Aussichtskugel statt Baumwipfelpfad: Neue Attraktion in Bad Doberan geplant – und verworfen
Rostocker Unternehmer plant Aussichtsplattform an der Rennbahn. Sie wäre leichter umsetzbar, als ein Baumwipfelpfad und würde keine Natur zerstören. Doch sie kostet Platz und das macht den Veranstaltern der ZAPPANALE Sorgen. Kann ein Wohnmobilhafen diese Sorgen beseitigen?
UPDATE 27.09.2022:
Die Stadtvertreter haben mit 11 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung das Vorhaben abgelehnt. Argumente gegen das Vorhaben sind der abgelegene Standort, der Wegfall von ca. 200 der 1300 Parkplätze, der Verkehr und, dass es sich um ein massentouristisches Angebot handelt. Aber auch das Fehlen eines Gesamtkonzepts für die Rennbahn und ihre Nebenflächen wurde bemängelt. Es wurde argumentiert, keine Einzelprojekte realisieren zu sollen, bevor nicht ein Gesamtkonzept für die Rennbahn und die quasi dazu gehörigen, weil mit genutzten Flächen existiert. Die Bernsteinreiter nutzen das Innere der Bahn, das Geläuf selbst soll für Rennen genutzt werden, der Vorplatz ist Veranstaltungsfläche und die Aussichtsplattform und der Wohnmobilstellplatz wären zwei weitere unabhängige Projekte. Diese beiden Projekte sind mit der Abstimmung vom Tisch.
Eigentlich wollte die Erlebnis-Akademie AG an der Rennbahn zwischen Bad Doberan und seinem Ortsteil Heiligendamm einen Baumwipfelpfad wie in Prora auf Rügen bauen. Die Stadt hat das Projekt auch unterstützt und einen Bebauungsplan aufgestellt, aber der Teufel steckte im Detail: Der Pfad sollte natürlich im Wald entstehen, die Parkplätze und Bushaltestelle sind aber auf der anderen Seite durch eine Allee und die Molli-Trasse voneinander getrennt.
Aussichtskugel folgt der Planung für den Baumwipfelpfad
Die Idee war nun, eine Hängebrücke von der Rennbahn rüber zum Wald zu bauen. Die Straße wäre sicherlich nicht das Problem gewesen, aber unter dieser Hängebrücke würde der Molli fahren – und Rauch, Ruß und heißen Wasserdampf nach oben schleudern. Abgesehen davon, dass man keinem Menschen dieser Gefahr aussetzen würde, hätte das auch Auswirkungen auf die Konstruktion selbst. Am Ende scheiterte das Projekt an diesen Details, denn auch wenn man eine Lösung gefunden hätte, wäre sie teuer geworden.
Trotzdem steht der Bebauungsplan. Warum sollte man das nicht nutzen?
Das dachte sich wohl auch der Rostocker Unternehmer Lutz Hoffmann und stellte der Stadt seinen Plan vor: Statt eines Pfades durch die Baumwipfel will er eine Kugel aus Stahl und Holz bauen, in der man auf spiralförmigen Pfaden mit sanfter Steigung auf eine 40 Meter hohe Art Plattform kommt. Im Inneren soll eine Rutsche für rasanten Spaß sorgen und drum herum auch ein Spielplatz und Gastronomie entstehen.
Die Kugel würde also das bestehende Angebot der Bernsteinreiter ergänzen. Vor allem soll sie aber die Saison verlängern, denn sie würde auch bei nicht so guten Wetter Touristen anziehen. Mit 100.000 im ersten Jahr und dreimal so viel pro Jahr danach rechnet der Investor und argumentiert: „Bis auf die Sommerrodelbahn, den Rostocker Zoo oder Karls Erlebnisdorf gibt es in der Region neben dem Strand doch nicht mehr so viel, um auch die Kinder bespaßen zu können.“
Sieben Millionen soll das Projekt kosten, ein Teil würde gefördert werden. Wenn es nach ihm ginge, würde der Bau 2023 starten und 2025 die Eröffnung sein.
Veranstalter sehen ZAPPANALE in Gefahr
Mit der Idee stößt Hoffmann erst einmal auf offene Ohren. Sie entspricht dem, was die Stadt sowieso geplant hatte, braucht aber keinerlei Veränderungen im Forstbestand und versiegelt wohl weniger Fläche, als der Baumwipfelpfad.
Die Fläche ist dennoch ein Problem: Es geht um 1,6 Hektar, die jetzt grüne Parkflächen sind und zu einigen Events auch für die Gäste zum Campen zur Verfügung gestellt werden. Vornehmlich ist das bei der ZAPPANALE der Fall und von deren Veranstaltern kommt dann auch der erste Einwand.
Zunächst sah Bürgermeister Jochen Arenz das Problem nicht, weil auch während der Zappanale genug Platz ungenutzt blieb. Er wolle aber prüfen, ob während Veranstaltungen die rechte Straßenseite als Parkreihe freigegeben werden kann. Die Stadtvertreter beauftragten die Stadtverwaltung mit der Klärung der strittigen Punkte. Grundsätzlich kamen aus mehreren Fraktionen positive Stimmen.
