Erfüllt Heiligendamm die Seeheilbad-Kriterien? ZAM analysiert:
Seit 1976 darf sich Deutschlands ältestes Seebad mit dem Titel „Seeheilbad“ schmücken. 2009 wurde dieser Titel mit strengen Auflagen verlängert und in diesen Tagen kommt aus Schwerin die Mahnung, diese Auflagen zu erfüllen, denn sonst ist 2014 der werbewirksame Titel weg. Welche Voraussetzungen muss die Weiße Stadt am Meer erfüllen? Welche erfüllt sie bereits? Welche nicht nicht – und warum? Das sind die Fragen, denen ZAM auf den Grund geht.
Zuerst zur Frage, was ein Ort bieten können muss, um Seeheilbad zu sein.
Die Wikipedia listet hier auf:
1. Lage an der Meeresküste; die Ortsmitte darf grundsätzlich nicht mehr als 2 Kilometer von der Küstenlinie entfernt sein.
Das ist in Heiligendamm gegeben und es zeigt sich, dass der Masterplan der ECH diese Bedingungen berücksichtigt, indem er den – in Heiligendamm de facto bisher nicht vorhandenen – neuen Ortskern an der Kühlungsborner Straße sieht, wo auch Tagesgäste in Restaurants, Bars, Cafés einkehren und in verschiedenen Geschäften und Boutiquen einkaufen können soll. Jeder neue Investor ist gut damit beraten, sich den Masterplan der ECH genau anzusehen, die Gründe zu hinterfragen und seine Pläne so ähnlich umzusetzen, wie die ECH sie umsetzen wollte (wobei sie es auch weiterhin will).
2. Wissenschaftlich anerkanntes und durch Erfahrung kurmäßig bewährtes, therapeutisch anwendbares Klima und eine entsprechende Luftqualität, die überwacht werden.
Auch diese Bedingung wird in Heiligendamm erfüllt. Das Klima und die Luftqualität sind wissenschaftlich anerkannt und die Median-Klink wendet es auch therapeutisch an. Messstationen für die Luftqualität gibt es m. W. an Villa „Möwe“ und das Badewasser wird regelmäßig durch Fachleute im Labor geprüft und durch unabhängige Dritte (z.B. ADAC) stichprobenartig kontrolliert.
3. Mindestens eine Praxis eines Badearztes muss vorhanden sein.
Auch diese Bedingung ist erfüllt: Zur Zeit ist Dr. Bernd Wagner in der Median-Klinik in Heiligendamm als Badearzt ansässig. Eine Übersicht über alle Badeärzte der Stadt gibt es übrigens hier: http://www.bad-doberan.de/kuren-wellness/badeaerzte.html
4. Einrichtung zur Abgabe und Anwendung der Kurmittel.
Standardmäßig gibt es dafür ein Kurmittelhaus, welches in den 1980er in Heiligendamm gebaut werden sollte aber aus Geldmangel und auf Grund des Protestes der Denkmalschützer nicht realisiert wurde. Das Sanatorium erfüllte daraufhin weiter die Aufgabe des Kurmittelhauses und diese Aufgabe ging schließlich an die Median-Klinik Heiligendamm über. Dort können die verschiedenen Kuren gebucht, vorgenommen und bezahlt und die dafür benötigten Utensilien geholt und wieder abgegeben werden. Das ist der einzige Sinn eines Kurmittelhauses. In Bad Doberan selbst erfüllt das Moorbad diese Aufgabe.
5. Einwandfreie Badewasserqualität an einem gepflegten und bewachten Badestrand, die überwacht wird.
Die blaue Flagge auf den Dächern der Weißen Stadt am Meer ist das Zeugnis einwandfreier Badewasserqualität, denn nur wer allen Prüfungen und Proben stand hält, bekommt das begehrte Zertifikat. Die Badewasserqualität wird durch Fachleute und unabhängige Dritte ständig überwacht.
6. Strandpromenaden, vom Straßenverkehr hinreichend ungestörte Parkanlagen, sowie Strand- und Landschaftswege, Möglichkeiten für Spiel und Sport.
