ERSTES SEEBAD – Über die Entstehung und den Autor.
Wer ist der Mensch, der hinter ERSTES SEEBAD steckt? Was treibt ihn an und woher nimmt er die Zeit für die aufwändigen Recherchen? Diese und weitere immer wieder gestellte Fragen möchte ich Ihnen mit dieser Seite beantworten.
Eines vorweg: ERSTES SEEBAD ist nicht so neu, wie man denkt. Die Ursprünge gehen auf das Jahr 2003 zurück und lange Zeit hieß die Internetseite ZEIT AM MEER. Was Sie hier sehen, ist das vorläufige Resultat einer langen Entwicklung. Und hier ist sie:
Der Einheimische
Mein Name ist Martin Dostal, ich wurde 1979 in Kühlungsborn geboren, bin in Hohenfelde vor den Toren Bad Doberans aufgewachsen und in Bad Doberan zur Schule gegangen.
Heiligendamm war für uns die Badewanne im Sommer und die Fahrrad-Raststätte im Frühling.
Im Herbst sahen wir fasziniert der von Stürmen bewegten See zu und im Winter konnten wir so manches Mal auf dem Eis bis ans Ende der Buhnen laufen.
Heiligendamm war mir also vertraut. Und doch war es irgendwie fremd, denn der Ort hatte so etwas Geheimnisvolles an sich.
Da waren diese prächtigen Bauten direkt an der See – nicht so weiß, wie heute, aber auch nicht so grau, wie die meisten Städte damals. Selbst Bad Doberan war – wegen dem Molli und der vielen Schornsteine – nicht so weiß.
Große Häuser kannte ich auch von Bad Doberan selbst, aber während meine Mutter als Kindergarten-Leiterin in vielen mit mir ein und aus ging, weil dort die Behörden saßen, mit denen sie zu tun hatte, waren wir in Heiligendamm nur mal im Konsum oder der Drogerie oder halt in den Cafés und sonst nirgendwo drin. Hinzu kam der gesonderte Strandabschnitt mit Blickschutz und dann waren da noch diese Menschen mit sichtbaren Krankheiten.
Vielleicht machte all das Heiligendamm geheimnisvoll. Ansonsten war es eben unser Naherholungsziel, wie der ZOO oder Schnatermann, nur dichter. Urlaub an der See machten wir entweder über den FDGB in Bansin, über den Karosseriebaukombinat in Röbel, Jabel, im Thüringer Wald oder dem Harz oder bei Verwandten in Markgrafenheide. Mehr Meer brauchten wir nicht.
Die frühere Verbindung
Meine Oma erzählte mir nur Tage vor ihrem Tod im Juli 2007 von ihrer Flucht aus Pommern und der Ankunft in Heiligendamm, wo die Familie in eine kleine Bleibe unter dem Dach eines Hauses gepfercht wurde, das wir später Dank meiner Bilder am Fernseher in ihrem Schlafzimmer als linken Flügel der Fachschule identifizierten.
Sie lebte bei den Bildern auf und erzählte, wie die Familie an Hunger litt, Rübenblätter vom Feld pflücken wollte, aber mächtig Ärger bekam und wie ihr jüngster Bruder nicht essen wollte und ihre Mutter ihm drohte, „mit ihm in die Ostsee zu gehen“.
Sie erzählte, wie meine Uroma versucht hat, sich mit dem offenen Ofen und geschlossenen Fenstern umzubringen und wie die verzweifelten Kinder erreichten, dass ein Nachbar beherzt die Tür aufbrach und den Suizidversuch vereiteln konnte. Später wurde die Familie verteilt, weil die volljährigen Kinder ausziehen konnten. Meine Oma zog dann mit der verbleibenden Familie in die Gartenstraße in das Mecklenburgische Kaufmannserholungsheim und als sie auf den Dörfern Lohn und Brot suchte, lernte sie in Ivendorf meinen Opa kennen, der beim Bauern arbeitete und ihr nicht benötigte Lebensmittelmarken gab. Die beiden liebten sich und nachdem sie als Scherz mal eine Nacht in der Scheune eingesperrt waren, kam bald mein Onkel zur Welt.
Meine Oma lernte auch ihre künftigen Schwiegereltern kennen, lange bevor meine Mutter geboren wurde.
Die Dostal-Seite musste aus dem Sudentenland (heute Tschechien) flüchten und hatte zwar die komfortablere Flucht mit der Bahn (allerdings in Güterwaggons), aber dafür die schlechtere Unterbringung.
Von Notunterkünften in Graal-Müritz ging es in die von Bad Doberan. Dort waren Wanzen und Kakerlaken an der Tagesordnung.
Die Familie hatte zum Kriegsende sechs Kinder, 1951 kam mit meinem Vater das siebte und kurze Zeit später das achte lebend zur Welt, eine Fehlgeburt nicht mit eingerechnet. Meine Oma ging bei den Bauern betteln und meistens wurden die Hunde auf die kleine Frau losgelassen. Der Bauer, bei dem meine mütterlichen Großeltern inzwischen beide arbeiteten, tat das nicht und so lernte man sich ein klein wenig kennen.
Meine Mutter lernte meinen Vater dann in der Schulzeit zunächst an der Bushaltestelle am heutigen Alexandrinenplatz und besser beim Tanz im Kurhaus in Bad Doberan kennen. Er wohnte mit den Eltern und Schwestern in der Neuen Reihe über der Kohlehandlung und arbeitete bei der Glashäger als Heizer. Später ging er zum Wohnungsbaukombinat nach Rostock und meine Mutter begann ihr Studium im Schweriner Schloss. Die Beziehung hielt aber und so kam es, dass erst mein Bruder geboren wurde und nach dem Umzug nach Hohenfelde, wo mein Vater als Karosseriebauer und meine Mutter als Kindergärtnerin arbeiteten, 1979 auch ich das Licht der Welt erblickte. Ich ging in Hohenfelde in den Kindergarten und in Bad Doberan in die Polytechnische Oberschule.
Der engagierte Bürger
Der Parteilose
Politik hat mich schon in der Schule interessiert und das spiegelte sich auch in meinen Zensuren wieder. Einige waren sich sicher, dass ich mal Politiker werden würde, aber da ich mich auch mit den Parteien und ihren Programmen auseinandersetzte, erkannte ich bald, dass es für mich nicht die richtige Partei gibt.
Zwar nahm ich mein Recht auf Wahlen wahr, aber interessant waren da für mich nur die Erststimmen oder die Kommunalwahlen. Da waren mir dann die Parteien relativ egal – das konnte ein Mitglied von SPD, CDU, Linke, Grüne, FDP oder neuen Parteien sein.
Bei der Zweitstimme wählte ich das, was am Besten mit meinen Überzeugungen übereinstimmt – heute gibt es dafür ja den Wahl-o-mat. So bekamen dann auch die oben genannten Parteien von mir Zweitstimmen.
Es gab zwei politische Ambitionen: Die eine keimte, als die WASG sich gründete. Da hätte ich gern mitgemacht, fand aber den Ort der Gründungsveranstaltung erst zu spät und wollte dann nicht in die begonnene Veranstaltung gehen. Als die WASG bald darauf mit der PDS zusammen ging war ich froh, vor der Tür umgekehrt zu sein. Die nächste neue Partei war die AfD, die von mir auch eine Stimme bekam. Im Gegensatz zum ersten Fall tat es mir nachher leid, denn die Partei entwickelte sich gänzlich anders, als ich es mir mit den ersten Kandidaten erhofft hatte.
Der Leserbriefschreiber
Mein Engagement blieb also bis heute bürgerlicher Natur. Schon im Jugendalter schrieb ich gern Leserbriefe – stets in der OSTSEE-ZEITUNG, denn ein anderes Medium bekam, las und kannte ich zunächst nicht – einmal abgesehen von BILD & Co., aber die waren mir zu überregional. Ich schrieb zu lokalen Themen – zuerst in Rostock, dann in Bad Doberan und zur Landes- Bundes- und Weltpolitik.
Mein Opa schnitt die Artikel aus und bewahrte sie in einer Dose auf und Bekannte sprachen mit mir über meine Leserbriefe – sie sagten, dass sie sie gern lesen. Mit den technischen Neuerungen wurden aus E-Mails Kommentare, später kam auch Facebook hinzu – da war mein Zeitungs-Lesespektrum aber auch schon auf mehr Medien angewachsen.
Außerhalb des Internets engagierte ich mich wenn, dann direkt mit kleinen Spenden, zum Beispiel bei Besuchen in Museen und Kirchen oder für Einrichtungen und Vereine. Viel Geld zu geben haben wir ja nicht – das waren also meistens Münzen.
Der Vielseitige
Wenn ich heute aus dem Kinderzimmerfenster schaue oder durch Hohenfelde gehe, dann gibt es da etwas, auf das ich immer ein wenig stolz sein werde. Mein Nachbar – der schon im Elternhaus mein Nachbar war – ist ebenso geschichtsinteressiert, wie ich und er hatte sich dafür eingesetzt, dass Hohenfelde ein eigenes Wappen bekommt. Die ganze theoretische Seite – Heraldik, rechtliche Fragen – konnte er allein bewältigen, aber bei der Umsetzung fehlten ihm die notwendigen Kenntnisse.
Er fragte mich und so entwickelten wir aus seiner Zeichnung das Wappen, das heute auf dem Gemeindezentrum, den Feuerwehrautos- und uniformen, dem Gedenkstein und den offiziellen Dokumenten prangt. Als dann auch eine Flagge entstehen sollte, saßen wir wieder zusammen, fanden mit Hilfe einer RAL-Palette die richtigen Wappenfarben, feilten an rechtlich vorgeschriebenen Details und waren stolz wie Bolle, als dann diese Flagge hochoffiziell und feierlich gehisst wurde.
Der Mann, der dem Landkreis im Internet seinen Namen gab
Als ZAM gewachsen war kam mir der Gedanke, die Bekanntheit und Anerkennung zu nutzen, um etwas für einen guten Zweck zu tun. Hintergrund war, dass gerade eine Kreisgebietsreform bevorstand, der Kreis sehr sicher einen neuen Namen bekommen würde und eine neue Internetadresse braucht. Die wollte ich mir sichern, ihm verkaufen und das Geld spenden.
Dabei hatte ich eine Reihe möglicher Empfänger vor Augen, entscheiden sollte das aber per Abstimmung die Leserschaft. Ich sicherte mir die Domains für alle möglichen Kreisnamen, aber nur für den Kreis, der aus Bad Doberan und Güstrow gebildet werden sollte.
Als dann 2011 der Kreisname feststand, meldete sich nur wenige Tage nach der Wahl jemand bei mir und forderte nicht gerade freundlich die Herausgabe der Domain. Ich erklärte ihm meinen Plan, er wurde freundlicher, konnte aber nichts in der Richtung tun – wenn ich die Domain nicht abgebe, würde die Rechtsabteilung sich bei mir melden. Aber er könne mir die Unkosten erstatten – das waren ja gerade mal 10 Euro. Ich ging darauf ein, holte mir das Geld ab und ärgerte mich. Zum Glück hatte ich das alles nicht groß angekündigt. Wieder ein paar Tage später meldete sich ein Praktikant von der OSTSEE-ZEITUNG bei mir und fragte nach einem Interview. Thema: „Der Mann, der der Region im Netz den Namen gab“. So stand es dann auch in der Zeitung und auch darin zu lesen war mein nicht aufgegangener Plan.
Dafür gab es viel positives Feedback, nach dem Format „Das ist ja mal wieder typisch, was der Landkreis da gemacht hat.“ Einer von ihnen war Wahlleiter in dem Wahllokal, in dem auch ich half – was ich übrigens auch wann immer es ging freiwillig tat. Er war auch mein Ansprechpartner beim ZENSUS 2011 gewesen, bei dem ich – ebenfalls freiwillig – als Erhebungsbeauftragter arbeitete. Und er schlug mir vor, doch mal den Landrat direkt zu kontaktieren – der wisse bestimmt gar nichts davon.
Ich hielt das für eine gute Idee und schrieb Thomas Leuchert eine E-Mail. Die Hemmschwelle war gering, denn eine seiner Töchter ging ein Jahr in meine Klasse und darüber kamen wir bei der Goldenen Hochzeit meiner Großeltern, wo er als Gratulant kam, auch ins Gespräch. Wir waren also keine Bekannten, aber auch nicht einander unbekannt. Ich gratulierte ihm zum Wahlsieg und schilderte ihm das Geschehen. Er antwortete knapp, dass der im Urlaub sei und die E-Mail weitergeleitet habe. Ich dachte mir, dass der Empfänger sicherlich die Rundablage sein wird und beschloss, das Thema einfach zu vergessen.
Ein paar Monate später meldete sich Ecki Paap bei mir – er habe eine Einladung für die Ausschüttung aus dem PS-Lotteriefonds, wo der Waldkirchen-Verein einen Scheck kriegen sollte und da ich das ja eingefädelt habe, solle ich mitkommen. Ich? Vor Ort wurde mir der Zusammenhang klar: Leuchert war auch im Aufsichtsrat der OSPA und irgendwie hatte er es geschafft, dass die einen Scheck bekommen, die ich namentlich genannt hatte. Er sagte, dass ihm dieser Teil ganz besonders am Herzen liege, denn er ist in Heiligendamm aufgewachsen. So bekam der Verein der Freunde der Waldkirchen eine große Spende und ich war der erfreute Verursacher.
Der Beobachter
Kurz darauf kam ich dann zum Journalismus und da verschmolzen der engagierte Bürger mit dem Journalisten, der mit seinen Möglichkeiten, dem Ansehen und leider auch der Furcht der anderen viel bewegen konnte.
Wo ich es sinnvoll fand, steuerte ich das Geschehen in bestimmte Richtungen oder lenkte die Menschen in bestimmte Bahnen, damit sie erreichen konnten, was sie wollten. Medien bilden immer die Meinungen derer ab, die sie machen. Zur Meinungsbildung braucht es immer mehrere Medien.
An diesen Möglichkeiten wollten auch andere teilhaben. Da ich mich nicht einspannen ließ, war ich immer der Beobachter in Runden, die mich einluden.
Wenn ich mich mit dem Thema identifizieren konnte, gab ich Tipps oder half bei der Recherche oder stellte einfach mal die gegensätzlichen Dinge offen in den Raum.
Ich begleitete Bürger und kleine Initiativen bei Infogesprächen oder Diskussionsrunden im Rathaus.
Einmal, weil mich die Bürgerferne und mitunter auch Überheblichkeit der Behördenmitarbeiter störte und weil ich wusste, dass allein die Anwesenheit eines Medienvertreters für Sachlichkeit sorgt, die beide Seiten regelrecht erfasst. Drittens hatte ich dann etwas, worüber ich schreiben konnte und meine Einladung war stets: „Geben Sie mir einen Grund, über heute positiv zu berichten!“ Das antwortete ich auch Ministerpräsident Erwin Sellering, als er mir scherzhaft sagte, dass er nichts Schlechtes über das Gespräch lesen wolle.
