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Das Herz Heiligendamms: Schlägt es noch? (Langversion)

 

Friedrich Franz I. gründete hier Deutschlands erstes  Seebad.

Diese Erinnerung ist auf dem Findling vor dem Grand Hotel verewigt. Zwischen ihm und dem einstigen Badehaus „Haus Mecklenburg“ erstreckt sich ein großer Platz, der sich von den Schöpfern beabsichtigt dem von Osten her kommenden Betrachter nach und nach eröffnet.

Auf diesem Platz fing alles an, er ist das Herz Heiligendamms. Hier wurde 1796 das eben erwähnte erste Badehaus eröffnet, hier endete die Straße auf diesem großen Platz, hier kamen die Reiter auf den Pferden und die Fuhrwerke an. Wenn der Herzog (später Großherzog) am Vormittag eintraf, wurde das durch seinen Läufer angekündigt, der kurz vor ihm eintraf, dreimal mit der Peitsche auf den Boden knallte und dann die (Groß)herzogliche Quadrille in Empfang nahm. Wenn der (Groß)herzog mit seiner Yacht in See stach und wenn er wieder an Land ging, wurde dies mit Salutschüssen eigens dafür aufgestellter Kanonen angezeigt.

Der Platz war das pulsierende Zentrum des Seebades. Um ihn herum entstanden nacheinander auch der Salon (heute Kurhaus) und das heutige Haupthaus des Grand Hotels. An ihn anstoßend endete die Perlenkette. Alle Wege führten zum Herzen Heiligendamms. Das Kurhaus trägt die lateinische Inschrift HEIC TE LAETITIA POST SANEA BALNUM – Hier empfängt dich die Freude nach einem gesunden Bade. Die Inschrift war Programm: Der Salon diente einzig dem Vergnügen, das sich bis zu seinem Bau auf Doberan beschränkte und auf Grund der hohen Nachfrage und stärker werdenden Konkurrenz nun direkt am Meer geboten werden musste. Rauschende Bälle, opulente Festmahle, Musik und Tanz, Tees und Dejeuners – Kultur pur in Severins Verwirklichung des griechischen Traumes vom Tempel am Meer bestimmten das Geschehen am Heiligen Damm.

 

Das Herz hatte viele Namen.

Das blieb über Jahrhunderte so: Mit einem Rondell begegnete man der Automobilisierung der Gesellschaft und schuf eine Art Kreisel, der die Fußgänger von den Fahrzeugen trennte. Die noblen Karossen konnten mitunter direkt an der Seebrücke parken. Die Promenade war zum Promenieren da und der „Festplatz“ und später „Kurplatz“ war die Verbindung zu allen. Die Promenade führte darüber, zur Seebrücke ging es hier, zu den sechs Häusern des Grand Hotels und später auch zum Bahnhof. Professor Vogel war es in der Anfangszeit und Großherzog Paul Friedrich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der sich um die einfache Bevölkerung sorgte. Unter Leitung Vogels entstand ein Armenkrankenhaus hinter dem Badehaus, das mit dem Bau der Burg nach Süden versetzt wurde und Paul Friedrich ließ ein „Schilling-Bad“ ganz am Ostrand des Strandes bauen, um einerseits den einfachen Leuten auch Badevergnügen zu bieten, andererseits auch an ihnen zu verdienen. Nach dem Verkauf des Bades zuerst an Baron von Kahlden und dann an Baron von Rosenberg entstanden Pensionen, ein Kaufmannserholungsheim, ein Schwesternheim, später auch ein Kinderheim und Altenheim. Das alles aber weit hinter dem Bade, der Festplatz blieb jedoch auch hierfür die Drehscheibe.

