sagen, dass sie nicht wiederkommen, dann ist die Zahl derer, die Heiligendamm besuchen, bald erschöpft und die Stadt hat ein riesiges Problem. Mund-zu-Mund-Propaganda, soziale Netzwerke und Bewertungsportale potenzieren die Zahl der Desinteressenten noch – wo soll das enden, wann kommt keiner mehr? Vor diesem Hintergrund ist das Ehrenamt als Gästeführer überarbeitungsbedürftig. Es wird auf Dauer nicht reichen, sich von den wenigen interessierten Gästen finden zu lassen, denn irgendwann decken die Einnahmen nicht einmal mehr die Anfahrt- und Parkkosten. Wenn Hobbies zu viel Geld kosten, gibt man sie auf. Ich habe da durchaus Ideen, aber alles zu seiner Zeit.

Ich denke aber auch an all jene, die nicht ehrenamtlich zum Spaß und Selbstkostenpreis den Gästen etwas Information und Unterhaltung bieten und jederzeit damit wieder aufhören können. Wer in Heiligendamm seinen Lebensunterhalt verdient, der muss hochwertige Angebote machen, um die Hotelgäste anzusprechen, die in ihrer Oase eigentlich alles geboten bekommen. Kann er das nicht, hat er fast nur die Tagesgäste, an denen er verdienen kann. Etwa 300.000 sollen das pro Jahr sein, die meisten im Sommer. Wer also in Heiligendamm Geld verdient, muss im Sommer alles geben, denn im Winter wird es eng. Das geht dem Grand Hotel nicht anders, nur kann das wenigstens noch mit Wellness, SPA und Konferenzen punkten, während die Fisch- und Pommesbuden keinen Ganzjahresbetrieb realisieren können. 

Der Teufelskreis ist, dass einerseits also viel für Tagesgäste geboten wird, andererseits aber so erst recht nicht an Hotelgästen verdient werden kann. Sehr oft würde einer von denen das Vielfache an Geld ausgeben, das ein Tagesgast in Heiligendamm lässt, aber er kann es nicht, denn es gibt für ihn keine Angebote, weil sich alles nur auf Pommes, Fisch, Wurst, Eis und Espresso konzentriert. Wer so etwas verkauft, kann das in Heiligendamm (aber auch in Börgerende, Nienhagen und den anderen kleinen „Orten“) nur als Nebenjob machen. Wiederum kann er sich dann keine hohe Pacht leisten, sodass nur einfache Bauten ohne Gastraum entstehen können. Diese sprechen dann wieder nur Tagesgäste an, wenngleich auch die gern mal beim Essen im Warmen sitzen würden.

Die Gasthäuser, die das ganze Jahr über von ihren Einnahmen leben müssen, haben das begriffen. Sie bieten Speisen, die man nicht an jeder Ecke findet, haben in Wohlfühl-Ambiente investiert und locken mit besonderen Aktionsangeboten. Sie profitieren deshalb auch von Hotelgästen.

In Heiligendamm muss zusammengearbeitet werden und nicht gegeneinander, aber an einem Punkt müssen zwei das Gegenteil tun: Die Anbieter außerhalb des Grand Hotels müssen die Hotelgäste bedienen und begeistern und das Grand Hotel selbst muss umgekehrt die Leute von der Promenade abholen und ihnen etwas bieten, das sie begeistert. Ist das nicht am Ende sogar ein Miteinander?

Nun ist es Winter und ich bin schon voller Ideen für die kommende Gästeführer-Saison. Was ich davon umsetzen kann, hängt maßgeblich von der Zeit ab, die mir neben der jungen Familie bleibt. Ich hoffe, Ihnen hat mein „kurzer“ Einblick in meine Führungserlebnisse gefallen. Vielleicht sieht man sich in der nächsten Saison einmal. Die Führungen finden von Mai bis Oktober, immer mittwochs und sonntags um 14 Uhr am Eiscafé an der Promenade statt, aber ich bin natürlich nicht der einzige Gästeführer.

Ihr Martin Dostal

 

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