Der Transporteur
Und dann gab es da noch die Leute, die zu mir kamen, weil sie großartige Ideen hatten, die entweder in anderen Medien keiner verstand oder keiner interessant fand oder keiner auf engsten Raum zu quetschen bereit war. Meistens waren es nämlich ganze Konzepte.
Unternehmensberater, Geschäftsinhaber, Zugezogene und andere engagierte Bürger hofften auf mein offenes Ohr und ein wenig Platz im Stadtanzeiger.
Angesichts der Qualität der Ideen war ich gern dazu bereit und auch Herr Jütte machte mit. Was im Printmedium nicht passte, ließ sich immer noch zusätzlich online lesen und so kamen Konzepte an die Öffentlichkeit, die sonst den Weg dahin nicht gefunden hätten.
Da ich viele Kontakte hatte, brachte ich auch Denker und Macher zusammen, ließ sie sich kennen lernen und zog mich dann wieder zurück.
Der Strippenzieher
In einer Gruppe bin ich geblieben und aus ihr entstanden ganz im Stillen und ganz bescheiden ohne Namensnennung wichtige Sachen.
Professor Enno Schmoll mit den StudentInnen der Jade-Hochschule kam auf Grund unseres Engagements zu einer Studienarbeit zum Thema Tourismus und daraus entwickelte sich im Rathaus ein neues Bewusstsein für den Tourismus und ein neues Tourismuskonzept.
Unsere Ideen brachten die Gewerbetreibenden wieder zusammen und besonders stolz macht mich hier, dass meine Namensidee „Wir sind Doberan“ so gut ankommt.
Als Gästeführer mische ich zusammen mit den Kollegen auch an vielen Stellen mit. Wir waren am Tourismuskonzept beteiligt, bringen unsere Erkenntnisse in die Stadtentwicklung und den Tourismus ein und treffen uns jedes Jahr mit dem Leiter für Stadtentwicklung und Vertretern des Grand Hotels und der Jagdfeld-Gruppe. Wir bringen uns dabei auf den neuesten Stand und unsere Beobachtungen, Ideen und Kritiken an den richtigen Mann.
Das ist jede Menge Engagement und um sich nicht zu verrennen, habe ich dafür andere Dinge, wie die Vorstandstätigkeit im Kleingartenverein aufgeben und manchen Wunsch nach Mitarbeit in Vereinen ausschlagen müssen. Weniger ist oft mehr.
Der Ortschronist
Das Dorfkind
Mein Interesse an Heimatgeschichte begann schon im Kindesalter. Meine Großeltern mütterlicherseits wohnten auf einem alten Bauernhof, der noch aus der Zeit der deutschen Besiedlung stammt. Hier war alles besonders:
Die Fachwerkbauweise mit Holzbalken, Lehmwickeln und Lehmputz, das Rohrdach der Scheune, Räucherkammer, Gewölbekeller und dann noch diese Kammern, in der Knechte und Mägde wohnten und in denen so sonderbare alte Gegenstände lagerten.
Mein Opa wurde nie müde, meine Fragen zu beantworten, was das ist und warum das so ist und er zeigte mir auch von selbst all die alten Dinge, ließ mich später auch mal raten, was das ist.
Er erzählte von seiner Jugend als Landarbeiter – er nannte es „Knecht“ – beim Bauern und wie das damals so lief in der Landwirtschaft.
Seine Schwester wohnte in Retschow in einem Gebäude des Hofes, der damals schon der Denkmalhof Pentzin war.
Wahrscheinlich war ein Besuch dort das Schlüsselerlebnis. Ich war fasziniert von diesem voll eingerichteten Haus mit den Kammern, der alten Küche und den alten Geräten. All das interessierte mich.
Auch meine Oma erzählte viel von der „Heimat“, was ich damals noch nicht verstand. Sie sang oft „Maikäfer fliege“ und ich war von diesem Lied angetan, fand es so dramatisch. „Vater ist im Kriege“ – das ist ihre Familiengeschichte. Ihre Mutter schaffte es noch mit ihr und ihren Geschwistern nach Mecklenburg. „Pommernland ist abgebrannt“ – das war ihre Realität. Sie hat ihre Heimat nie wiedergesehen.
Nach der Wende zogen sie in das Haus meines Onkels um – gleiches Dorf, nur andere Straßenseite und hier war nun alles wieder ganz anders.
Rote Ziegelscheunen, großer Stall, das Wohnhaus groß und nur zum Wohnen gedacht und auch das Inventar entsprach eher dem, was man heute so kennt. Dieser Hof entstand später, aber auch im Zuge der Besiedlung.
Ich interessierte mich, wer da wann siedelte und warum eigentlich – was war denn da vorher? Zunächst konnte mir diese Fragen niemand beantworten.
Als ich dann als Kind etwas mobiler war, entdeckte ich auch die Glashäger Mineralquellen und das Brunnenhaus, das ich auch auf den Flaschenetiketten wiederfand.
„Seit 1908“ – auch das interessierte mich. Die Geschichte des Quellentals war wohl mein erstes ernsthaftes Projekt – da war ich 13 oder 14.
Ich fand auch die Klosterteiche, von denen ich wusste, dass Mönche sie angelegt haben, nicht aber, was Mönche genau sind. Wikipedia gab es ja noch nicht.
Auch meine Großeltern väterlicherseits erzählten viel von früher, von der Heimat und mein Opa redete von Hitler und schimpfte auf die Bolschewisten, von denen ihm einige auf einer Zugfahrt gegenüber saßen und darüber redeten, ihn aus dem fahrenden Zug zu schmeißen. Da er tschechisch konnte, verstand er die Diskussion und konnte sie davon abbringen – ein Deutscher, der tschechisch sprechen konnte, war wohl immer noch gut genug. Solche Geschichten prägten mein Leben: Flucht und Vertreibung, Verlust und Verzweiflung und ein gutes Ende durch gute Menschen. Oder durch Anpassung.
So richtig Erkenntnisse kamen erst in der Schulzeit. Heimatkundeunterricht gab es von Anfang an, aber der entsprach ja einem nationalen Lehrplan und war eher auf die ganze DDR gemünzt. Unsere Lehrerin Frau Krauleidis ließ aber keine Gelegenheit aus, um uns vor Ort Beispiele zu zeigen und so besuchten wir verschiedene Orte in der Stadt. Natürlich waren das die Betriebsstätten der Patenbrigaden, aber auch die Wirkungsstätten derer, die der Stadt ihr heutiges Aussehen gaben.
Und dann war da ja noch die 800-Jahr-Feier Bad Doberans im Jahr 1986. Das Kurhaus wurde abgestützt und saniert, wir Kinder bereiteten uns für eine Parade vor, an der wir mit Körben voller Obst, Kittelschürze und Strohhut als junge Gärtner teilnehmen sollten.
Ich war damals krank und durfte nur am Hauptteil der Parade teilnehmen, bekam da aber noch etwas mit von einem Herzog und einer Prinzessin auf einer Kutsche. Was das war, wusste ich natürlich nicht.
Der Geschichtsinteressierte
Später kam dann der Geschichtsunterricht hinzu und den mochte ich. Jahreszahlen merken war nicht mein Ding, was auch die nicht mit dem großen Interesse übereinstimmenden Zensuren erklärt.
Besonders hängen blieb die Geschichte der Christianisierung des Ostens, Heinrich der Löwe, Karl der Große, aber auch zuvor schon Chlodwig und die Franken.
Am Meisten konnte ich mich mit den Slawen identifizieren. Allerdings eher aus Mitleid – die Lebensweise sagte mir nicht so zu.
Den Pomp um die Römer und Engländer mochte ich nicht, die Griechen, Byzantiner und Ägypter waren mir fremd und Kolumbus & Co. Interessierten mich nicht. Die Slawen und die Siedler, die Kreuzzüge und Schlachten in Orten, die mir ein Begriff waren – das war mein Ding.
In der Realschule hätte ich dann nach Russisch auch eine zweite Fremdsprache erlernen müssen, was aber durch meine Hörbehinderung ein Problem war. Ich wurde von der zweiten Fremdsprache befreit und musste stattdessen Wahlpflichtunterricht nehmen. Welche zwei Fächer das sind, konnte ich aus einer kleinen Reihe selbst auswählen. Im Nachhinein wäre es vielleicht sinniger gewesen, Mathe und Chemie zu nehmen, denn das waren meine schwächsten Fächer und da wäre Förderung sinnvoll gewesen. Aber natürlich wählt man das, was einem Spaß macht und das waren Kunst und Heimatgeschichte.
Über Kunst muss ich nicht reden – das war einfach entspannend. Ich mag Kunst und der Unterricht gab mir ein gewisses Grundverständnis, was auch hilft, die verschiedenen Kunstrichtungen in den Zusammenhang der jeweiligen Epoche zu bringen. Gerade in Heiligendamm sind ja ganze vier Epochen auf kleinstem Raum konzentriert.
Heimatgeschichte hatte ich bei Herrn Büttner, bei dem ich auch sonst Geografie hatte und der war nicht nur ein Ureinwohner, sondern auch ein Geschichtsliebhaber. Wenn man einen solchen als Lehrer hat, dann lernt man erst wirklich etwas. Genauso, wie beim Astronomielehrer Herrn Karow, mit dem man sich abends noch traf, um mit seinem Teleskop den Himmel zu betrachten.
Ich war der jüngste in der bunten Truppe, zunächst auch deswegen von den anderen gehänselt, aber angesichts der Leistungen schlug das bald in Anerkennung um und manche baten auch um Hilfe, wenn sie mal etwas nicht wussten oder die Hausaufgaben vergessen hatten. Wenn man anderen etwas erklären muss, versteht man es gleich noch besser. Herr Büttner überhäufte uns nicht nur mit massenhaft Kopien, sondern ging auch mit uns raus ins Münster, in den Klosterbereich, zu den Teichen und zu bestimmten Häusern. Ich lernte in den vier Jahren so viel über Bad Doberan, wie meine Mitschüler wahrscheinlich bis heute nicht wissen.
Nach der Schule ging das Interesse an der Geschichte weiter. Wo ich war, wollte ich auch etwas über den Ort wissen. Wikipedia gab es damals immer noch nicht, also steuerte ich immer erst die Touristinformation an und wenn es ging, auch die Bibliothek. So vertiefte ich mich auch in die Geschichte von Husum und Sylt.
Der Behinderte
Da ich keine normale Ausbildung machen konnte, weil ich mit 50% schon als schwerbehindert galt und man die Folgen der multiplen Behinderungen nicht so recht abschätzen konnte, musste ich mich bei Berufsbildungswerken bewerben.
Aus Bremen und Hannover kamen Absagen, Greifswald bildete damals noch keine Büroberufe aus und Husum hatte erst im Folgejahr einen Platz für mich frei.
Unser Schuldirektor Herr Karow bot mir an, die 10. Klasse noch einmal zu wiederholen – die Zensuren konnten ja nur besser werden.
Schon ein paar Jahre zuvor hatte er in den Ferien meine Eltern aufgesucht und ihnen ans Herz gelegt, die gemeinsame Entscheidung, von der 5. Klasse der Oberschule in die Hauptschule zu gehen, zu überdenken. Ich würde dort untergehen, denn fast alle anderen der Klasse gingen zur Realschule. Wir überlegten es uns und so kam ich auch auf die Realschule und das war goldrichtig. Die Wiederholung der 10. Klasse erwies sich als ebenso goldrichtig. Wenn man sich bei der Wiederholung der 10. Klasse nicht verbessert, muss man was falsch gemacht haben.
Der Nerd
Aber das bedeutete auch, dass die Wege der Schulkameraden sich trennten und ich mehr allein war. Damals hatte mein Cousin aus Hannover gerade seinen PC ausrangiert und mir geschenkt und somit saß ich nun zunehmend am Computer und nutzte, was das Ding hergab.
Das Interesse daran blieb und wuchs und so nahm ich jede Generation des Prozessors und jede Version von Windows mit. Ich probierte auch andere Betriebssysteme aus – OS/2, BeOS, MacOS, PT-DOS und verschiedene Linux-Distributionen.
Dass ich im Informatikunterricht meistens Dreien und Vieren schrieb lag wohl daran, dass ich alles Mögliche am PC tat, nur nicht das, was ich sollte. Ich war halt ein Nerd! Und ich bin es immer noch.
Der Internet-Junkie
Nach der Schule ging es also nach Husum an die Nordsee, wo ich Bürokraft lernte. Die Ausbildung fiel mir leicht und ich bestand sie mit gleich drei Auszeichnungen als Bester der Bildungseinrichtung, Kammerbester und Landesbester.
Dafür gab es dann Urkunden, eine Uhr von der IHK und Bücher – eines über Nordfriesland und „Mein Jahrhundert“ von Günther Grass.
Allerdings war ich nie zuvor so weit von zuhause weg und schon gar nicht über Tage.
Selbst zu Klassenfahrten war meine Mutter immer dabei, denn sonst hätte ich nicht mitfahren dürfen – nicht mal, wenn es um die Ecke in Biendorf war.
Ich haderte sehr mit meinen Eltern, mich dorthin „abgeschoben“ zu haben, aber der Trennungsschmerz war mit der ersten Liebe auch schnell wieder vergessen. Und meinen Eltern ging es eigentlich nicht anders.
Ich bekam mein Einzelzimmer und damit meine Ruhe, bald auch einen neuen PC und das Taschengeld ging stets für neue Technik drauf.
Im anderen Internat vernetzten wir über die Balkone alle drei Etagen in einem LAN und mein Balkon war der Knotenpunkt der Infrastruktur. Die Betreuer duldeten es und so gab es an den Wochenenden LAN-Sessions und vor allem hatte ich dadurch Zugang zum Internet.
Ich beschäftigte mich mit Microsoft Publisher und Frontpage.
Als das Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk an der Einladung der Ministerpräsidentin Heide Simonis zum „Jahrhundertfest“ teilnahm, kam alles zusammen:
Recherchen zur Geschichte der Bildungseinrichtung und der beruflichen Rehabilitation und anschauliche Präsentation der Fakten. Wir Autoren sollten persönliche Seiten hinzu steuern, bei mir wurde es eine richtige kleine Internetseite mit Menü und Unterseiten. Das Projekt gewann den 3. Preis der Ministerpräsidentin, den wir zusammen mit unserem Lernzentrums-Leiter von Heide Simonis persönlich auf Schloss Gottorf entgegennahmen. Schräg vor mir saß „Brösel“ Röttger Feldmann als Stargast.
Danach war ich dann selbst Kursleiter im Lernzentrum und unterrichtete Grundlagen und den Erweiterungskurs im Umgang mit dem PC und Internet, war also Ausbilder für den Internetführerschein und zeigte darüber hinaus Tricks. Es war eine schöne Zeit und die Nordsee wurde mein zweites Zuhause.
Der Beinahe-Sylter
Meine erste Beziehung führte mich nach Sylt, denn die Freundin wohnte in Westerland.