Mit zunehmenden Besucherströmen lenkte man diese mit weißen Holzzäunen, grünen Hecken und bunten Blumenrabatten in geordnete Bahnen, beruhigte die Perlenkette mit ihren Logierhäusern und die herzoglichen Cottages im Westen, friedete Grünflächen ein und lenkte die Menschen zur Mitte des Ensembles. Was auch bedeutete, dass sich die Menschenmassen immer mehr auf den Festplatz konzentrierten. Dort gab es Gastronomie, Geschäfte, Konversations- und Warteräume, Zugang zu den Bädern und den medizinischen Angeboten und nach der Privatisierung auch Gaststätten und Geschäfte im Kurhaus, dem Grand Hotel  und dem Haus „Mecklenburg“. Der Festplatz mit seinen Bauten ringsherum bot alles, was das Seebad bieten musste. Hier schlug das Herz Heiligendamms.

 

Zwei Diktaturen änderten nicht viel.

Als KdF-Bad (KdF = Kraft durch Freude, Ferienorganisation des Deutschen Reiches) funktionierte das Ensemble nach den gleichen Prinzipien, wie zuvor als Luxus-Hotel. Bedürfnisse mussten befriedigt und der Bedarf mit Angeboten gedeckt werden. Was einst Angebote für die oberen Zehntausend waren, waren nun Angebote für alle, auch wenn die KdF-Zugehörigkeit nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Heiligendamm elitär war, Gauleiter Hildebrandt und Rüstungspionier Heinkel hier Sommerhäuser hatten und Hitler, Goebbels & Co. ein und aus gingen. Nach einem kurzen Intermezzo als Reservelazarett und Reichskadettenschule und dem scheinbar besiegelten Ende Heiligendamms durch Demontage ging es ähnlich wie zu KdF-Zeiten weiter.

Die Massenorganisation hieß nun FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) und der Staat Deutsche Demokratische Republik. Elitär war Heiligendamm nicht mehr – Erich Honecker zog das IFA Grand Hotel Graal Müritz vor – aber besonders blieb das erste deutsche Seebad trotzdem. So vermarktete es der Planwirtschafts-Staat dann auch, holte Demonstranten gegen die Atombombe aus West-Berlin zur Kur nach Heiligendamm, richtete ein Haus für Verfolgte des Naziregimes ein (Rosa-Luxemburg-Haus/ Villa „Schwan“), spezialisierte je ein Haus auf Gäste aus dem Bereich der Wissenschaft (Max-Planck-Haus / Prinzessin-von-Reuß-Palais) und dem Bergbau (Haus „Glück auf“ / Burg „Hohenzollern“). Im „Sanatorium für Werktätige“ gab es zu Tisch eine Zweiklassengesellschaft in unterschiedlichen Räumen mit unterschiedlichen Speiseangeboten, hier mit, dort ohne Südfrüchte. Vielleicht war es also doch elitär, nur auf eine andere Art, als Grral-Müritz und Nossentiner Hütte.

Das Herz der alten Dame Heiligendamm war offen für alle: Fußgänger und Radfahrer drängten zwischen den Gebäuden hindurch, hier und da konnten Autos fahren, im Schwanen-Café unter den Kolonnaden gab es Kaffee und Kuchen und einfache Gerichte, in der „Palette“ ging es am Abend hoch her und zwei Imbisse rechts und links sorgten für die einfache Versorgung mit Essen und Trinken. Konsum, Post und Drogerie gab es in der zweiten und dritten Reihe und im Herzen Heiligendamms lud das Restaurant im Kurhaus alle ein. Ansonsten war das Innere der Gebäude für die Tagesgäste tabu, da Erholungsheim und kein Museum. Das Herz der alten Dame pochte zwar, aber es fand kaum Beachtung, war ein Herz unter vielen, Heiligendamm war einfach nur ein Stadtteil mit Stadtteil-Infrastruktur. Das Seebad an sich beschränkte sich auf den bewachten Strand, feste Imbisse und Cafés und ein paar Geschäfte. Weniger, als in Kühlungsborn, aber mehr, als in Börgerende. Heiligendamm war nicht der typische Urlaubsort, sondern ganz auf das Sanatorium ausgerichtet. Und dessen Patientenzahl und Aufenthaltsdauer war immer gleich bleibend, da vom Gesundheitssystem diktiert.