Was ist wo auf Deutschlands ältester Pferderennbahn?
Im Moment befinden sich die Bernsteinreiter in der Mitte der 1802 erstmals genutzten und 1822 mit der Gründung des Rennvereins offiziell majorisierten, 1945 aufgelösten und 1992 wieder eröffneten Rennbahn. Das Geläuf kann nach seiner Sanierung weiterhin für Pferderennen genutzt werden.
Ohne die Traditionsrennen würden die Denkmalschutz-Auflagen nicht mehr erfüllt werden, denn eine Rennbahn ohne Rennen ist keine Rennbahn – erst Recht nicht, wenn man dort ausschließlich ganz andere Dinge drauf und drum macht.
Zu klären ist noch, wer die Rennen in Zukunft veranstaltet. Bisher hatte der Doberaner Rennverein die Flächen von der Stadt gepachtet, aber ihre Pflege und Instandhaltung letztlich nicht mehr stemmen können, sodass die Stadt die Pachtverträge mit dem Verein beendete. Damit waren nicht alle Vereinsmitglieder einverstanden, aber letztlich ist das ein internes Problem des schon seit Jahren recht zerrütteten Vereins.
Der Rennverein hatte vergangenes Jahr Insolvenz angemeldet, sodass es den Mitgliedern möglich ist, die Sache geordnet zu beenden. Und vielleicht geordnet neu zu beginnen – nur als Veranstalter ohne die bisherigen großen Verpflichtungen. Aber das steht noch in den Sternen.
Zum Rennbetrieb gehört auch ein eingezäunter Bereich an der Nordwestseite des Geläufs, in dem die Geräte für die Rennen untergebracht sind. Dieser Teil wird von den Bernsteinreitern mit genutzt.
Für Veranstaltungen steht nur der vordere Bereich mit den Alleen und dem Festplatz zur Verfügung. Der Bereich ist von der eigentlichen Rennbahn abgetrennt, aber eine Verbindung jederzeit möglich.
Der Veranstaltungsbereich kann bis auf Einlasstore geschlossen werden, sodass auch Veranstaltungen mit Eintrittsgeldern möglich sind. Das ist z.B. bei der ZAPPANALE der Fall.
Die Aussichtsplattform wiederum soll auf dem südlichen – an die Wendeschleife angrenzenden – Teil des ca. 1300 Stellflächen umfassenden kostenlosen Parkplatzes entstehen. Der Rest bleibt Parkplatz.
Bisher durfte diese Fläche während bestimmter Veranstaltungen zum Campen genutzt werden. Nun würde sich diese Fläche quasi nach Norden verschieben. Das würde Parkplätze kosten, die dann denen fehlen, die nicht campen und mit dem Auto kommen. Das würde der Bürgermeister gern mit einer zusätzlichen Parkreihe während der Veranstaltungen kompensieren.
Stadt plant Wohnmobilhafen an der Rennbahn
Die Stadt hat allerdings noch eine andere Idee, die unabhängig von den aktuellen Plänen entstanden ist und das neue Problem lösen könnte. Weil in Heiligendamm die Wohnmobile zum Problem werden, man sie aber nicht verbieten, sondern den Gästen stattdessen etwas anbieten möchte, hat die Stadt nach Lösungen gesucht. An der Rennbahn könnte ein Wohnmobilhafen entstehen.
Die stadteigene Neue Ostsee-Wohnpark GmbH & Co. plant den Bau von 50 Stellplätzen für Wohnmobile bis 3,5 Tonnen und fünf für große Wohnmobile bis 7,5 Tonnen – Autos mit Wohnwagen sind ebenfalls erlaubt. Der Unterschied zwischen Wohnmobilhafen und Campingplatz ist die Nutzungsdauer:
Im Wohnmobilhafen darf der Stellplatz nur drei Tage genutzt werden. Es ist also nicht vorgesehen, an der Rennbahn Campingurlaub zu machen. Gleichwohl soll es ein Sanitärhaus mit Toiletten und Duschen und einer Gemeinschaftsküche geben. Dort werden auch gleich ein Technikraum und zusätzliche Toiletten für Veranstaltungen integriert.
Die Kosten werden derzeit auf 1 Mio. Euro geschätzt. Die Gesellschaft hat durch die Vermarktung der Grundstücke im neuen Teil des Ostseewohnparks (Bebauungsplan B12) einen Überschuss erwirtschaftet und müsste sie an die Stadt ausschütten. Weil die Gewinnausschüttungen aber kapitalertragssteuerpflichtig sind, hat die Stadt nach Möglichkeiten gesucht, diesen Betrag über die Tochtergesellschaft zu investieren, statt ihn ausschütten zu lassen. Dabei sollen die Investitionen auch der Stadt zugutekommen – auch wenn der einzelne Bürger für sich natürlich nicht immer gleich einen Nutzen darin erkennt.