Hier könnte es Probleme geben: Eine Strandpromenade ist vorhanden, sie führt auf dem Deich entlang und endet auf der Seebrücke. Ein von der FDP geforderter und von der ECH bezahlter und im Bau befindlicher Rundweg verlängert die Promenade direkt am Strand entlang führend bis zum Strandabgang „Liegnitzsteg“. Diese 300.000 Euro teure Maßnahme schafft eine besondere Strandpromenade, welcher näher am Wasser ist, als die vorhandene Promenade. An Stelle – wie von Mitgliedern der Bürgerinitiative „Pro Heiligendamm“ und der „IHG“ gefordert – einer Promenade durch den Küstenwald auf der Oberkante der Steilküste entlang verlaufend, verläuft diese Promenade direkt durch die solehaltige Brandung, überquert sogar auf mehrere Meter das Wasser.
Die „vom Straßenverkehr hinreichend ungestörten Parkanlagen“ findet man in Form des von der ECH 2008/09 geschaffenen Kurwaldes, der in seiner rechtlichen Einordnung einzigartig in Deutschland ist. Zwar wird der Kurwald von zwei Straßen flankiert aber er ist gerade groß genug, um den Straßenlärm zu filtern. Weitere Parkanlagen gibt es theoretisch im Großen und Kleinen Wohld – die Entscheider erkennen in Einzelfällen auch nicht explizit für Kurzwecke ausgewiesene Grünanlagen an, wenn der prozentuale Anteil der öffentlich nutzbaren Grünflächen im Ort groß ist. In Bad Doberan wurde die Summe an öffentlich zugänglichem Grün als Ausgleich für den fehlenden Kurpark anerkannt und in Heiligendamm sind ca. 80% der Grünflächen öffentlich nutzbar. Ein paar Landschaftswege gibt es, weitere ließen sich durch Forst und StAUN schnell realisieren.
Einzig die Spiel- und Sportmöglichkeiten sind in Heiligendamm kaum zu finden. Der Tennisplatz, das Fitnessstudio, der Kinder-Club und zukünftige Bolz- und Fußballplätze gehören zum Grand Hotel und sind zwar auch für Tagesgäste und Einheimische nutzbar aber es ist fraglich, ob den Entscheidern das reicht. Die neue Strandversorgung an der Seedeichstraße soll einen Spielplatz enthalten – momentan hängen weitere Beschlüsse offenbar aber bei den Stadtvertretern fest. Heiligendamm sollte einen Sportabschnitt am Strand bekommen, die Neuordnung sieht aber auch eine Verlegung des FKK-Strandes vor, stieß auf Widerstand und hängt nun auch bei den Stadtvertretern. Bis Ende nächsten Jahres müssen Strandversorgung und Strandordnung stehen, ansonsten gefährden die Stadtvertreter den Seeheilbad-Titel Heiligendamms.
7. Während der Kurzeit: Diätberatung in Krankenhäusern und Diätküchenbetrieben, Beschäftigung mindestens eines Diätassistenten.
Alle diese Voraussetzungen werden einzig und allein Dank der Median-Klinik erfüllt. Sie profitiert am Meisten vom Titel Heiligendamms und hat daher eigenhändig alles unternommen, um die Defizite der Stadt auszugleichen.
8. Kommunikations- und Informationseinrichtung.
Auch hier ist die Median-Klinik das Zünglein an der Waage: Sie verfügt über ein Internetterminal und ein öffentliches Telefon. Zumindest aber öffentliche Telefone gibt es in Heiligendamm eine kleine Zahl.
Das Kurortgesetz des Landes verlangt den Bewerbern noch einiges mehr ab. Dort heißt es:
„über artgemäße Einrichtungen zur sportlichen Betätigung sowie zur Unterhaltung und Betreuung der Kurgäste, insbesondere leistungsfähige Beherbergungsbetriebe.“
Die Unterhaltung der Kurgäste übernimmt die Median-Klinik und ergänzt das Grand Hotel. Auch Stadtführungen durch das Rathaus gehören zur Unterhaltung. Das klassische Kino oder Theater hat wohl auch in anderen Kurorten ausgedient.
Richtige Probleme kann Heiligendamm hier bekommen:
Der Kurort mit seinen Einrichtungen ist in hygienisch einwandfreiem Zustand zu führen. Das betrifft insbesondere
1. die Trinkwasserversorgung und die Abfall- und Abwasserentsorgung,
Das ist natürlich kein Problem.