 

Luxus-Hotel ist alternativlos.

Das änderte sich mit der Schließung der Ostseeklinik: Ein Staatsbad wollte der Staat nicht, ein Sanatorium wäre ein Zuschussobjekt geblieben und war deshalb vom Land nicht gewollt und die Versuche, das Ensemble zu einer privaten Kurklinik zu machen, scheiterte. Weder die Asklepios-Gruppe, noch die Dr.-Marx-Gruppe schafften es, dafür eine Finanzierung zu bekommen. Bei letzterer reichte es nur für die viel kleinere MEDIAN-Klinik.

So blieb nur Anno August Jagdfeld als letzter Bewerber übrig. Sein Konzept war und bleibt die einzige Chance, mit Heiligendamm Geld zu verdienen, statt welches zuschießen zu müssen. Auf dem kleinen Raum, der in Heiligendamm zur Verfügung steht, kann nur mit wenig Gästen Geld verdient werden. Um also möglichst viel Geld zu verdienen, müssen die wenigen Gäste möglichst viel Geld zu zahlen bereit sein. Ein Luxus-Hotel allein würde da nicht reichen, zumal nur an etwa 100 Tagen im Jahr mit einer vollen Auslastung zu rechnen ist. Um auch in der Nebensaison für Auslastung zu sorgen, nahmen die für Jagdfeld tätigen Planer ein Konferenzzentrum und einen Ballsaal mit in den Masterplan auf. Zudem sollten Apartments hinter dem Ensemble entstehen, deren Gäste wiederum für sorgen, dass die hochwertige Gastronomie und der SPA-Bereich sich auch im Winter zu betreiben lohnen. Für den steigenden Bedarf wurde ein Thalasso-Zentrum geplant, das einerseits das Angebot des HeiligendammSPA im Grand Hotel erweitern, andererseits durch eigene Angebote auch ergänzen sollte. Hier und im geplanten Ayurveda-Zentrum will man Gesundheitstouristen anlocken und mit der Schönheitschirurgie auch ein zusätzliches Angebot an diese Klientel unterbreiten. Zugleich wird man damit den Anforderungen an ein Seebad gerecht. Viele Detailplanungen, die eigentlich Sache der Stadt und des Landkreises sind, fanden schon 1997 im Masterplan der FUNDUS-Gruppe Berücksichtigung. Eine zweite Seebrücke zum Beispiel oder auch ein Strandzentrum. Das Grand Hotel kann nur in einem funktionierenden Seebad überleben. Da dieses nicht mehr existierte, wollte Jagdfeld es schaffen – wissend, dass die Stadt weder das Geld, noch die Kompetenzen dazu hatte. Das Land und der Landkreis als originär für die Seebadentwicklung Verantwortliche drängten deshalb die Stadt zur Zustimmung. Überzeugt hat Jagdfelds Konzept in Bad Doberan nur die wenigsten, denn die meisten gerade der Entscheidungsträger haben aus ganz normalen Gründen keine Ahnung von Stadtentwicklung, Hotelerie und Tourismus und darum das Konzept bis heute nicht verstanden.

Mit Hilfe von etwa 1900 Anlegern, Banken und Fördermitteln machte er das Grand Hotel wieder zu dem, was es einmal war: Dem Luxus-Hotel der Extraklasse in Deutschlands ältesten deutschen Seebad. Dieses auch wieder zu einer Top-Destination zu machen, war sein Plan und den teilten Land und Bund, Landkreis und – wenn auch zögerlich – die Stadt. Alle Beteiligten gingen recht kurzsichtig an die Sache und glaubten, ein Luxus-Hotel in sechs nicht miteinander verbundenen Häusern auf einer grünen Wiese würde funktionieren. Das wiedererstrahlende einzigartige Ensemble machte von sich reden, gewann sogleich Auszeichnungen und bestimmte 2003 die bundesweite Presse.