Ich lernte nicht nur jeden Flecken der Königin der Nordsee kennen, sondern auch die Eigenarten, den besonderen Tourismus und die unglaubliche Wertschöpfung, die die Insel Dank der „Reichen und Schönen“ hatte, von denen meine Freundin natürlich wusste, wo sie wohnen und feiern. Auch die legendären Orte, wie Gogärtchen, Buhne 16 und die Whiskymeile lernte ich kennen, wenn auch meistens nur von außen.
Auf dem Flohmarkt, wo ich von Zuhause mitgebrachte Sachen gut los wurde, sah man manches bekannte Gesicht. Auch der Küstenschutz interessierte mich und die Neulandgewinnung und überhaupt alles über die Entstehung der Nordfriesischen Inseln samt seiner Legenden, wie die von Rungholt und dem Schimmelreiter. Eigentlich sollte ich heute auf Sylt wohnen und einen Lesezirkel betreiben, aber es kam anders, denn die Liebe ist ein seltsames Spiel.
Der Heiligendamm-Kenner
Der Verkauf Heiligendamms
Als Heiligendamm verkauft wurde, war ich also an der Nordsee und hatte andere Sorgen und Interessen. Weihnachten 1997 hatte ich den Förderlehrgang und das erste halbe Lehrjahr hinter mir.
Mit meiner Freundin plante ich unsere Zukunft und die sollte auf Sylt stattfinden.
Unsere Eltern sollten sich auch kennen lernen und so machten ihre Eltern mit ihr eine Woche lang Urlaub in Bad Doberan, wo ich ihnen die Gegend zeigte.
Darunter war natürlich auch Heiligendamm und da realisierte ich dann die bevorstehenden Veränderungen erstmals richtig. Es gab zwar keine Bautätigkeit, aber überall Schilder, was das hier ist und was es werden soll. So richtig kapiert habe ich das nicht und vielleicht hatte ich auch nur kein Auge für Schilder, sondern für meine Freundin.
Die Beziehung hatte keine Zukunft, denn so sehr ich die Nordsee auch mochte, so groß war die Sehnsucht nach to Hus. Außerdem liebte sie eigentlich meinen Kumpel, über den ich zu ihr kam, weil er sie sitzen lassen und ich sie getröstet hatte.
Wie das Schicksal es wollte, verliebte ich mich in ein Mädchen, dem wir beim Anreisetag von Bützow bis Husum hinterher gefahren sind, wo sich unsere Wege aber nicht wieder kreuzten, bis ich mal eine andere Zugverbindung nach Hause nahm und neben ihr landete.
Von nun an fuhr ich immer diese Verbindung, teilte mit ihr meine Ohrhörer, bald teilten wir uns auch die elterlichen Reise-Mitgiften, die Freizeit und das Bett. Wir durften zusammen auf ein gemeinsames Zimmer ziehen und uns selbst versorgen – das war die Vorstufe für ein gemeinsames Leben „draußen“ und wurde nur Paaren gewährt, bei denen die Betreuer entweder sich sicher waren, dass die Beziehungen halten oder, dass das Paar es zwar glaubt, aber es nicht so sein wird. Wir gehörten zur ersten Gruppe und die Betreuer lagen richtig.
Die persönliche Wiederentdeckung
Meine zweite Freundin führte ich natürlich auch nach Heiligendamm und das war wohl 1999, sodass ich zwei Jahre hintereinander dort war.
Viel verändert hatte sich nicht – der Ort wirkte nur leerer, als seien mehr Wohnungen leer.
Nach der Ausbildung zogen wir nach Rostock und da meine Familie und Freunde und Bekannte ganze Arbeit geleistet hatten, brauchten wir uns nur ins gemachte Nest setzten und hatten nun viel Zeit.
Wir suchten Arbeit und solange wir sie nicht fanden, nutzten wir die Zeit, um das bisschen Geld auszugeben. Als ich dann nach ein paar Übungsstunden das Auto meines Vaters haben durfte, fuhren wir auch in die Umgebung, denn ich hatte meiner Freundin ja viel zu zeigen. So kamen wir auch nach Heiligendamm, wo man außer einem riesigen weißen Bretterzaun, einem von Maschinen durchackerten Strand und jeder Menge Bauaktivität nicht viel sah. Wir kamen aber zum Alexandrinencottage und dort saßen wir auf der Treppe und schauten aufs Meer hinaus.
Das Meer musste ich meiner Freundin nicht zeigen – sie war drei Jahre in Graal-Müritz im Internat und kannte die Ostsee. Also wollte ich ihr Heiligendamm zeigen. Hinter den Bahnschienen war es das dann auch fast schon und sie verstand eigentlich nicht, warum ich ihr den Ort zeigen wollte. Für sie war es nach der Herstellung des Sandstrandes ein beliebter Badeort, zu dem wir extra den Weg von Rostock aufnahmen, weil es hier irgendwie besonders und auch nicht so überlaufen war.
Parken an der Seedeichstraße, Strandmuschel aufstellen westlich vom Haus „Bischofsstab“, nach dem Bade einen Imbiss beim liebenswert-launischen Gerhard Butze und dann ein Besuch bei den Eltern oder Großeltern – das war der Sommer unseres Lebens.
Denn ab August 2000 hatte ich einen Arbeitsvertrag, arbeitete in Schichten und auch an Wochenenden und da waren die Badeausflüge eher Erholung, als Vergnügen.
Der Bruder hinterm Bauzaun
Trotzdem blieben sie fester Bestandteil. Ein gewisses Interesse an den Bautätigkeiten hinterm Zaun gab es, weil mein Bruder dort arbeitete. Ich konnte ihn nie besuchen oder auch nur sehen, aber er erzählte zuhause von den Bautätigkeiten, von der riesigen Menge an Bauarbeitern und den Problemen, die verschiedenen Gewerke so zu koordinieren, dass sie sich nicht gegenseitig behindern und von den Problemen, die solche alten Mauern mit sich brachten und den Überraschungen, die er als Baggerfahrer immer mal erlebte. Ich hörte stets interessiert zu.
Der Tag der Offenen Tür
Als dann in der Zeitung stand, dass es einen Tag der offenen Tür im Grand Hotel geben wird, fuhren wir als Familie geschlossen dort hin, waren früh da, fanden einen Parkplatz und standen recht weit vorn in der immer länger werdenden Schlange. Es dauerte trotzdem gut eine halbe Stunde, bis wir am Eingang waren.
Wir freuten uns, denn irgendwann wurde weit hinter uns der Weg dicht gemacht, weil die Massen erst einmal durch das Hotel hindurch mussten, bevor neue hinein gelassen werden konnten.
Ob überhaupt alle das Grand Hotel von innen gesehen haben, kann ich gar nicht sagen. Wir jedenfalls traten durch die schon etwas Ehrfurcht gebietende Vorhalle in das großartige Foyer, das uns regelrecht blendete mit seinem Glanz und seiner Helligkeit. So viel Gold und Glamour hatten wir noch nie zuvor live gesehen – höchstens im Fernsehen. Na gut, in Paris und Versailles, aber das wirkte so museal und unwirklich. Auf roten Teppichen, flankiert von dicken roten Bändern mit goldenen Kordeln an silbernen Ständern und von freundlich lächelnden und vornehm gekleideten jungen Frauen und Männern schoben wir uns durch die Lobby Richtung Kurhaus.
Es war wie ein Besuch in einer Oase. Dieses strahlende Weiß, dieses richtige Grün, der strahlend blaue Himmel, das blaue Meer und der dunkle Wald – so hatte ich Heiligendamm noch nie gesehen. Für Überraschung sorgte dann auch noch diese unwirkliche Burg. Bis zuletzt war sie uns verborgen geblieben. Ich fragte mich, wo die auf einmal herkommt – da war doch vorher keine Burg. Um das herauszufinden, musste ich mich mit der Geschichte beschäftigen. Nicht viel, aber wenn man erst einmal drin ist, eröffnet sich eins nach dem anderen. Bei diesem Besuch schoss ich auch meine ersten Fotos von Heiligendamm.
Der erste Heiligendamm-Rundgang
Als in Rostock die IGA 2003 begann, bekam ich eine Digitalkamera und damit eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten in der Fotografie. Fortan waren wir jedes Jahr in Heiligendamm und jetzt reichte es mir nicht mehr, dort nur zu baden, sondern wir machten dann auch eine Runde und Fotos. Da die Parkplatzsituation in der ersten Reihe sowieso meistens aussichtslos war, parkten wir immer mal woanders und starteten damit auch unsere Rundgänge immer woanders. So bekamen wir auch Dinge vor die Linse, die wir sonst nicht gesehen hätten.
Die erste Version von ERSTES SEEBAD
In Hohenfelde fieberte man einem großen Dorfjubiläum entgegen und ich hatte die Idee, meinem Heimatort eine Internetseite zu bauen. Ein paar Erfahrungen mit Microsoft Frontpage hatte ich ja schon, aber nicht so richtig Übung.
Da alles was ich tat, immer gleich auf der Website sichtbar gewesen wäre, wollte ich erst einmal versteckt üben:
Gerüst erstellen, Menü bauen, Fotos einfügen, beschriften, Texte schreiben…
Das tat ich dann nicht unter „hohenfelde.city-gate.net“, sondern unter „heiligendamm.city-gate.net“ und so entstand mein erster Online-Rundgang durch Heiligendamm.
Die Hohenfelder Internetseite wuchs, sodass ich eigentlich nicht weiter hätte üben müssen. Da ich mich aber schlecht von Sachen trennen kann, behielt ich die Seite bei und addierte jedes Jahr einen Rundgang hinzu.
Damit wuchs auch das Menü und da ich nicht nur Fotos bieten wollte, schrieb ich auch etwas zur Geschichte und zur Architektur.
Mich interessierten die Häuser, ich recherchierte dazu und so entstand die erste Gebäudedatenbank. Alles was erst einmal ein Zusammentragen. Man übernimmt dann auch Irrtümer.
Die Zeit der Zweifel
Mir entging aber auch nicht, dass ein Weg nach dem anderen verschwand, sonderbare Umleitungen die Besucher auf unnötige Umwege schickten und erst Hecken und dann Zäune manchen Weg versperrten.
Die Gründe dafür konnte ich in der Zeitung lesen:
„Der böse Investor will alles einzäunen und Heiligendamm Zoo für Reiche werden“.
Das passte mir nicht und das ließ ich die Welt auch wissen – in den Rundgängen und auch in Leserbriefen und Kommentarforen. So kam ich auch in Kontakt mit dem Bürgerbund, der sich gegen diese Entwicklung wandte und mich gern mit Informationen und einem Schreiben des Bürgerbeauftragten versorgte, aus dem hervor ging, dass Wald öffentlich ist und man ihn betreten darf. Sollte ich mal zum Alexandrinencottage wollen und vom Wachdienst angehalten werden, solle ich ihm dieses Schreiben unter die Nase halten.
Den Wachdienst kannte ich nur von Weitem und das reichte mir angesichts der muskulösen Hünen in schwarzer Uniform mit Sonnenbrille auch. Ich glaubte sogar, einen Schlagstock gesehen zu haben – es war wohl eher ein Funkgerät, denn Funken war die Haupttätigkeit der kleinen Aufpasser-Schar. Ich wagte das Abenteuer und ging mit Papier bewaffnet zum Alexandrinencottage – es interessierte keinen.
Der Jagdfeld-Kritiker
Genährt durch die immer schlimmeren „Berichte“ der OSTSEE-ZEITUNG und gefüttert durch Mitglieder eben jeder Bürgerinitiative, die sich gegen diese vermeintlichen Abschottungspläne wandte, war ich bald gegen all das, was da passierte und damit auch gegen das Grand Hotel und die geplanten Neubauten.
Und das ließ ich die Welt auch wissen, in Leserbriefen, die von der OSTSEE-ZEITUNG regelmäßig abgedruckt wurden und auf meiner keinen Internetseite, auf der ich die Bilder mit kritischen Kommentaren versah. Natürlich waren sie immer kritisch gegenüber dem Investor – alles was er tat oder andachte, machte mich höchst misstrauisch. So geht Verschwörungstheorie.
Zugleich recherchierte ich aber auch in der Geschichte, trug Daten zu den Gebäuden zusammen und ließ die Internetseite um eine Gebäudedatenbank und einen Architekturführer wachsen.
Ich trennte die Diskussion vom „wissenschaftlichen“ Teil, verbrachte aber mehr Zeit damit, Artikel aus den Medien zu kommentieren und zu zerpflücken – immer gegen das Projekt, aber nicht gegen die Menschen, die dahinterstanden – das liegt mir nicht und das mag ich auch nicht.
Der G8-Gipfel
Nun kamen also 2007 die Staats- und Regierungschefs aus aller Welt nach Heiligendamm und wir waren da mitten drin.
In Rostock in unserer Nähe entstanden die „Gefangenenlager“, unweit auch ein Camp von G8-Gegnern und die Turnhalle in der Straße wurde als Lazarett hergerichtet.
Wir hatten durchaus Sorge und verbrachten die meiste Zeit bei meinen Eltern in Hohenfelde – immer bereit, dort auch zu übernachten, sollte es zuhause gefährlich werden.
Dabei war Hohenfelde ganz genauso ein strategischer Ort im Gipfelgeschehen. Am Dorfrand stand das Radar und auf dem Sportplatz die Container und Zelte des Lazaretts.
Ich wollte für die Chronik ein paar Fotos machen, kaum hatte ich aber die Linse auf den Sportplatz gerichtet, kam ein Uniformierter und fragte, was ich da mache.
Ich erklärte ihm mein Anliegen und er lud meine Frau und mich zu einem kleinen Rundgang ein, erklärte alles und bat lediglich darum, erst nach dem Gipfel etwas zu veröffentlichen.
In Heiligendamm verlief es ganz ähnlich. Als 2006 das große Bauen los ging und für den G8-Gipfel ganze Straßen neu gebaut und in Heiligendamm ganze Straßenzüge abgerissen wurde, hatte ich jede Menge zu fotografieren. Nie zuvor hatte die Weiße Stadt am Meer in so kurzer Zeit so sehr ihr Gesicht verändert.
Mein Bruder sagte mir rechtzeitig Bescheid, welches Gebäude als nächstes abgerissen wird und ich sah zu, dass ich von allen Seiten noch Fotos bekam. Hinein kam, durfte und wollte ich irgendwie auch nicht.
Die Abrissarbeiten in der Kühlungsborner Straße und die Straßenbauarbeiten waren bis zum Sommer 2007 im vollen Gange und ich knipste, was ich kriegen konnte, damit es nachher nicht verloren ist.
Manches Detail auf den Fotos hat später einige Leute sehr erfreut – sie dachten, es gäbe davon gar keine Bilder.
Niemand störte mich dabei – selbst dann nicht, als ich auf dem Hof der ehemaligen Fachschule Bilder machte, in der die Polizeigruppe KAVALA ihr Quartier hatte.