2. die Lebensmittelversorgung sowie die Überwachung der Einrichtungen und des Personals der Lebensmittelbetriebe
Hier muss man Kurgast und Tagesgast unterscheiden: Der Kurgast kann in der Median-Klinik essen, die alle diese Voraussetzungen erfüllt. Die Restaurants, Bistros und Cafés fallen nicht in diese Kategorie und wo der Tagesgast oder Pensions-Urlauber seine Brötchen her bekommt, interessiert die Entscheider nicht.
3. die öffentlichen Toiletten, die in ausreichender Zahl vorhanden sein müssen.
Hier bleibt das Urteil der Entscheider abzuwarten: Die beiden einzigen öffentlichen Toiletten Heiligendamms – eine ganz im Westen und eine ganz im Osten – liegen eigentlich zu weit auseinander. Auch ist ihr Zustand nicht mehr der Beste und sie erweisen sich in der Saison als zu klein.
Weitere Regelungen betreffen die Gaststätten im Ort:
(4) Es muss sichergestellt sein, dass auch in Gaststätten eine kurgemäße Verpflegung angeboten wird.
(5) In Gaststätten und in Einrichtungen nach Absatz 1 Nr. 2 und 4 sind Nichtraucherbereiche vorzuhalten.
(6) Einrichtungen für Kurgäste sowie Gaststätten und Beherbergungsbetriebe sollen die besonderen Belange von Behinderten, alten Menschen, Kindern und Familien angemessen berücksichtigen; andere öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere des Baurechts, über Maßnahmen für besondere Personengruppen bleiben unberührt.
(7) Es ist eine zentrale Auskunftsstelle zu betreiben, in der sich die Kurgäste über Unterkunftsmöglichkeiten, Einrichtungen und Veranstaltungen im Kurort unterrichten können.
Inwiefern diese Punkte auch auf Heiligendamm zutreffen, muss sich zeigen. Heiligendamm wird nicht als eigenständige Stadt wahrgenommen, sodass bei einigen Angelegenheiten auch Bad Doberan mit einbezogen wird.
Fazit: Heiligendamm muss kein Strandbad bauen und auch keine Meerwasserschwimmhalle her zaubern. Beides hat es 1976 nicht gegeben und beides war auch 2009 kein Hindernis für eine Verlängerung der Anerkennung.
Aber die Stadt muss die Strandversorgung mit dem Spielplatz genehmigen und die Strandordnung umsetzen, damit Spiel- und Sportmöglichkeiten am Strand entstehen können. Auch der Saisonparkplatz erscheint sinnvoll und auch die zweite Strandversorgung kann nicht schaden. Es muss an saubere und ausreichende öffentliche Toiletten gedacht werden und ein eventueller neuer Investor muss die Vision Robert A. M. Sterns von einem neuen Ortszentrum an der Kühlungsborner Straße umsetzen. Stadt und Investor müssen Hand in Hand arbeiten, um Angebote nicht nur für eine Klientel, sondern für alle Heiligendamm-Gäste zu schaffen.
Auf jeden Fall sollte die Stadt den Bauhof in den Kurwald schicken, um das wuchernde Grün zurück zu schneiden, die Gehwege vom Wildwuchs zu befreien, Schandflecken zu beseitigen und einige Reparaturen vorzunehmen. Ein paar bunte Blumenrabatte würden dem Ortscharakter sehr gut tun, ein Weg um den Conventer See mit Anbindung an Börgerende, Rethwisch und Bad Doberan mit Aussichtsturm über die Conventer Niederung würde die Umgebung enorm aufwerten und die Wiederherstellung des Spiegelsees und Ebnung der Waldwege im Kleinen und Großen Wohld würde einen würdigen Umgang mit der Geschichte des ersten deutschen Seebades bezeugen. Am Besten wäre es, die großen Aufgaben zuerst zu bewältigen aber kleine Schritte sind immer noch besser, als keine Schritte.
Nachtrag 24.05.2012: Auch die Ostsee-Zeitung hat inzwischen in dieser Sache berichtet, hat aber einige Dinge durcheinander gewürfelt: Redakteur Meyer hat statt der fehlenden „Strandversorgung“ das fehlende „Strandbad“ moniert (worauf sich auch das Fazit bezieht). Während die Strandversorgung gefordert wird, steht ein Strandbad gar nicht zur Debatte. Offenbar hat die Ostsee-Zeitung dem Bürgermeister auch ein Zitat untergeschoben, mit dem sie gegen die ECH feuerte. Schaut man in der Diskussion auf die vergangenen Jahre zurück, drängt sich ein Gedanke auf: Sommerloch.