 

Nach der Hoteleröffnung drohte der Herzinfarkt.

Das zog viele Menschen an. Die einen wollten in das Hotel hinein, um dort für viel Geld die neue Definition von Luxus-Urlaub zu erleben und die anderen wollten hinein, um zu sehen, wie die Reichen und Schönen wohl leben. Die Konflikte waren vorprogrammiert: Hier neugierige Blicke auf die Teller der Gäste und sogar durch die Fenster im Erdgeschoss, dort abfällige Bemerkungen oder Gesten der Neider und woanders das Getuschel von Tratschenden, dazwischen das Klicken der Fotoapparate, Halbnackte auf der Suche nach einem Imbiss oder der Toilette und mit jeder Molli- und Busankunft neue Ströme von Touristen über das Hotelgelände. Das Herz Heiligendamms war offen für alle und alle trampelten darauf herum. Würde es so weiter gehen, drohe ihm der Infarkt und dem frisch eröffneten Grand Hotel das Aus.

 

Goldener Käfig belastet den Kreislauf.

Für den Kaufmann zählen in erster Linie die Zahlen, denn er hat eine Verantwortung gegenüber seinen hier fast 300 direkten Mitarbeitern und den vielen Partnern. Eine kaufmännische Lösung für ein so praktisches Problem, wie es sich in Heiligendamm auftat, gibt es nicht. Und die praktische Lösung lautete nun einmal, den zahlenden Kunden die Annehmlichkeiten zu bieten, für die sie zu zahlen bereit waren und die nicht zahlenden Kunden notfalls dadurch außen vor zu lassen. Die praktische Lösung jedes genervten Grundstückseigentümers ist: Zaun drum.

Für die Tagesgäste und Einheimischen war das herzlos, den Kempinski-Managern fiel jedoch angesichts der drohenden Pleite ein Stein vom Herzen. Nun ist es kein Problem, ein Wohnhaus auf einem abgeschlossenen Grundstück zu betreiben, aber dass ein Geschäft darauf nicht funktioniert, zeigte sich schnell. Experten rieten Jagdfeld dazu, den SPA-Bereich zu vergrößern, im Grand Hotel Gesundheitsangebote zu schaffen und Sport- und Spielangebote zu machen. Umso mehr die Hotelgäste zu ihrer Beschäftigung und ihrem Vergnügen haben, umso besser ist die Auslastung. Wenn genug Leute kommen, lange genug bleiben und genug zu zahlen bereit sind, dann funktioniert auch ein umzäuntes Hotel – das ist das Resort-Prinzip.

 

Herztransplantation nicht geglückt.

Mit diesem Resort-Prinzip aber nimmt man der Familie die geliebte Oma weg und steckt sie ins Altersheim. Dort lebt sie auch und vielleicht tut es ihr sogar gut und sie lebt wieder neu auf, aber wer in der Familie sieht das schon? Jagdfeld versuchte eine Herz-Transplantation und diese ist ihm nicht wirklich gelungen. Alte Bäume verpflanzt man nicht.

 

Stichweg ist Symptombekämpfung.

Nun gab es ganz unterschiedliche Ansätze, das nicht klar definierte aber gefühlt doch vorhandene Problem zu lösen. Die einen saeen die Folgen und verkennen die Ursachen und wollen einen Stichweg ins Herz von Heiligendamm und glauben es sei gut, die Tagesgäste und Einheimischen auf einem direkten Weg zum Seebrückenvorplatz zu führen. Was die Gäste dort sollen, das sie nicht auch „außen herum“ bekämen, bleibt unklar.

Der Stichweg bekämpft nur Symptome und schafft dabei neue Krankheiten, denn er schneidet die Perlenkette von dringend benötigten Grand Hotel ab und zwängt bildlich gesehen (!) „einen Rudel Hunde zwischen zwei Perserkatzen-Körben hindurch“. Das Grand Hotel und die Perlenkette würden durch den Stichweg mehr Schaden nehmen, als der Weg je nützen kann (abgesehen von den Wählerstimmen von sich einen möglichst kurzen Weg zum Strand wünschenden Einheimischen, die einen wenigen Stadtvertretern und dem Bürgermeister nützen, welche deshalb den Stichweg fordern – vernünftige Gründe konnte keiner benennen; eine Kosten-Nutzen-Rechnung gibt es bis heute nicht.)