Erst auf dem Weg zum Auto wurden wir am Heizkraftwerk angehalten und ausgiebig kontrolliert. Aber auch hier hatten die Polizisten Verständnis, baten dann aber darum, die Arbeit nach dem Gipfel fortzusetzen. So ganz hielt ich mich nicht daran, aber mit der Schließung des Zaunes um Heiligendamm hatte sich das Thema eh für eine Woche erledigt. In Hohenfelde sahen wir Hubschrauber nach Hohen Luckow fliegen, in den Nachrichten erfuhren wir vom Greenpeace-Ballon, der Verfolgungsjagd auf dem Wasser, dem Sturm auf den Zaun, der Blockade des Molli, aber auch die Straßenschlachten, die Randale, die Wasserwerfer und Tiefflieger.
G8 hinterließ seinen Eindruck. Gebracht hat der Gipfel nicht viel und was so beschlossen wurde, haben die Politiker in den Folgejahren wieder revidiert.
Der Heimkehrer
Für uns privat war 2007 aber ein Wendepunkt.
Meine Oma mütterlicherseits starb im Juli und mein Opa, der sie aufopfernd gepflegt hatte, fiel in ein tiefes Loch. Er war selbst sehr krank und das kam jetzt ans Tageslicht. Bisher hatte meine Oma ihm gesagt, was er tun soll und er funktionierte. Nun funktionierte er nicht mehr und wir mochten ihn gar nicht allein lassen.
In Rostock waren zu diesem Zeitpunkt alle Zelte abgebrochen. Meine Arbeit im Callcenter war zur Qual geworden, weil ich nicht mehr gut hören konnte, aber der Arbeitsplatz sich nicht an mich anpassen ließ und der Arbeitgeber seine Organisation nicht ändern wollte. Wir trennten uns und meine Erwerbsminderung verdoppelte sich. Meine Frau hatte noch immer keine Arbeit gefunden und es auch schon aufgegeben und in der Wohnung machte sich nach der Sanierung der Schimmel breit und die Nachbarschaft war auch nicht mehr das, was sie mal war.
Wir wollten raus und am Liebsten gleich aus Rostock raus, denn nachdem wir zwei Jahre mal weniger und mal mehr nach einer neuen Wohnung suchten, hatten wir auch keine Lust mehr auf die Platte.
Wir suchten in der Region um Bad Doberan, um näher bei meinem Opa zu sein. Wir packten schon die Kartons und stapelten sie im Flur, obwohl wir noch keine Wohnung hatten. Die fanden wir im September und da wir uns von der Kündigungsfrist befreien konnten, zogen wir nach Bad Doberan in die Dammchaussee.
Möglich gemacht hat das mein Opa, denn die Kaution und Provision hätten wir nicht bezahlen können. Wir renovierten in Rostock die alte Wohnung und in Bad Doberan die neue und besuchten ihn, so oft es geht. Als er ins Krankenhaus kam hofften wir, ihn noch einmal zur von ihm ermöglichten neuen Wohnung fahren zu können. Die Hoffnung zerschlug sich mit der Nachricht, dass er in der Nacht gestorben ist. Im Januar 2008 starb dann auch die andere Oma und damit war die Großeltern-Generation (meine Verlobte hatte schon lange keine Großeltern mehr) auf einmal weg. Wie die Gründergeneration von Heiligendamm exakt 170 Jahre zuvor.
Der Wendepunkt
In Bad Doberan änderten wir auch unser Leben. Zuerst einmal war der Umgang mit den Nachbarn ein ganz anderer. Im Haus wohnten eine Psychologin, ein Steuerberater und ein Prokurist in Rente eines großen Glasherstellers mit seiner Frau, sowie zwei Mitarbeiterinnen des Grand Hotels.
Meine Verlobte und ich hatten beschlossen, die Schichtarbeits- und Frustpfunde abzutrainieren und so ernährten wir uns gesund und joggten morgens eine Runde entlang der Klostermauern. Wir machten endlose Spaziergänge durch die Wälder und Conventer Niederung und meine Kamera hatte ich immer mit dabei.
Auch finanziell wollten wir wieder aktiv werden und trugen Zeitungen aus – drei Zeitungen, jeden Mittwoch und Samstag in einem riesigen Gebiet in Bad Doberan. So lernte ich viele Häuser kennen. Beim Zensus 2011 meldeten wir uns freiwillig als Erhebungsbeauftragte und nun lernte ich auch noch von innen viele Häuser und ihre Geschichte und viele nette Leute kennen, mit denen ich auch über das Tagesgeschehen, die Stadtpolitik und die Stadtgeschichte redete.
Der Sinneswandel
In Bad Doberan nun hatten wir eine Zeitung im Briefkasten, die ich vorher nicht kannte: Den Bad Doberaner Stadtanzeiger am Samstag. Hier gab es viel zu Heiligendamm zu lesen und das las sich so ganz anders, als in der OSTSEE-ZEITUNG.
Dabei war alles, was da zu lesen stand, auch schlüssig. Ich wusste gar nicht, wem ich glauben sollte. Da gab es dann auch Kommentarfunktionen zu jedem Artikel auf der Internetseite und es entwickelten sich immer zu Heiligendamm lange Diskussionen.
Ich gab meinen Senf dazu und erstmals bekam ich dafür Kritik, unter anderem vom Herausgeber Frank Andreas Jütte selbst, der sich aufregte, dass ich Halbwahrheiten verbreitete. Für mich waren es Wahrheiten – mehr Informationen hatte ich nicht.
Aber für mehr Informationen war ich stets offen und die kamen durch einen Mann, der durch eine ausgesprochen sachliche Schreibweise auffiel. Als Politik-Kenner war mit der Name Horst Gühler nicht unbekannt und sein jüngerer Sohn ging mit mir zur Schule. Es folgten seitenweise ausführliche Dialoge – ich fragte, Gühler antwortete. Wir trafen uns einmal, weil er mir zur Geschichte etwas überreichen wollte und wir setzten den Dialog lange fort. Meine Meinung begann zu schwinden – sie änderte sich nicht, sondern löste sich auf. Ich erkannte, dass die Diskussion nur schwarz und weiß kennt und hielt mich zurück und änderte auf Grund neuer Fakten dann auch auf der Internetseite einige meiner Analysen.
Das Projekt Heiligendamm verstand ich dadurch aber auch noch nicht – wie Jagdfeld damit Geld verdienen wollte und was er vorhatte, wusste ich trotzdem noch nicht. Ich war lieber weiterhin misstrauisch – nun allerdings allen Meinungen gegenüber.
Das erklärte er sehr bald selbst: Im Sommer 2009 brachten die ECH und das Grand Hotel eine gemeinsame Zeitung „ZUKUNFT HEILIGENDAMM“ heraus und parallel verteilten sie Flyer, in denen sie einen „Faktencheck“ für Aussagen des Bürgerbundes betrieben.
Vieles sprach meine kaufmännische Bildung an und ich verstand, welche Goldgrube da vor unserer Tür lag. Wie aber die Stadt davon profitieren könnte, wenn sie sich in den Händen eines Investors befand, verstand ich zu der Zeit noch nicht. Außerdem hing da immer noch die totale Abschottung wie ein Damoklesschwert über Heiligendamm. Und die wollte ich nicht und darum blieb ich dem Investor gegenüber nicht wohlgesonnen.
Der erste Kontakt
Das änderte sich im Laufe des Jahres 2009.
Ich hatte mich wieder mehr der Geschichte zugewandt und suchte noch fehlende Daten zu den Gebäuden. Nicht nur Zahlen fehlten, auch frühere Nutzungen und natürlich wollte ich wissen, was denn mit den Häusern in Zukunft geschieht.
Es lag auf der Hand, einfach mal den Eigentümer zu fragen und der war in dem Fall immer die Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm, kurz ECH.
Also sandte ich eine lange E-Mail mit einer Masse an Fragen.
Ich bekam tatsächlich prompt eine Antwort und zwar direkt vom technischen Geschäftsführer Hans Schlag, der mir auf ruppige, aber nicht unfreundliche Art klar machte, dass er meine E-Mail unverschämt fand und nur gegen Zahlung einer dreistelligen Summe alle Fragen beantworten würde. Ich interpretierte das so, dass er weniger Fragen für weniger oder kein Geld beantworten würde und reduzierte meine Fragen. Diesmal sagte er mir klar, dass ich eine unverschämte Nervensäge bin und er meine Beharrlichkeit schätzt. Ich solle einen Termin machen, er wolle sich mit mir treffen.
Das erste Treffen
Das nahm ich erst mal ganz locker an, als ich aber in einen Raum geleitet wurde, wo schon zwei Herren am großen Tisch saßen, bereit zum Schreiben und Reden und mir gespanntem Blick, war mir nicht mehr so wohl. Die Art der Berliner Schnauze des Herrn Schlag lockerte aber die Atmosphäre auf.
Die beiden anderen Herren waren der kaufmännische Geschäftsführer Heiner Zimmermann und der Pressesprecher Dr. Christian Plöger. Was auch immer ich fragte, wurde mir sachlich beantwortet oder es versucht oder notiert und später beantwortet.
Der Kaufmann, der Architekt und der Außendarsteller erklärten mir die Abläufe, die Gegebenheiten, die Ziele, die Notwendigkeiten, die Hindernisse und Probleme und zum ersten Mal verstand ich, was Jagdfeld bewog, was er vor hat und wie er das erreichen will. Und ich musste zugeben, dass das eine riesige Goldgrube für die Stadt ist und die dumm sein muss, diesen auf dem Silbertablett servierten Schlüssel wegzuwerfen. Auch aus den Einschränkungen machten die drei keinen Hehl, konnten aber alles begründen und mich letztlich auch überzeugen, dass genug Heiligendamm für jedermann da ist und ja letztlich auch jeder das Grand Hotel mit seinen Angeboten nutzen könnte, wenn er es zu bezahlen bereit wäre.
Die erste Vor-Ort-Besichtigung
Dem Gespräch folgten viele E-Mails, ich durfte mir Ende 2010 mit meiner Verlobten den Fürstenhof, die Kolonnaden und die Villen „Schwan“, „Möwe“ und „Greif“ von innen ansehen, um Eindrücke von den verschiedenen Zuständen zu bekommen.
Hans Schlag zeigte mir, dass eigene Elektroinstallationen aufgesetzt wurden, an denen große Geräte hingen, von denen dicke Schläuche durch das ganze Haus gingen. Wir stiegen über die Schläuche, schlängelten uns Treppen hoch und runter und durften uns umsehen. Die Anlagen sorgen konstant für 16°C und 60% Luftfeuchtigkeit.
Ohne viel fragen zu müssen erklärte unser Gastgeber uns, dass an den Wänden der Boden aufgenommen wurde, damit man die Wände auf Feuchtigkeit überprüfen kann und dass Hausschwamm gefunden wurde und selbst Salzausblühungen von Überschwemmungen. Er erzählte, was die Denkmalschützer alles geprüft haben und wie die Sanierung ablaufen wird.
Während im Keller des Fürstenhofes ein zartes Bäumchen aus dem Boden wuchs, lief man in der „Möwe“ auf einem Moosteppich.
Im „Schwan“ pfiff er uns rechtzeitig zurück, damit wir nicht in ein Loch fallen, das sich aufgetan hatte, als die Hälfte des Hauses innen eingestürzt war.
Im „Greif“ waren wir in der Wohnung von Professor Serowy und amüsierten uns über das innenliegende Badezimmer mit Oberlichtfenster zum Hausflur hin.
In einem Zimmer war die Heizung geplatzt und hatte eine rote Rostwasserlache an der Wand hinterlassen, die aussah, als wäre hier jemand erschossen worden. Das Haus war aber in guter Verfassung.
In den Kolonnaden hingegen hielten wir es unten in einer Halle nur ein paar Minuten aus, weil der Schimmel dort schon die Wände überzog.
Oben waren wir in den Wohnungen, unter anderen von Klaus-Peter Behrens, dem bis dahin bekanntesten Gegner des Jagdfeld-Vorhabens. Bei der Gelegenheit erfuhren wir auch einiges über die Entstehung der Feindschaften.
Für mich am Wichtigsten war aber die Versorgung mit Materialien. Wenn ich Bilder brauchte, musste ich nur sagen welche und wenn ich Infos brauchte, nahm Herr Schlag sich die Zeit. Ich bekam genau die Mappen für jede Villa, die auch Interessenten der Wohnungen gezeigt wurden. Das sind zu Heiligendamm die wichtigsten Informationen, denn sie sind fundierter, als ich es damals leisten konnte und umfassen gut die Hälfte der denkmalgeschützten Gebäude.
Die erste Hotelführung
Als das Grand Hotel 2009 vorübergehend Hausführungen anbot, um die Situation etwas zu entschärfen, war ich auch mit dabei, samt Eltern und Bekannter.
Bei einer späteren Hausführung bekamen wir noch einmal ein ganzes Ende mehr zu Gesicht und vor die Linse.
Wir konnten uns verschiedene Zimmer und Suiten im Severin-Palais, dem Grand Hotel, dem Haus „Mecklenburg“ und der Burg ansehen, waren auch im Kurhaus und der Orangerie und im Kinderhaus.
Auch das Modell des zukünftigen Heiligendamms sahen wir uns an. Das war ein wichtiger Baustein in meiner Wertschätzung für das Grand Hotel und seine Sanierung und den Wunsch, dass es so weiter geht.
Der Kontakt zu Eckart Paap
Später lernte ich Eckart Paap kennen, der für die Pläne Jagdfelds brannte, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, dass er einige Zusammenhänge nicht verstand.
Manche seiner Forderungen für den einfachen Mann ließen sich nicht mit dem Vorhaben Jagdfelds vereinbaren.
Ecki zeigte mir Winkel von Heiligendamm, die ich noch nicht kannte. Er ging mit mir zum Grundstein der Adolf-Hitler-Schule, zeigte mir die Baugruben und erklärte mir Flora und Fauna. Sein Traum war es, den Spiegelsee wieder erlebbar und den Kleinen Wohld zu einem Spazierwald zu machen.
Am vorletzten Tag des Jahres 2010 waren wir stundenlang zusammen mit einem weiteren Interessierten in Heiligendamm unterwegs. Für Überraschung sorgte ich, als ich mit dem TV-Team von Spiegel-TV vor der Tür stand. Die Redakteurin wollte noch eine Person befragen, die in Heiligendamm wohnt und da fiel mir natürlich zuerst das Urgestein ein. Als Ecki 2012 starb ließ ich es mir nicht nehmen, ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Des Fleißes Lohn
Das Jahr 2009 markierte den vorläufigen Höhepunkt im Streit um Heiligendamm.
Nichts ging mehr, alles wurde zerredet oder blockiert und der Stillstand störte mich erstmals auch, denn ich wusste ja nun, welches Potenzial der Fortschritt erwecken kann.