Die nächsten Entscheidungen fallen am 23. September 2022.
Kommentar: Bitte nicht vergaloppieren!
Sie ist die älteste Rennbahn Deutschlands – vielleicht sogar ganz Festland-Europas. Sie ist über 200 Jahre alt und auf ihr sind namhafte Jockeys auf berühmten Pferden prominenter Rennställe geritten. Für den Rennsport war die Rennbahn Bad Doberan-Heiligendamm nicht nur Sport, nicht nur Vergnügen, sondern knallharte Leistungsprüfung. Hier entschieden sich Karrieren von Mensch und Tier – bei letzteren ging es auch mal um Leben und Tod.
All das ist Geschichte, nach dem 2. Weltkrieg einfach mal eben umgepflügt, ein halbes Jahrhundert begraben unter den Folgen der Bodenreform der DDR. Doch die Rennbahn bekam eine zweite Chance Dank engagierter Menschen in Politik und Wirtschaft – nicht nur in Schwerin, sondern auch und vor allem hier vor Ort in Bad Doberan. Nach der Wiedervereinigung fanden wieder Rennen statt – Glanz und Gloria kehrten zurück ins erste deutsche Seebad und mit der Eröffnung des Grand Hotels Heiligendamm kamen noch weitere Ideen hinzu. Polo-Turniere zum Beispiel – ein nicht weniger elitärer Sport.
Das kam nicht. Die Stadtverteter wollten es nicht, denn sie erkannten, dass die Bahn und die Rennen viel Geld kosten würden. Man hätte sich die Last teilen können, aber das tat man nicht: Man verpachtete die Rennbahn an den neu gegründeten Doberaner Rennverein. Ein kleiner privater Verein sollte nun das schaffen, was die Stadt sich selbst nicht zutraute. Möglich, dass man auf gute Verbindungen in die finanzkräftige Szene hoffte.
Zunächst lief alles gut – sonnige Renntage, tolle Hüte, namhafte Sponsoren, gute Publicity. Doch die Engagierten wurden auch älter und was bisher in körperlicher Eigenleistung ging, fiel zunehmend schwerer. Die Rennbahn verfiel und das sah man auch. Als dann im Verein auch noch gestritten und das auf öffentlicher Bühne ausgetragen wurde, läuteten nicht nur die Alarm- sondern auch die Totenglocken.
Die Stadt trennte sich vom Rennverein und nahm das Gelände wieder in seine Obhut. Jedoch machte sich niemand die Illusion, den städtischen Haushalt dafür nutzen zu können. „Wirtschaftlichkeit“ war das Stichwort – nicht zuletzt auch gefordert von Rechts wegen, denn Kommunen müssen ihre Investitionen begründen und das umso mehr, wenn sie dafür Geld vom Landkreis, Land, Bund oder der EU haben wollen.
Ein Konzept musste her. Zuerst sollte ein privater Radiosender der rettende Ritter sein, aber irgendwie fand in dieser Idee das Rennen keinen Platz mehr und das muss stattfinden – auch von Rechts wegen, denn die Rennbahn steht unter Denkmalschutz. Ansonsten wären dort wohl schon längst Häuser oder ein Campingplatz entstanden.
Doch halt: Ist das nicht gerade die aktuelle Entwicklung?
Nein – zum Glück nicht. Die Stadt will nur einen Wohnmobilhafen. Und einen Aussichtsturm. Und einen Reiterhof. Und Veranstaltungen. Noch was vergessen? Ach ja: Pferderennen – muss ja.
Klingt nicht nach einem Plan? Sorry, ist es auch nicht.
Ich freue mich, in 40 Metern Höhe annähernd so tolle Fotos zu schießen, wie die Draufsicht von Motorschirmpilot Manfred Sander. Ich bin auch gespannt auf den schon jetzt vielversprechenden Reiterhof. Ich finde den Wohnmobilhafen eine gute Idee – und sei es nur wegen der festen Technik und der Toiletten für die Veranstaltungen. Auch wenn ich noch nie live auf einer ZAPPANALE war, finde ich sie toll und alle anderen Veranstaltungen auf der Rennbahn spannend. Ich war auch noch nie live auf einem Pferderennen. Hätte ich jetzt glatt zu erwähnen vergessen. Und damit zurück zum Plan:
Liebe Stadtvertreter und Stadtverwaltung: Vergessen Sie die Rennen nicht!
Vergessen Sie nicht, dass dies eine Pferderennbahn ist. Bitte sehen die Rennbahn nicht als Pool an, in dem man das machen kann, was woanders nicht geht. Was Sie jetzt dort bauen lassen, nimmt Platz weg, den es nicht mehr zurück gibt. Also wählen Sie mit Bedacht, was zur Rennbahn passt.
Titelbild: Screenshot des Beitrages von Jochen Arenz auf Facebook.