 

Nach Kempinski-Ausstieg wurden Teilöffnungen versucht.

Bürgermeister und Stadtvertreter sind so sehr auf den Stichweg fixiert, dass sie nicht mehr sehen, dass dieser neue Probleme schafft, ohne alte zu lösen. Nach dem Ausstieg der Kempinski-Gruppe versuchte die Jagdfeld-Gruppe im Eigenbetrieb des Grand Hotels eine Teilöffnung. Nicht aus karitativen Gründen: An den vielen Tagesgästen nicht verdienen zu wollen, hätte an Dummheit gegrenzt und darum stellte das Grand Hotel nun einen Pagen an das Tor am Findling und installierte eine Klingel an das Haupttor. Damit hoffte man zugleich, den Forderungen nach mehr Öffnung gerecht zu werden, ohne wirklich etwas öffnen zu müssen. Das Prinzip wurde richtig erkannt.

In der gemeinsamen Zeitung „Zukunft Heiligendamm“ lud man die Leser ein, im Grand Hotel Kaffee zu trinken, in eine der Bars oder das Restaurant zu gehen oder sich im SPA-Bereich zu erholen. Regelmäßig konnte man ein Frühstück zu zweit gewinnen, es wurden Hausführungen angeboten und Professor Skerl hielt Vorträge im Grand Hotel für jedermann. Die Zeitung erklärte und brachte dem interessierten Leser alle Tätigkeitsbereiche der Jagdfeld-Gruppe in der Umgebung näher. Das Hotel zeigte Offenheit, ohne dass dafür an der Umzäunung etwas geändert werden musste. Das Prinzip wurde also auch richtig angewandt, aber nicht zu Ende geführt.

In den Köpfen der Einheimischen hatten sich „Reichenzoo“ und „Sperrgebiet“ verankert und die Gäste selbst fanden Führungen und die Durchmischung sehr befremdlich und wollten den Urlaub unter Ihresgleichen verbringen, so wie es der Camper auf dem Campingplatz auch erwartet. Die Teilöffnung scheiterte an der Mauer in den Köpfen all jener, die sich nicht informierten und daher nicht realisierten, dass das Grand Hotel offen für sie ist.

Für all diese zählen nur offene Zäune. Wer diese Diskussion beenden will, muss zwingend Zaunfelder entfernen. Jedoch nicht unbedacht und auf gar keinen Fall alle – das wäre Selbstmord. Bestimmte Bereiche müssen öffentlich zugänglich sein, aber auf jeden Fall so, dass sich die Gästegruppen nicht ungewollt berühren. Tagesgäste müssen im Kurhaus speisen und Hotelgäste im Imbiss Kuchen essen dürfen, aber auf keinen Fall dürfen die Bereiche vermischt werden. Am Ende der Analyse wird dies noch einmal an Hand praktischer Beispiele deutlich.

Der bestellte Insolvenzverwalter Jörg Zumbaum versuchte im Jahre 2012 eine praktische Teilöffnung, indem er einfach die Schranken am Haupteingang offen stehen und einige Zaunfelder so entfernen ließ, dass man den Haupteingang passieren konnte. Tatsächlich wurde das auch von vielen Tagesgästen angenommen, aber da sie dadurch in der Sackgasse landeten, war es kontraproduktiv. Eine ganze Öffnung wagte der Insolvenzverwalter nicht – die Folgen waren ihm klar und mussten vermieden werden.