Ich beschäftigte mich auch mit Wustrow, das ja auch der Jagdfeld-Gruppe gehört und immer mehr mit der Geschichte auch des Klosters und der Zeit vor 1900. Denn längst hatte ich verstanden, dass man die Geschichte Heiligendamms nicht für sich allein betrachten darf.
Besonders in Erinnerung ist mir das Jahr 2011.
Im Januar stand plötzlich ein Mann an unserer Wohnungstür, der zwei dicke Ordner Heiligendamm-Material in meine Hände geben wollte, damit ich es dem, was ich tat, hinzufüge und öffentlich zugänglich mache.
Dieses saubere und ordentliche Archiv ermöglichte es mir, viele Lücken zu schließen.
Trotzdem ist es auch heute noch nicht erschöpft. Ich habe es wieder auf dem Tisch stehen.
Ein anderer Doberaner schenkte mit Bücher zu Heiligendamm und ein Dritter lud mich ein, mit ihm das Mecklenburgische Heim zu besuchen, für das er ein Gutachten machen sollte, aber nicht unbedingt allein darin umherlaufen wollte.
Ich kam mit Sanieren ins Gespräch und der neue Eigentümer der Villa „Lotte“ zeigte mir vor dem Abriss die ganzen MfS-Anbauten an die historische Kasch-Villa und die Zellen, in denen Verhaftete vorübergehend eingesperrt wurden.
Die Spurensuche
Aber ich wurde auch selbst aktiv, kontaktierte frühere Mieter oder Mitarbeiter aus Heiligendamm und Eigentümer verschiedener Immobilien oder Baugrundstücke.
Außerdem nutzte ich jede Gelegenheit und die wenige freie Zeit, um durch die Stadt zu gehen, aktuelle und frühere – oft noch in den Scheiben erkennbare – Hausnummern und auf ganz verschiedene Art und Weise in Gebäuden eingravierte Baujahre zu notieren. Das mache ich manchmal sogar nebenbei auf dem Weg zum Einkauf oder Arzt. Ich gehe immer andere Wege.
Bei der Gelegenheit hielt ich immer den Istzustand der Gebäue und Straßenzüge auf Fotos fest, sodass ich später Veränderungen besser eingrenzen kann, sollte ich sie mal nicht dokumentiert haben.
Wie sich heraus stellt, hilft das nicht nur, Sanierungsdaten einzugrenzen, sondern ist sehr gefragt, denn oft will jemand wissen, wie das Haus oder die Straße eigentlich vorher aussah. Das Interesse an Geschichte ist in Bad Doberan schon recht groß, wie die Besucherzahlen bei derartigen Veranstaltungen und Kommentare zu alten Fotos im Internet zeigen.
Dank Geodatenportal und Google Maps speichere ich auch Luftbilder, um Veränderungen in der Stadtentwicklung dokumentieren zu können.
Auch das ist sehr gefragt, denn das Neue ist schnell selbstverständlich und wenn man sich entsinnt, dass das ja noch gar nicht so alt ist, kommt die Frage: „Was war denn da eigentlich vorher?
So manches Foto versetzte später Leute in Entzücken, weil ich etwas festgehalten hatte, was sie schon lange suchten und verloren glaubten – beispielsweise alle Reliefs an der ehemaligen Fachschule in Heiligendamm.
Weitere Quellen sind Bücher, E-Books und Digitalisierungen und alte Filme, die in Bad Doberan gedreht wurden und wo ich dann mit der Drucken-Taste eifrig Details festhalte und analysiere, denn oft gibt es dort Rückschlüsse auf die Nutzung, z. B. Geschäftsnamen oder Schaufensterauslagen. Verifizieren kann ich vieles mit Zeitzeugen, einer davon war mein Vater.
Ich durchstöbere Immobilienbörsen nach Gebäudedaten und Grundrissen. In Archiven hingegen sieht man mich nicht so oft – dafür fehlt mir leider die Zeit.
Die Wahrnehmung von ZEIT AM MEER
Was auch immer man zu Heiligendamm suchte – man landete früher oder später auf ZEIT AM MEER. Inzwischen überließ mir ein Kieler auch die bindestrichlose Variante für kleines Geld.
So kam es, dass einige Leute mich kontaktierten. Spiegel-TV fragte Ende 2011 nach einem Interview und das fand auch statt.
Meine Informationen wurden im Film verarbeitet, ich selbst bin einen Augenblick zu sehen, dessen Aufnahme gut zehn Minuten dauerte.
Auch Gäste kontaktierten mich und lobten die vielen Hintergrundinformationen. Interessenten für die Häuser wandten sich an mich und natürlich auch Stadtvertreter- und Bürgermeisterkandidaten im Wahlkampf, denn ZAM war irgendwo auch eine Seite zur Meinungsbildung.
Und es gab auch neben einigen sachlichen Kritiken solche Leute, die es nicht anders gelernt haben, als Menschen mit anderen Ansichten zu beschimpfen und denunzieren.
Die meisten E-Mail-Schreiber wollten aber nicht ihren Frust ablassen, sondern hatten Lust zu etwas und suchten Hilfe.
Meistens wollten sie ein Haus kaufen oder suchten einen Platz für ihre Geschäftsidee, derer es gute gab, die Heiligendamm sehr nützen würden.
Eine Stiftung wollte Heiligendamm zum Ort für ein jedes Jahr stattfindendes Forum machen und fragte nach Ansprechpartnern. Aus dem Rathaus kam allerdings nicht die erwartete Unterstützung, sodass dieses Forum letztlich die Hamburger HafenCity als Konferenzort wählte.
Auch von den Interessenten kaufte letztlich keiner eine Immobilie, weil die Preisvorstellungen zu weit auseinander gingen.
Der Erklärbär
Ich führte einen Filmscout durch Heiligendamm und beantwortete einer TV-Produktion und einer Zeitung Fragen. Beim Stadtarchiv gehöre ich zu den Adressaten, wenn es um spezielle Fragen geht.
Da sich in der Gästeführer-Gruppe herumgesprochen hat, dass ich gut mit dem Internet kann, kommt auch manche Frage, wo ich durch Recherchen weiterhelfen kann und da man weiß, dass ich mich regelmäßig bei der ECH und dem Grand Hotel und auf dem Laufenden halte und als Journalist meine Ohren überall habe, bin ich manchmal der Erklär-Bär, wenn Hintergründe unklar sind.
Doch ich werde nicht nur gefragt – man bringt auch Informationen zu mir.
Der erste Kontakt dieser Art kam aus den Niederlanden, wo ein Mitarbeiter der Niederländischen Königlichen Bibliothek mir Bilder aus dem Staatsarchiv vom Besuch der Königlichen Familie in Heiligendamm schickte.
Er hatte zwar auch einige Fragen, aber es überwogen die Informationen.
Wie an anderer Stelle schon geschrieben, brachte mir ein Bad Doberaner seine komplette Heiligendamm-Sammlung und durch den Zugang zur Sammlung der Jagdfeld-Gruppe habe ich auch noch viel Arbeit vor mir.
Manchmal kommen einfach nur kleine E-Mails mit Infos oder jemand drückt mir am Rande von Treffen etwas in die Hand. Selbst Dozent Dr. Steinmüller hatte extra für mich noch Infos zu Walter John in Heiligendamm.
Ich freue mich jedes Mal wie ein kleines Kind über diese Puzzlestücke, die ich zu einem großen Ganzen zusammensetzen und der Öffentlichkeit zugänglich machen will.
Aus einem Kontakt entwickelte sich ein teilweise reger Austausch, der bis heute anhält und der es mir ermöglichte, tiefere Einblicke und wichtige Kontakte im Skandal um Börgerende zu bekommen.
Zum Richtfest für die Villa „Großfürstin Marie – Perle“ war ich auch eingeladen und in der Zeitung ZUKUNFT HEILIGENDAMM erschien eine Collage der verschiedenen Gäste, in der ich als „Heiligendamm-Kenner Martin Dostal“ vorgestellt wurde.
Für mich ist klar, dass Professor Skerl der größte Kenner Heiligendamms ist, aber das ist er auch ohne Titel und so darf ich diesen benutzen, um nicht nur „Fan“ zu sein, sondern sagen zu können, dass ich mich durchaus mit Heiligendamm auskenne.
Tatsächlich habe ich im Laufe der Jahre ja nicht nur theoretisches Wissen gesammelt, sondern bin an vielen Stellen herum gekrochen und habe mir so manche Hose und Jacke dabei zerrissen. Selbst vor und nach den Führungen lasse ich es mir nicht nehmen, freie Zeit zu nutzen, um einfach nur mal zu sehen, was es Neues gibt in Heiligendamm – und zunehmend auch in Bad Doberan.
Der Journalist
Der Mann der Worte
Schreiberling war ich schon, seit ich schreiben konnte. Meine Aufsätze erreichten stets die Mindestlänge, meistens gehörten sie zu den längsten.
Manche Lehrer glaubten, ich habe aus Büchern abgeschrieben, weil die Formulierungen so ungewöhnlich waren.
Meine Deutsch-Lehrerin in der freiwillig wiederholten 10. Klasse las einen Aufsatz laut vor und fragte, wer das wohl geschrieben hat. So gut kannten die Mitschüler mich nicht, also tippten sie auf jemand anderes.
Sie waren ganz erstaunt, dass der ruhige Einzelgänger das geschrieben hat. Nun, es ging um das Thema „Gewalt“ und ich breitete es von Mobbing über Prügelei bis hin zu Weltkriegen aus und endete mit Marx‘ „Es kömmt nicht darauf an…“ Das machte Eindruck und ich wurde bedrängt, das an das Land zu schicken. Das tat ich nicht, denn ich hielt es für die falsche Adresse und einen Schulaufsatz für die richtige Adresse nicht geeignet.
Wenn es in der Familie etwas zu schreiben gab, wurde ich gefragt und das weitere sich bald auf den ganzen Bekanntenkreis aus. Und wenn ich irgendwo in einer Gruppe mit mache, dann bin ich automatisch der Mann für die Pressearbeit.
Übung macht den Meister – geschadet hat es mir nicht.
Der Weg zum Journalismus
Tja und dann waren da noch die Leserbriefe in der OSTSEE-ZEITUNG. Der erste folgte einem Aufruf, Erinnerungen an die Wendezeit niederzuschreiben. Alle weiteren waren verfasste Meinungen.
Einmal schrieb ich einen Bericht und sandte ein Bild mit und dann sollte ich in die Redaktion kommen, weil man nicht finden konnte, wo mein Honorar hinsollte. Offenbar hielt man mich für einen Journalisten und wollte den Beitrag ganz normal honorieren.
Ich klärte das auf, bekam mein Honorar aber trotzdem und einen Termin zu einem Gespräch, falls ich Interesse an einer Zusammenarbeit hatte. Der Termin kam letztlich durch eine Terminverschiebung nicht zu Stande und mein Interesse war nicht groß genug, um einen neuen Termin zu machen.
Sechs Jahre Stadtanzeiger
Zum Journalismus kam ich erst Jahre später in 2011. Der Geburt meiner kleinen Nichte ging eine recht aufwändige Aktion voraus, um die Schwägerin aus dem Haus heraus in die Klinik zu kriegen.
Die glücklichen Eltern baten mich, eine Danksagung an die Helfer an den Stadtanzeiger zu schicken.
Das tat ich und nach einigen Nachbesserungen sagte mir der Stadtanzeiger-Chef Frank-Andreas Jütte die Veröffentlichung zu. Dabei fragte er, ob ich nicht Lust hätte, für ihn zu schreiben. Ich fragte zurück, was genau er meinte und er erzählte, dass es einige Leute gibt, die aus Spaß an der Sache für die Zeitung schrieben – reich werden könne man damit nicht, aber es gäbe Honorar.
Ich schlug ein Treffen vor, das am 20. September stattfand und in dem er mir erzählte, dass er meine Beiträge zu Heiligendamm und die Leserbriefe in der OSTSEE-ZEITUNG sehr schätzt und sich vorstellt, dass ich das einfach im Stadtanzeiger als Artikel schreibe – und natürlich alles, was mir sonst noch einfiel.
Da hatte ich gleich mal zwei Artikel in petto: Einmal die von Gühler kritisierten fehlenden Busparkplätze im Stadtzentrum und einmal die von einer bis da unbekannten Gartenfreundin vorgeschlagenen Blumenpatenschaften.
Außer dem Transport von Ideen widmete ich mich auch dem Transport von Informationen und erklärte. Wohin das Steuergeld fließt und wie der Totensonntag entstand. Geschichte blieb ein Thema und Heiligendamm mein Steckenpferd.
Der Rathaus-Reporter
Als ein langjähriger Mitarbeiter aufhörte und Herr Jütte mich bat, an seiner Stelle an den Stadtvertreterversammlungen teilzunehmen und darüber zu berichten, hatte ich genug zu tun.
Ich mochte diese Versammlungen nicht, weil auf ihnen endlos diskutiert, gestritten und auch mal persönlich angegriffen und selbst Gäste nicht verschont wurden.
Für mich war das pure Zeitverschwendung, aber immerhin gab es so brühwarm aus dem Kasperletheater zu berichten.
Da die Protagonisten des Theaters auch in der Öffentlichkeit polarisierten und es zu Heiligendamm nur zwei Meinungen und nichts dazwischen gab, bekam ich auch Lob und Kritik für die Berichte, aus denen mancher meinen Standpunkt zu erkennen glaubte, obwohl ich versuchte, zwischen Schwarz und Weiß zu bleiben.
Logischerweise bekam ich auch den Schlamm ab, den sich beide Seiten zuwarfen – wenn man zwischen den Fronten berichtet, gehört das dazu.
Überwiegend gab es aber Dank und Lob und Kritik war meistens sachlich und versuchte, vom eigenen Standpunkt zu überzeugen.
Es gab aber auch eine Handvoll E-Mails und Leserbriefe, in denen ich mangels Argumenten oder der Fähigkeit, diese zu nutzen, persönlich angegriffen wurde. Immerhin: Andere erhielten Drohbriefe, Kot im Briefkasten oder Mist vor der Tür.
Punkto Heiligendamm sprach ich auch mit denen, die gegen all das waren, was Jagdfeld verkörperte.
Ich interviewte auf Bitte des Verlegers Bürgerbund-Mitbegründer Klaus-Peter Behrens, besuchte FDP-Chef Harry Klink und mir wurden auch von anderen Leuten Fragen beantwortet. Gerade dieses Agieren zwischen den Fronten ist meine Stärke.
Zur Wahl befragte ich beide Male alle Parteien und Kandidaten. Und zwar auch die der NPD, was anderswo oft verpönt ist.
Manche kamen auch selbst zu mir und erklärten mir die Zusammenhänge, beleuchteten die Beziehungen der Stadtvertreter untereinander und ermöglichten mir so, das Verhalten besser zu verstehen.
Auf den Sitzungen kam es bald so, dass wenn ich da war, alles ruhig bis langweilig verlief und wenn ich mal nicht anwesend war, musste ich am Folgetag in der OSTSEE-ZEITUNG von Diskussionen und Schimpftiraden lesen.