Die neuen Eigentümer nun versuchen es wieder mit einer Art Pagen, der die Leute da hinein lässt, wo der Bedarf am größten ist: am Findling. Da die Person normal gekleidet und als Page nicht erkennbar ist, kommt dieses Angebot bei den meisten Tagesgästen nicht an. Sie sehen das Angebot nicht, weil es einfach zu versteckt ist. Zugleich wissen die neuen Eigentümer, dass mehr nicht geht und betonen zusammen mit dem Hotelmanagement, dass die Situation vor 2004 sich nicht wiederholen darf.

 

Schauen wir uns also das Herz Heiligendamms einmal an:

Alles was wir sehen, ist eine grüne Wiese. Sie soll als Pufferzone dienen, um die Hotelgäste vor zu neugierigen Blicken und vor gewisser Lärmbelästigung abzuhalten. Nicht nachvollziehbar ist, dass dann ein Kinder-Fußballplatz auf dem Rasen existiert. Der Platz ist so anspruchslos, wie nie zuvor in seiner Geschichte und bezogen auf das Herz Heiligendamms möchte man sagen, es ist ein kaltes Herz, kein großes Herz und fern jeder Herzlichkeit.

Ohne Herzlichkeit aber wird es dem Hotel nach wie vor schwer fallen, die Akzeptanz zu finden, die es braucht. Die Leute sehen nur die Zäune und Barrieren, die Unerreichbarkeit dessen, was sie sehen und erleben wollen. Sie sind unzufrieden und aus dieser Unzufriedenheit heraus sind solche Ideen wie der Stichweg entstanden. Er wäre überflüssig, wenn…

Wenn es auf diesem Sackgassen-Platz irgendetwas gäbe, das die Tagesgäste (und Einheimischen) zufrieden stellt. Ein Imbiss-Pavillon kann das nicht, die Leute kommen nicht zum Essen nach Heiligendamm, sondern wegen der Weißen Stadt am Meer. Sie wollen das erste deutsche Seebad kennen lernen. Außer dem Findling aber erinnert nichts an dessen Existenz und weiß ist die Stadt am Meer nicht. Das Meer selbst enttäuscht, ist nichts als ein unsauberer und im Sommer überfüllter und vermüllter Strand mit einem einfachen geraden und kurzen Steg, an dessen Ende einen nichts außer frischer Luft und Ferngläser erwartet. Das ganze Seebad enttäuscht durch Strukturlosigkeit, Unsauberkeit und Anspruchslosigkeit, gepaart mit Anarchie und Ignoranz. Nichts von dem, was der Gast vom ersten deutschen Seebad erwartet, kann dieses bieten – rund um das Hotel und einige gastronomische Exklaven herrscht DDR-Niveau. Daran ändert kein Stichweg etwas – er macht das Erlebbare nur noch geringer, kürzt den Erlebnisweg ab, führt direkt ins touristische Nichts und bringt dabei das wenige, womit man in Heiligendamm noch Geld verdienen kann, unnötig in Gefahr. Stichweg-Befürworter sind verantwortungslos der Stadt und ihren Bürgern gegenüber, sie nehmen den Tod Heiligendamms billigend in Kauf.

 

Erwartungen aller Gäste bleiben unerfüllt.

Was die Gäste (und zwar ALLE Gästegruppen) neben den Seebad-Basics, wie sauberen Sandstrand, lange Promenade und Landschaftswege, bunten Kurpark, Yachthafen und für so ein altes Seebad schon eine besondere Seebrücke erwarten, sind echte Angebote für sie. Eine Bummelmeile (meist kommt sie als Boulevard daher) mit Geschäften, Boutiquen, Shops, Bistros, und einem touristischen und maritim angehauchten Branchenmix vermissen die meisten Gäste und haben sich einfach mehr von Heiligendamm versprochen.

Im Herzen Heiligendamms erwarten die Gäste Wärme und Freundlichkeit und das Gefühl, willkommen zu sein. Sie wollen nicht abgezockt und nicht billig abgespeist werden, Provisorien empfinden sie als störend, wollen wissen, dass das was sie heute sehen auch im nächsten Jahr noch da ist.