Zuerst dachte ich, das wäre übertrieben, aber dann fragte ich andere Teilnehmer – es kamen ja immer dieselben und man tauschte sich dann nachher aus – und es war wirklich so:
Wenn ich nicht da war, ging es hoch her. Entweder habe ich ein schlechtes Gespür für solche Stimmungen oder man vermied es, solcherlei Futter zu geben, wenn ich da war.
Der Unbequeme
Denn der Stadtanzeiger galt als Gegenpol zur OSTSEE-ZEITUNG und oft las man in beiden Medien zum selben Thema völlig unterschiedliche Sichtweisen. Ich war ein Teil dieses Prinzips.
Dann war da noch der Insolvenzverwalter, den ich um ein Interview bat, dem er auch zustimmte und das eine Doppelseite im Stadtanzeiger füllte.
Was ich nicht wusste: Die OZ hatte so ein Interview von ihm nicht bekommen.
Anfangs gab er dem Blatt Infos, das wurde aber immer weniger. Dafür hatte sie Jagdfeld interviewt, was ich auch gern mal getan hätte, wozu es aber nicht kam. Wenn ein kleines Anzeigenblatt etwas bekommt, das der Platzhirsch nicht haben kann, dann hat das natürlich was.
Möglicherweise störte das einen Mann, der auch Heiligendamm als Lieblingsthema hatte und der wie ich nicht klar auf einer Seite stand – zumindest tat er es in meinen Augen nicht. Er profitierte davon, wenn sich gestritten und bekriegt wurde und er darüber berichten konnte. Genau das, was ich nicht mochte, schien sein Programm zu sein und als Journalist wäre es nicht einmal ein Problem, Salz in die Wunden zu streuen.
Ich will, dass es in Heiligendamm voran geht – darum habe ich immer jede Gelegenheit genutzt, um Gemeinsamkeiten zu finden und fördern und die Beteiligten auf ein gemeinsames Interesse zu lenken.
Mir lag stets die Mahnung des Pastors Albrecht Jax im Ohr, der auf dem Höhepunkt des Stadtvertreter-Streits an die Streitenden schrieb, sie mögen der Stadt Bestes suchen. Und Bad Doberan-Heiligendamm hat erstens so viel Gutes und zweitens das Beste verdient.
Jetzt war es also ausgerechnet ein Mann, der eigentlich eher ein Kollege ist, der es auf mich abgesehen hatte. Wobei ich nur ein Mittel zum Zweck war und wo er es gern in Kauf nahm, mir Schaden zuzufügen. Und das kam so:
Meyer rief mich zuhause an und erzählte mir, dass ihm eine E-Mail zugespielt worden sei, die ich ECH-Chef Hans Schlag schrieb.
In der Mail bat ich um einen Termin für ein Gespräch für einen Artikel und Schlag war einer von drei verschiedenen Beteiligten, den ich befragen wollte. Ich ließ mich auf Grund des inzwischen langen Verhältnisses zu einem Wortspiel verleiten und schrieb sinngemäß zum Stichweg, dass die Fordernden wohl einen „Stich weg“ haben. Genau das veröffentlichte Meyer in einem Artikel „Wie Jagdfeld Stimmung für sich macht“ und unterstellte dem „Blogger aus Hohenfelde“, Analysen, die stets wohlwollend ausfallen“ zu schreiben.
Am Telefon hatte ich ihm gesagt, dass ich das Vorhaben in großen Teilen gut finde, auch wenn ich Jagdfeld nicht kenne. Denn so war es: Mein erstes Gespräch mit Jagdfeld fand 2017 im Stehen für 3 Minuten am Rande des Richtfestes für Villa „Greif“ statt und handelte von der Ausstellung, die er gern den Gästeführern zu Führungen zur Verfügung stellen wollte. Sonst hatte ich nur mit Herrn Schlag und Dr. Plöger oder mit Frau Brasche-Salinger zu tun.
Meyers Artikel war für mich im ersten Moment sehr ärgerlich, aber das dauerte nur einen halben Tag an. Kurz darauf stand das Postfach nicht mehr still, der Besucherzähler von ZAM ging hoch und erreichte vorher nie gekannte Zahlen. Ich erhielt Kommentare und E-Mails von Medienleuten, die sich über Meyers Methoden ausließen und mir rieten, ihn zu verklagen. Dafür spendeten mir einige Geld. Doch für was sollte ich ihn verklagen? Für die beste kostenlose Werbung, die ich je kriegen konnte?
Ich reagierte stattdessen mit einem eigenen Artikel auf ZAM und die ZUKUNFT HEILIGENDAMM berichtete über den Vorfall und bescherte ZAM damit auch noch mal Besucher. In der Stadt redete man noch einige Zeit mit mir darüber und bei der ECH ging mir bald der Ansprechpartner Hans Schlag verloren, weil sich die ECH und er trennten. Das war aber kein Problem, denn die nicht-technischen Fragen beantwortete mir ohnehin Dr. Plöger.
Die Alternative
Die OZ-Geschichte hatte auch noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Nun meldeten sich reihenweise Leute bei mir, die von der OZ auf verschiedenste Art enttäuscht wurden.
Man muss es sich so vorstellen, dass Menschen ein Problem haben – mit einer Behörde oder mit Bauprojekten oder anderen Nachbarn – und sie sich an die OSTSEE-ZEITUNG wandten, damit diese darüber berichtet.
Nicht immer steht dann das in der Zeitung, was man sich erhofft hat.
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Manche stellen ihre Version der Geschichte dar und dann kommt der Journalist und fragt auch die andere Seite und nun stehen Aussage gegen Aussage und mitunter ist die der „Gegenseite“ dann schlüssiger und man fühlt sich vom Journalisten bloßgestellt. Oder man hat eine Meinung zur Lage, die einfach nicht der Sach- oder Rechtslage entspricht, der Journalist stellt einfach diese Lage korrekt dar und ist natürlich der Böse.
All das ist mir auch passiert und völlig normal, denn es geht um Emotionen und man liefert Fakten. Dann gibt es aber auch Journalisten, die Skandale suchen, um Aufreißer für die gute Auflage zu haben und darum aus Mücken Elefanten machen. Da wird dann auch gern mal was hinzugedichtet. Oder die eigene Meinung des Journalisten rückt in den Vordergrund – auch das passiert und das auch mir. Wobei ich ja kein gelernter Journalist bin und alles mit Leserbriefen begann – also mit meiner Meinung. Eben darum war jede Erfahrung in den Jahren beim Stadtanzeiger so wertvoll für mich.
Nun kamen also die „Missverstandenen“ und „Verarschten“ zu mir, um mir ihre Version von irgendetwas zu vermitteln, das die OZ nicht zu ihrer Zufriedenheit veröffentlicht hat. Ich entschied im Einzelfall, ob ich mich dem annehme oder nicht und wenn, dann machte ich das betont sachlich. Interessant war es allemal, welche Probleme so viele ganz verschiedene Leute in ganz verschiedenen Orten gerade mit dem Bauamt des Landkreises hatten.
Der Fall Stefan G.
Ein Fall brachte mich nach Heiligendamm zurück. Ein Bewohner war in Ungnade gefallen, weil er den Trampelpfad zwischen den Wohnblöcken und dem Garagenkomplex verbarrikadiert hatte und nun die Leute – meistens von der Median-Klinik da nicht mehr durchkamen.
Wie schon beim Grand Hotel wurden die Barrikaden umgangen, sodass er sie erweiterte, dann wurden sie zerstört, sodass er sie befestigte und schließlich setzte er sich selbst dort hin und hielt Wache.
Mit seiner stürmischen Art hatte er sich auch ein Hausverbot zugezogen und aus einem geplanten kurzen Gespräch vor Ort wurde eine stundenlange Reise in seine ganze Lebensgeschichte. Ärger mit dem Vermieter, schwierige Beziehung, immer wieder das Gericht am Hals wegen seines ungezügelten Verhaltens und nun auch noch regelrechte Hetze in der Zeitung, wo auch vor Prügel-Androhungen nicht Halt gemacht wurde.
Ich dachte, einen Schlägertypen zu treffen, der auf Stunk aus ist und traf mich nur mit ihm, weil derjenige, der mich quasi darum bat, ein ungescholtener Bürger ist. Was ich traf, war ein Mann, der schnell, laut und viel redete, sich in Rage aufregen und fluchen konnte, aber im Inneren verletzt und verzweifelt war, weil er keinen Platz in der Gesellschaft fand und immer mit einem Bein im Knast stand. Ich schrieb über ihn und er rief mich ein paar Tage später aus einer Anstalt an und erzählte mir von den neuesten Vorfällen im Streit mit dem Vermieter. Als ich nach Monaten nichts mehr von ihm gehört hatte und wieder mit seinem Bekannten Kontakt hatte erfuhr ich, dass er die Räumungsklage bekommen und sich in seiner Wohnung umgebracht hat.
Der Ferienwohnungs–Skandal
Ein anderer Fall fing klein an und brachte mich in eine riesengroße Sache.
Es begann mit einem Mann, der jemanden kennt, der ein Ferienhaus in einem Wohngebiet hat, dessen Nutzung ihm der Landkreis nun untersagte.
Ich traf mich mit beiden, befragte die zuständigen Behörden und auch Experten auf diesem Rechtsgebiet und fügte die Puzzleteile zusammen. Das alles wiederzugeben würde den Rahmen sprengen.
Es kam immer mehr ans Licht in der Verfahrensweise des Landkreises um das Verbot von Ferienwohnungen in allgemeinen Wohngebieten.
Da ich hier offensichtlicher als in Heiligendamm auf keiner Seite stand, meldeten sich bei mir bald alle: Befürworter von Ferienwohnungen in Wohngebieten und Gegner. Zum Schreiben kam ich kaum – die Recherchen allein brachten so viel ans Licht, dass ich dafür eine ganze Zeitung gebraucht hätte.
Da wurden ganze Ferienwohnungskomplexe vom Landkreis genehmigt, obwohl laut B-Plan gar keine Ferienwohnungen zulässig waren und zugleich wurden den kleinen Bürgern ihre Fewo verboten, wenn sie sich in Wohngebieten befanden. Da wurden massenhaft Leute in die kleinen Dörfer gelockt, für die sich bis dato wenn, dann nur Tages- und Campinggäste interessierten. Sie durften ihre Häuser bauen, Ferienwohnungen vermieten, dafür Steuern und darüber hinaus ja auch Straßenbeiträge zahlen, damit die Dörfer sich verschönern konnten und sie sorgten für eine Unterbringung von Gästen in einem Dorf, in dem kein Hotelier je gebaut hätte. Außerdem war jeder neue Einwohner auch Geld wert, denn auch die Zuweisungen richten sich danach.
Als dann die Dörfer durch diese vielen privaten Leute, die damit nicht reich werden, bestenfalls für ihr Alter vorsorgen, in den meisten Fällen aber erst mal einen Kredit zu tilgen haben, endlich schön anzusehen und für Touristen attraktiv waren, interessierten sich auch Investoren für die Orte. Die Gemeinden hofften auf ein Hotel als Magneten und Motor für den Tourismus, insbesondere angesichts der sonst verschlafenen Nebensaison, die so ein Resorthotel zu beleben vermag.
In Börgerende zum Beispiel wurde ein Sondergebiet für ein Hotel ausgewiesen und ringsum sollten Villen mit kleinen Beherbergungsbetrieben entstehen.
Alles zusammen wäre das „Maritim-touristische Zentrum“ nach dem Resort-Prinzip ähnlich den Center Parks.
Das hätte Zukunft und würde auf dem kleinen und abgelegenen Dorf zwischen zwei Städten bestimmt wunderbar funktionieren.
Stattdessen entstanden Ferienwohnungen und das in einer solchen Masse, dass selbst Grömitz und Scharbeutz dagegen bescheiden wirken. Selbst dort, wo eine Segelschule entstehen sollte, kamen nur Ferienwohnungen und zuletzt wurde auch noch das „SO Hotel“ mit einem Komplex bebaut, in dem die Wohnungen an Erwerber verkauft werden, bevor da ein Gast buchen kann.
In dieses Wespennest stach ich schon 2011 einmal, als es generell darum ging, dass in Börgerende hinter dem Deich etwas in großem Stil gebaut wurde, obwohl es sich um ein Überschwemmungsgebiet handelt.
Der Artikel sorgte für Aufschrei in Börgerende – zwei Gemeindevertreter sahen sich veranlasst, mich in einem offenen Brief und einem Leserbrief bestmöglich persönlich anzugreifen und die Sache selbst zu vertuschen. Ich lieferte Fakten hinterher und denen konnte man schließlich nichts mehr entgegensetzen.
Stattdessen meldeten sich nun die Widersacher jener Gemeindevertreter nach dem Prinzip „Meines Feindes Feind ist mein Freund“. Das ermöglichte mir tiefe Einblicke in die Verbindungen in Börgerende, aber auch in Bad Doberan, später Güstrow und Schwerin.
Ich begriff, wo der Fisch zu stinken begann und bohrte bei den Behörden nach. Auf schwammige Aussagen schickte ich gezielte Nachfragen, Ablenkungen lenkte ich zurück, Widersprüche stellte ich bloß und wann immer es passte, tat ich das in der Zeitung, sodass der Leser sehen konnte, wie „der Staat“ funktioniert.
Ich hatte einen kleinen Kreis an Leuten, die mir halfen, die Dinge zu verstehen und gezielter nachzufragen und es gab so einige interessante Entwicklungen, deren Zusammenhänge vielleicht im Kontext meiner Berichte oder zumindest Recherchen stehen.
Nach einem Patzer der Pressesprecherin in einer Antwort auf meine Presseanfrage wechselte sie in die Volkshochschule, bei den Wahlen gab es große Veränderungen in der Gemeindevertretung und ich spürte, wie die Behörden immer mehr mauerten und sehr sorgsam und gewissenhaft meine Fragen beantworteten, statt mich nur abzubügeln.
Geändert hat sich durch die neue Gemeindevertretung nichts und auch wenn ich bei der Gründung derer, die am Ende stärkste Kraft wurden und den Bürgermeister unterstützen, dabei und voller Hoffnung war, dass sie all das, was sie anprangerten, dann auch beseitigen, tat ich gut daran, nichts zu ihrer Unterstützung zu tun.
Denn jetzt machen sie genau das, was sie angeprangert hatten und zwar in einem noch größeren Tempo und symbolisch gesehen mit dem Stinkefinger in Richtung der Wähler und Unterstützer, die genau das ändern wollten.
Börgerende ist hin – damit mag ich keine Zeit mehr verschwenden. Am Ende hatte ich dann allerhand Karten in der Hand, die ich nicht ausspielen konnte, weil „meine“ Zeitung nicht mehr existierte. Aber mit Börgerende verbinde ich eine große Sache:
Der Gerichtsprozess
Es war 2014, meine Frau hochschwanger, in Heiligendamm herrschte wieder Stillstand und ich verglich als Kenner beider Orte Heiligendamm, wo nichts mehr ging, mit Börgerende, wo alles ging und auch die letzte Lücke mit Fewo-Komplexen zugepflastert wurde.
Ich berichtete über einen in Börgerende tätigen Bauträger, den man vor Ort kaum kannte, während außerhalb der Provinz die Zeitungen voll mit seinem Namen waren, wenn es um Gentrifizierung und die Hegestraße in Hamburg-Eppendorf ging.
Das Ganze tat ich auf ZAM, weil es dort besser passte. Dem Bauträger missfiel der Vergleich und er ließ mich abmahnen, wie man das so macht, wenn ein kleiner lokaler Blogger irgendwo in einem Dorf im Osten etwas über einen Bauträger aus Hamburg schreibt, das ihm missfällt. Und natürlich nimmt man eine renommierte Kanzlei mit Adresse am Elbufer und prominenten Mandanten.
Ich fühlte mich dennoch nicht geehrt und kontaktierte eben die Anwältin, von der ich wusste, dass sie genau mit dem Bauträger selbst Ärger hat und ihn besser einschätzen kann. Sie vertrat mich, es kam zur Klage und Verhandlung, am Ende stand ein Vergleich, für den mir nur „sonderbar“ einfällt: Ich sollte schreiben, dass ich nicht mehr behaupten darf, was ich behauptet habe – also meine Behauptungen wiederholen und dann dazu schreiben, dass ich die nicht mehr sagen darf. So standen am Ende all die Sachen doch wieder auf ZAM und das mit dem Segen der gegnerischen Partei.
Die Lorbeeren
Mich kostete die Sache Geld, das ich mitten in der Vorbereitung für das erste Kind nicht hatte, aber es brachte mir auch etwas ganz Wichtiges:
Das Gericht schrieb schwarz auf weiß, dass ich nicht nur ein Blogger, sondern wie ein Journalist zu sehen bin.
Ich hatte als Journalist Fehler gemacht, sodass es nicht unter Meinungsfreiheit fiel.
Das war wie ein Ritterschlag – das Landgericht Hamburg erkannte mich als Journalisten an.
Seinen Geschäftspartnern in Börgerende erwies der Bauträger damit einen Bärendienst, denn nun konnte auf meine Presseanfragen niemand mehr antworten, ich sei ja nicht von der Presse und man nicht zur Auskunft verpflichtet.
Der stille Vermittler
Während ich mir in Börgerende keine Freunde, außer die Betroffenen machte, deren Erwartungen ich aber angesichts der Größe des Skandals und des Unwillens geeigneter Journalisten zu Recherchen – sie werden wissen warum – nicht erfüllen kann, stand ich in Heiligendamm nun nicht mehr zwischen verfeindeten Fronten, sondern zwischen zwei Unternehmen, die sich erst einmal kennen lernen mussten.
Beide verbindet ein Ziel, aber die Vorstellungen vom Weg dorthin waren recht unterschiedlich und man sich nicht grün.
Jagdfeld hatte das Grand Hotel verloren und Morzynski hatte es übernommen. Ich war bei Pressegesprächen dabei, pflegte andererseits auch den Kontakt zur Jagdfeld-Gruppe weiter und so manches Mal, wenn der eine nicht verstand, warum der andere gerade so handelte, konnte ich durch anonymisierte Gedankenspiele weiterhelfen.
Der Rückzug
Nach 13 Jahren wilder Ehe fassten wir zu Neujahr 2012 am Warnowufer in Gehlsdorf den Entschluss, dieses Szenario zu beenden.
Heiraten wollten wir schon lange, einzig fehlte uns letztlich doch immer das Geld für wenigstens eine kleine Hochzeit, an die angesichts der Größe der Familie aber schon gar nicht zu denken war.
Unsere Eltern hatten signalisiert, uns zu unterstützen und 2012 sollte unser Jahr werden.
Warum gerade dieses Jahr, ist einfach erklärt. Das Haus, in dem wir zur Miete wohnten, wurde verkauft und der neue Eigentümer wollte das ganze Haus für sich haben.
Wir waren innerlich schon länger bereit umzuziehen, weil wir im Souterrain wohnten und der Regensommer 2011 uns dort unten hart getroffen hatte, wenngleich nicht zum ersten Mal. Die Bauarbeiter fühlten sich bei uns schon wie zuhause und es war absehbar, dass die Flickerei ewig weiter gehen würde, weil die beiden schwäbischen Eigentümer einfach nicht bereit waren, in ihr Anlageobjekt zu investieren.
Der Verkauf war eine logische Konsequenz, die wir zwar nicht so kurzfristig kommen sahen, aber da wir bereit zum Umzug waren, suchten wir eine neue Bleibe. Ich fand interessante Wohnungen eines Stephan Gloge in Westenbrügge, Reddelich und Wittenbeck und wir sahen uns schon nicht ganz leichten Herzens im Marstall von Gut Westenbrügge, denn in Bad Doberan und auch den umliegenden Dörfern war absolut nichts zu finden. Westenbrügge hingegen wäre für die Tätigkeit für den Stadtanzeiger eigentlich schon zu weit weg gewesen. In einem Gespräch mit dem Bürgermeister von Hohenfelde bat ich ihn, wenn er mal was hört, mir doch Bescheid zu sagen. Wie der Zufall es wollte, wurde in Hohenfelde gerade eine Wohnung frei – drei Zimmer, wie es gut zu unserer Familienplanung passte.
So konnten wir im Februar 2012 nach Hohenfelde umziehen und zugleich planten wir unsere Hochzeit. Die fand am 20. Oktober 2012 statt, dem wohl einzigen Tag mit strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und Wärme.
Die standesamtliche Trauung fand im Möckelhaus statt und bei der Kirche hatten wir die Wahl und schwankten zwischen Heiligendamm und dem Münster, entschieden uns dann aber für das Münster. Möglich war das nur, weil meine Frau getauft, konfirmiert und Kirchenmitglied ist.
Wir wussten von einer Überraschung, nämlich einer Kutschfahrt nach Heiligendamm. Die anderen Gäste wussten das nicht und gingen davon aus, dem Hochzeitsauto zu folgen, als dann der Landser eintraf. Wir voran in der offenen Kutsche auf Durchlauchts Wegen, die motorisierte Gesellschaft hinterher, Empfang im Grand Hotel und eine ausgiebige Fotosession in meiner liebsten Kulisse und an unserem liebsten Strand – es war der bis dahin schönste Tag unseres Lebens und er endete spät in der Nacht in Reinshagen, wo wir uns eine Traditionsgaststätte für die Feier ausgesucht hatten, weil meine Familie damit etwas verbindet.
Perfekt war das Glück, als meine Frau im Winter 2013 das Gefühl hatte, dass das, was wir längst aufgegeben haben, nun doch wahr wurde.
Ich hatte einen Termin mit einem Schulfreund, der mich eingeladen hatte, die neue „Perle“ einmal so von innen zu besichtigen, wie sie auch die Interessenten sehen. Er hatte dazu die Möglichkeit und da er ZAM kannte, hielt er das für eine gute Gelegenheit, um sich mal mit mir über die Planung eines Klassentreffens zu unterhalten. Ich setzte meine Frau beim Frauenarzt ab und fuhr zu meinem Termin.
Bis auf ein paar Fotos und ein paar innere Bilder habe ich an die Besichtigung gar nicht so viele Erinnerungen, denn ich wartete auf den Anruf meiner Frau. Oben im Dachgeschoss kam er dann und auch wenn sie nichts verriet, verriet ihre Stimme alles. Ich war noch nie so schnell von Heiligendamm nach Bad Doberan gekommen.
Während der Schwangerschaft fuhren wir immer mal wieder an den Strand, damit sie ihre Füße ins Wasser halten kann. Am 30. Mai 2014 erblickte unser Sohn das Licht der Welt und von nun an waren wir regelmäßig in der Stadt und dem Seebad unterwegs.
Als meine Frau wieder Arbeit fand und ich in der Zeit den Kleinen hatte, schob ich ihn durch das Klosterareal, durch Heiligendamm und durch die Stadt.
Wir fuhren mit dem Molli und besuchten immer wieder die Bahnhöfe oder warteten an der Bahnstrecke auf den nächsten Zug.
Molli-Videos bei Youtube gehören zum Abendritual dazu, wie die Geschichte aus dem Buch.
Für mich ist das auch noch interessant, denn es sind auch alte Videos dabei und da kommt dann wieder fleißig die „Drucken“-Taste zum Einsatz.
Als der Steppke laufen konnte, gingen wir auf die Spielplätze, wanderten auf dem Jakobsweg (500 Meter vom Spielplatz zur Rasthütte und wieder zurück) und nahmen ihn in Althof auch zum Zeitungsaustragen mit.
Lange unternehmen wir beide etwas, wenn Mama am Wochenende arbeitete und wenn ich ihn fragte, wo wir hin wollen, dann hieß es immer: „Heidamm“.
Abgeschlossen ist die Familienplanung noch nicht und Hohenfelde wird auch nicht die letzte Station bleiben.
Das erste Jahr als Vater sorgte für einige Umstellungen. Späte Termine konnte ich oft nicht wahrnehmen und auch bei den Recherchen war ich manchmal eingeschränkt.
Zwei Monate hinderte mich das Pfeiffersche Drüsenfieber daran, mehr zu tun, als Pressemitteilungen umzuschreiben.
Das Ende einer Ära
Dafür kam ich 2016 wieder auf Touren und die Fewo-Verbotswelle und die Genehmigungen des Linden-Palais in Heiligendamm und der Waterkant Suites in Börgerende gaben mir mehr Stoff, als ich abarbeiten konnte.
Herrn Jütte war das inzwischen gar nicht mehr so recht – zwar wurden die Artikel gern gelesen und waren die klickstärksten auf der Internetseite, aber bei all den Skandalen kamen die netten Dinge des Lebens zu kurz.
Tatsächlich hatte ich dafür oft gar kein Auge übrig und musste sie erst einmal wieder suchen.
Allerdings war ich inzwischen auch so ein Hinterfrager, dass ich selbst die schönen Dinge hinterfragte und sie in den Kontext der unschönen brachte oder sie einfach noch nicht schön genug fand.
Trotzdem schrieb ich viele nette Sachen, die meine persönlich bekannten Leser dazu veranlassten zu fragen, was denn los ist – das ist ja alles nur noch derselbe wischiwaschi, wie in den anderen Zeitungen.
Ich nahm es mir zu Herzen und den Landkreis aufs Korn, denn hier war der Schreibstoff unendlich und außer Journalist bin ich ja auch (Mit)Bürger und Vater eines Kindes, das hier später auch noch ein schönes Leben führen soll. Diese Themen sprachen die Leute dann auch wieder an – da hatte ich die Kurve gekriegt.
Die Ära endete jäh im Jahr 2017. Das Jahr begann schon nicht gut – Schwiegermutter war krank und der Krebs erreichte nun das Endstadium.
Aus ganz egoistischen Gründen nahm sie keine Hilfe an, hatte sie doch drei Töchter großgezogen und die sollten nun für sie da sein.
Grundsätzlich wäre es für mich kein Problem gewesen, immer im Wechsel mal eine Woche mit dem Laptop in einem der ausreichend vorhandenen Zimmern zu arbeiten, aber in dem Kaff gab es kaum Internetempfang und mit dem Handy telefonieren ging auch nicht.
Ich verlor den Anschluss an das 70 Kilometer entfernte Zuhause, mir gingen die Themen aus, oft konnte ich nur auf dem letzten Drücker etwas aus dem Ärmel schütteln und die Qualität der Artikel litt darunter.
Die Schwiegerfamilie hatte dafür keinerlei Verständnis und meine Frau mit dem Kleinen dort allein zu lassen brachte ich nicht übers Herz und den Kleinen ohne Mama mitzunehmen auch nicht.
Die Ehe litt unter der Situation und ich musste darüber nachdenken, wie es denn nun weiter gehen sollte, denn ein schnelles Ableben war nicht in Aussicht.
Finanziell belasteten uns die vielen langen Fahrten sehr, sodass wir die Zeitung, für die ich schrieb, auch austrugen.
Das war interessant, denn die Leute warteten regelrecht auf ihre Zeitung, aber es war auch anstrengend. Meine Frau nahm auch noch einen Job auf, bestand die Probezeit nicht, fand aber einen neuen, was nun aber zur Folge hatte, dass ich auch ihre Zeitungen austragen musste. Finanziell half das sehr, körperlich belastete es sehr und für ZAM blieb seit 2014 eigentlich gar keine Zeit. Ich versuchte, ZAM zu monetarisieren, also Geld damit zu verdienen – einzig fehlte es mir entweder am Know how oder an der Zeit, Ideen umzusetzen.
Das Ende des Stadtanzeigers
Gerade als ich mit den Gedanken spielte, zum Jahresende mit dem Schreiben für den Stadtanzeiger aufzuhören und mich stattdessen der Entwicklung von ZAM und Journalismus dort zu widmen, bekam ich die Nachricht, dass der Stadtanzeiger eingestellt wird. Erst war ich erleichtert, denn das passte zeitlich, dann ernüchtert, denn das Geld fehlte und dann wehmütig, denn nun hatte ich keinen rechten Grund mehr, mich mit Leuten zu treffen und zu schreiben.
Die Orientierungsphase
Das mit ZAM war inzwischen aussichtslos – jemand zeigte mir, welches Potenzial die Seite hat und was ich dafür tun musste und so sehr ich es auch versuchte – das ist allein nicht zu schaffen.
Schon 2014 hatte ich die Idee, ZAM zu trennen in einen Teil, der das weiterführte, was bisher war und einen, der sich größerem widmete.
Ich reservierte erstes-seebad.de und wollte dort die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Bad Doberan-Heiligendamm bringen.
Einzig für zeit-am-meer.de mangelte es mir an einem Plan. So ging es dort zwar seit 2012 immer mal ein wenig weiter, aber das ist eigentlich gar nicht der Rede wert – immer nur Editorials und mal einen kleinen Artikel. Ich hatte ja den Stadtanzeiger und so fehlte mir das auch nicht. Erst mit der Insolvenz wuchs mein Bedürfnis nach ZAM wieder, aber es schrumpfte mit den fehlenden Möglichkeiten, die alte Leserschaft zu erreichen.
Der Gästeführer
Der Zufall
Als ich eines Tages im Sommer 2013 mit meiner neuen Kamera bessere Fotos für die Gebäudedatenbank machte und gerade an der Perlenkette fertig war, beobachtete ich eine Gruppe von Leuten.
Sie versammelten sich um einen älteren Herren zur Stadtführung.
Solche Stadtführungen hatte ich schon oft beobachtet, nun wollte ich mal lauschen, weil ich gerade dicht genug dran war, um zuhören zu können.