 

Beispiele für Öffnungsmöglichkeiten.

Wer in einem so historisch bedeutungsvollen Ort wie Heiligendamm zu Gast ist, der will die historischen Gebäude nicht nur von Weitem sehen, sondern auch in einem Mindestmaß daran teilhaben können. Im Erdgeschoss des Hauses „Mecklenburg“ ein paar nicht eben billige Geschäfte, etwas gehobene Gastronomie, z.B. eine Brasserie und etwas Geschichte zum Anfassen und Zugänge zum Kurhaus und zur Nelson-Bar würden das Herz Heiligendamms erlebbar machen. Ein Rondell hat sich stets bewährt, ordentlich geplant kommt es nicht zu Interessenkonflikten und würde das Rondell nur Rund- nicht Durchgangsweg sein. In seine Mitte gehört etwas einzigartiges, ein Kunstwerk, das unverwechselbar Heiligendamm ist – zum Beispiel aus Blumen und Wasserflächen das Logo des Grand Hotels oder ein neues Logo für Heiligendamm als Ganzes.

Natürlich muss auch die Seebrücke in Heiligendamm besonders sein, es muss hier und auch im Ort verteilt Überdachungen (Arkaden) geben, es fehlen an dieser Stelle öffentliche Toiletten, Angebote für Kinder und für Erwachsene, für Kulturinteressierte und für Bildungsreisende. Ein Visitor-Center zur Geschichte Heiligendamms, eine Lounge mit Gastronomie auf dem Meer, ein Schiffsanleger, eine Badeinsel, Sportangebote und vieles mehr muss her, wenn nicht am jetzigen Seebrücken-Standort, dann an einem neuen im Osten, wo viel Platz für Neues und Nützliches ist.

Seebäder wachsen nicht von der See ins Innenland, sondern immer erst entlang der See und dann ins Innenland. Alles andere kann nicht funktionieren, denn die Gäste kommen wegen dem Meer und wollen es auch sehen und erleben. Im Osten ist Platz für eine lange Seepromenade bis nach Börgerende und Nienhagen,  vielfältige und verbindende Landschaftswege, einen richtigen Kurpark und für Alleinstellungsmerkmale, wie ein  Konferenzzentrum am Meer oder eine in die Ostsee übergehende Therme.

Ein Zentrum im Osten kann und soll das Herz Heiligendamms nicht ersetzen.
Es soll nur den Weg zum Herzen interessanter, erlebnisreicher und ökonomisch auch nutzbringender machen. Am Ende muss jeder Gast das tun, was die Erbauer Heiligendamms wollten: Von Osten nach Westen gehen und das Ensemble sich öffnen sehen. Und am Ende muss er das Herz Heiligendamms erleben, es fühlen und schlagen hören.

Wäre im Herzen Heiligendamms was los, wäre die Länge des Weges dorthin egal (andere gehen vom Nordpol zum Südpol zu Fuß für einen Kuss) und wenn an einem längeren Weg Geschäfte, Cafés, Shops und Boutiquen liegen würden, dann wäre das der Weg, den die Gäste freiwillig nehmen. Ein öder Stichweg durch den Wald und im Zickzack abgeschottet zwischen Gebäuden hindurch mit Ende auf einem Platz mit einer Imbissbude kann all das nicht. Ein Stichweg macht Heiligendamm (und seine Befürworter) nur lächerlich.

 

Schlägt das Herz Heiligendamms noch?
Ja, wenn man genau hin hört, dann hört man ein leises Pochen. Aber man muss sehr genau hin hören, denn man hört nebenher so viele andere Dinge in Heiligendamm, die lauter sind und den Puls der Weißen Stadt übertönen. Gehen Sie mal hin, setzten Sie sich auf die Kurhausterrasse, schauen Sie bei einer Tasse Kaffee aufs Meer und Sie werden in einem ruhigen Augenblick das Herz der alten Dame schlagen hören – dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz… Können Sie es hören?

 

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