Das gelang nur eine Minute, dann sah mich die Tourismuschefin Kerstin Morgenroth, die ausgerechnet an diesem Tag eine Stichprobe machte und an der Führung teilnahm. Wir kannten uns durch den Journalismus und die Pressearbeit und sie lud mich ein, mich anzuhängen. Von der Führung bekam ich nicht viel mit, denn wir redeten über Heiligendamm und den Tourismus und nach der Führung lud sie mich zu einem Schleckeis ein und fragte, ob ich nicht auch Stadtführer werden wolle. Es gab in Heiligendamm nur drei Leute und mit meinem Wissen sollte das doch kein Problem und eine Bereicherung sein. Das nächste Stadtführertreffen stand kurz bevor und ich könne mich ja mal vorstellen. Warum eigentlich nicht?
Ich besuchte die Stadtführer und war erst einmal peinlich berührt, dass gerade die Frau dort die Chefin zu sein schien, die ich vor einem Jahr mal mit einem besserwisserischen Einwurf bei einer Führung abgelenkt habe.
Sie erinnerte sich nicht mehr dran und so wurde es ein netter Abend in einer angenehmen Runde, deren Altersdurchschnitt sehr hoch ist.
Einige kannte ich vom Sehen oder vom Namen her.
Ja, ich wollte mit machen, aber dafür musste ich einen Kurs mit machen und der startete nach dem Sommer. Die Zeit brauchte ich ja auch, um mich vorzubereiten und so widmete ich mich wieder der Geschichte und als ich gerade wieder im Stadtarchiv nach Infos suchte, fragte mich Andrea Gläwe, ob ich mich mit Excel auskenne.
Der Historiker Helge Rehwaldt – für mich wie Professor Skerl eine Institution – hatte Einwohnerlisten aus russischen Registern ins Deutsche übersetzt und mit einem anderen Mann in eine Tabelle gebracht und nun musste das noch einmal kontrolliert und ein weiteres Buch übersetzt werden. Das war spannend und ich gern dabei. Dadurch erfuhr ich nun von dem, der mit stets so unerreichbar war, vieles aus der Geschichte. Später wurden wir Kollegen und wenn wir es nicht vergaßen, per Du. 2020 ist er gestorben.
Die Ausbildung
Außerdem kam ich so zur Ortschronistentagung, was ich noch gar nicht kannte und – schon allein wegen des Veranstaltungsortes damals im Pantechnikum Wismar – sehr spannend fand.
Wenn irgendwo irgend ein Chronist oder Historiker etwas vorträgt, bin ich dabei und mache fleißig Notizen.
Allein meine Frau fand es nicht immer gut, wenn ich sie mal wieder allein ließ, aber als sie auch arbeitete, gab sich das bald.
Der Kurs fand an der Volkshochschule statt, Dozent war Dr. Wilfried Steinmüller und der versorgte uns auch gleich mit dicken Packen Papier zur Landesgeschichte. Er kannte und lobte ZAM und ich erkannte, dass es hohe Erwartungen an meine Arbeit gibt, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. Als Institution sah ich ZAM nicht an – genau das sollte es aber sein, nicht wie Wikipedia, aber wie Lexikus.
Ich versprach, dem gerecht zu werden. Gelungen ist mir das erst seit 2018. Nach dem Kurs gab es das Zertifikat und ab Mai 2014 hätte ich dann mit den Führungen beginnen können, bat aber um Einsätze erst ab Juli, wegen der Geburt des Sohnes.
Die erste Stadtführung
Meine erste Führung fand dann im Juli 2014 statt und ich nenne sie die „Gummibärchen-Führung“. Ich berichtete auf ZAM über die Führungserlebnisse und meine Erkenntnisse. Von nun an war ich wieder voll der Chronist, aber alles blieb offline, landete auf dem Papier, statt im Internet. Man mag es mir nachsehen: Damit konnte ich nun schließlich Geld verdienen, was online nicht ging. So gingen die Jahre dahin, ich freute mich immer auf den Sommer, recherchierte viel im Winter und hatte jedes Mal Lampenfieber vor den Führungen.
Die Gruppenführungen
Gruppen wollte ich deshalb nicht führen, aber als eine Gruppe mich direkt kontaktierte und privat um einen Vortrag über die Entwicklung der Stadt und am Nachmittag eine Führung in Heiligendamm bat, konnte ich nicht nein sagen und merkte bald, dass es Spaß macht.
So nahm ich dann auch Gruppen an, mal allein, mal zusammen mit Peter Mahncke. Jedes Jahr erreichte mich auch mindestens eine private Anfrage – Heimatverein, Bildungswerk, Zoo – und ich wurde somit immer sicherer. Das beste Jahr war 2020, denn da war ich der einzige Gästeführer, der auch während des Lockdowns ein Hygienekonzept hatte und führen konnte. Als krönenden Abschluss gab ich den Rostocker Stadtführern eine Update-Führung im Rahmen ihrer Weiterbildung. Die letzte Führung 2020 hatte 33 Teilnehmer aus der Post-Corona-Rehabilitation der Median-Klinik.
Als Perfektionist sorgte ich für professionelles Auftreten – als ein neuer Drucker fällig wurde, nahm ich einen mit A3-Größe, kaufte eine Fächermappe in A3, eine passende Umhängetasche, ein geeigneteres Portmonee und einen Stimmenverstärker, denn ich spreche eigentlich nicht laut und wenn ich es mache, werde ich schnell heiser.
Ich ließ Visitenkarten drucken und spendierte den Gästeführern auf eigene Faust die lang diskutierte Internetseite samt Facebook-Präsenz. Es gibt dennoch genug Probleme zu meistern – das Stadtmarketing war lange schlecht und da unsere Werbung darüber läuft, hatten wir dementsprechend auch nur wenig Zulauf. Das hat sich seit 2019 gebessert. Es ist ein Hobby, ein anerkanntes Ehrenamt und wohl keiner der Gästeführer tut es des Geldes wegen.
Der besondere Besucher
Im Sommer 2017 nahm dann ein Herr an einer Führung teil, der mir erst einmal dadurch auffiel, dass er sich für mein Namensschild interessierte. Nachdem ich ein paar Fragen stellte, gab er sich als Freund Jagdfelds zu erkennen und bereicherte die Führung durch natürlich echtes Insiderwissen.
Das war nicht einmal unangenehm und die anderen Teilnehmer bedankten sich bei ihm.
Bei einem Eiskaffee – dort, wo mit Frau Morgenroth alles begann – erzählte er mir von der Ausstellung Jagdfelds, die vom Obergeschoss, wo ich sie schon mal studiert hatte, in extra dafür hergerichtete Räume ins Hochparterre gezogen ist und die er gern zugänglich machen würde und da auf die Stadtführer hofft. Ich versprach ihm, mit den Gästeführern drüber zu sprechen.
Das Wiedersehen
Noch vor diesem Termin fand das Richtfest für Villa „Greif“ statt.
Wie beim Richtfest für das Grand Hotel regnete es aus Strömen und ich erreichte die Baustelle so nass, wie ich sie vor sieben Jahren beim Spatenstich für die „Perle“ verlassen hatte. Damals allerdings wegen der Hitze.
Unter den Kolonnaden stand die kleine Schar der bekannten Gesichter – Arenz und Seehaus aus der Stadtvertretung, mit denen ich mich unterhielt über das erfreuliche Ergebnis.
Es gab Wiedersehensszenen von Leuten, die einst zusammenarbeiteten und deren Wege sich getrennt hatten, deren gemeinsames Anliegen sie aber an diesem Tag wieder zusammenführte. An diesem Tag fühlte es sich an, als seien wir alle Mitstreiter für Heiligendamm. Diesmal hielt nicht Anno August Jagdfeld die Rede, sondern sein Sohn Julius. Es hatte ein Generationswechsel stattgefunden in diesen sieben verflixten Jahren.
Das Gespräch mit Jagdfeld
Als ich so an Anno August Jagdfeld vorbei kam, der gerade seinen Eintopf löffelte, kam auch Dr. Plöger hinzu und stellte mich ihm vor. Er sagte einen Satz über mich, der mich sehr erfreute. Wir redeten über die Ausstellung und über die Möglichkeiten, die ich für die Stadtführungen sehe. Es war ein kurzes Gespräch und das erste überhaupt. Gleich danach stürzten sich Medienvertreter auf ihn und ich ließ mir von Herrn Plöger das Obergeschoss zeigen, während wir ein Fazit zogen.
Dieses Gespräch zu erwähnen ist mir wichtig, weil es Leute gibt, die glauben, ich würde Jagdfeld kennen oder hätte Zugang zu ihm oder die gar unterstellen, ich würde für ihn arbeiten. Dass man etwas aus Überzeugung tut, scheint manchen gar nicht in den Sinn zu kommen. Bad Doberan ist eine Stadt mit vielen Ehrenamtlichen, die sich aus Überzeugung engagieren. Da bin ich nur einer von vielen. Inzwischen hat es ein weiteres Treffen gegeben. Herr Jagdfeld lud die im Showroom tagenden Doberaner Ortschronisten spontan ins Medinis ein. Wir redeten über Geschichte und Kultur, er hatte viele Fragen und interessante Ideen.
Die neuen Pläne
Die Gästeführer folgten der Einladung des Jagdfeld-Vertrauten und der warb für die Möglichkeiten, die sich uns ergeben.
Organisatorisch ist es allerdings nicht so einfach, die Führungen vorn mit der Ausstellung hinten zu verbinden.
Die anderen Gästeführer hielten sich zurück, ich hingegen preschte vor und bot nun jeden Freitag um 10 Uhr eine Kombi-Führung von der Promenade in den Geschichtssalon an.
Ohne Erfolg – die Resonanz war gleich Null. Nur zum Denkmaltag und einmal privat hatte ich Gäste. Also entschloss ich mich, das Konzept zu ändern. Die Ausstellung – inzwischen ist sie ins Nebengebäude gezogen – soll kein Museum sein, durch die jeder hindurch läuft. Darum biete ich sie exklusiv mit Führungen an.
Zurück zu den Wurzeln
Eigentlich war ZEIT AM MEER ja immer ein Hobby. Ich tat das alles für die Allgemeinheit und wenn ich mal Werbelinks einbaute, dann sollten sie die Kosten decken, was sie aber nie taten. So hoch waren die Kosten aber auch wieder nicht, sodass ZAM daran nie gescheitert wäre.
Eher an der Zeit, denn die fehlte zunächst 2012 durch den Umzug, die Hochzeitsplanung und den Journalismus. Meine Leistungsfähigkeit ist sehr begrenzt, darum bin ich ja voll erwerbsgemindert. Wenn ich dann für Artikel recherchierte, Vereinstätigkeiten hatte und dazu noch die Familie, dann blieb keine Zeit mehr für ZAM.
Ich versuchte, das alles etwas unkomplizierter zu gestalten, aber als das Grand Hotel 2012 dann auch noch in die Insolvenz ging, war für mich der Stadtanzeiger einfach das bessere Medium. Ich hatte Ideen für ZAM, auch ganz neue, aber keine Zeit dafür. Als dann die nicht unkomplizierte Schwangerschaft und schließlich die Kinderbetreuung dazu kamen, war es eigentlich vorbei mit ZAM. Ich wollte es nur nicht wahrhaben.
Es gab dann zwei Menschen, die ich beide sehr schätze, die sich nicht kennen und mir neue Optionen aufzeigten: Der eine schlug vor, ZAM auszuweiten und damit Geld zu verdienen und der andere schlug dasselbe vor, war dann aber, als ich es versuchte und damit nicht zurechtkam auch so ehrlich zu sagen, dass ich das nicht schaffen werden. Er bot mir ein fertiges und laufendes Projekt eines leider verstorbenen Bekannten an, wenn ich ihm dafür – den Wert des Projekts hätte ich nämlich nicht bezahlen können – ZAM gebe. Er will ZAM in die richtigen Hände legen, so wie man seinem Kind die beste Entwicklung zukommen lassen würde. Für mich ist es eine Befreiung, denn es war schade, dieses riesige Fass mit nur ein paar Tropfen zu füllen. ZAM kann viel mehr, als ich es allein jemals schaffen würde.
Natürlich wollte ich aber in keiner Sekunde die Inhalte von ZAM aufgeben. Ich hatte schon 2014 die Idee, aus ZAM eine Reiseseite zu machen und dafür die Geschichte, Gegenwart und Zukunft und das sonst noch hinzu gekommene auf eine eigene Seite zu bringen. Die Domain dafür reservierte ich mir schon: erstes-seebad.de. Ich hatte dann auch schon einmal die Inhalte dahin ausgelagert, sah dann aber bei Google ZAM abstürzen und darum holte ich alles zurück und entwickelte ZAM noch ein wenig weiter. Google hat das aber nicht beeindruckt. Somit hatte ich also ZEIT AM MEER im Internet quasi umgebracht.
Mit der Weitergabe eröffnet sich nun eine neue Möglichkeit, denn für irgendwann mal neue Macher ist mein Heiligendamm-Teil nicht relevant. Ich konnte also auf ERSTES SEEBAD völlig neu starten und doch auch einfach weiter machen.
Während ich die alten Rundgänge einfach übernehmen kann, macht das beim Architekturführer keinen Sinn, weil er den Stand von 2011 hat und längst überholt ist. Ich habe so viele neue Erkenntnisse, dass ich es gar nicht verantworten kann, den alten Kram wieder zugänglich zu machen. Für die Gebäudedatenbank gilt dasselbe, wobei die auch nicht einfach übernommen werden könnte, weil es sich um ein Tabellengerüst handelt, das WordPress nicht sauber übernehmen und Google mir verübeln würde.
Update November 2020
Seit der letzten Überarbeitung dieses Beitrages sind zwei Jahre vergangen. Im Juli 2018 starb meine Mutter, im Dezember 2019 mein Vater. Auch meine Frau hat beide Eltern in den zwei Jahren verloren. Unser Sohn geht seit August 2020 zur Schule, im Sommer war ich als Strandvogt unterwegs und wir sind mitten im zweiten Corona-Lockdown. Trotzdem oder gerade deshalb ist Erstes Seebad gewachsen, gut zu finden, sehr bekannt und auch gefragt. Und es monetarisiert sich selbst. Ob ich es nun noch „nur ein Hobby“ nennen kann, muss ich in Frage stellen. Ich poste jeden Tag einen Beitrag bei Instagram, mehrmals in der Woche bei Facebook, mehrmals im Monat Beiträge und alle drei Monate einen großen Rückblick auf das Geschehen in Bad Doberan-Heiligendamm.
Private, Sachverständige, Buchautoren und selbst das Stadtarchiv fragen für Recherchen bei mir an und während Corona konzentriere ich mich mit DOBERAN TO GO darauf, den lokalen Gewerbetreibenden zu helfen. Auch bei den Ortschronisten geht es voran, bei den Gästeführungen hatte ich das beste Jahr überhaupt. Schließlich hat auch die OSTSEE-ZEITUNG in ihrer Serie „Die Urlaubsmacher“ über mich geschrieben. Um also diese immer wieder gestellte Frage zu beantworten: Es läuft.
Sie sind jederzeit willkommen!
Ihr Martin Dostal