Zwei in Bad Doberan, eine in Heiligendamm: Das sind die Notunterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine.
Eine lange Menschenschlange zieht sich über den Bürgersteig an der August-Bebel-Straße entlang. Autos blockieren eine Fahrbahnhälfte, aus dem Bus steigen gerade viele weitere Menschen aus. Sie stehen an, um Auszahlungen zu beantragen. Und das ist jede Menge Arbeit, denn es es warten viele.
Zwei Unterkünfte binnen einer Woche in Bad Doberan aufgebaut
Die erste Unterkunft wurde am 2. März-Wochenende bezogen. In der ersten Woche lebten 109 Menschen – überwiegend Frauen und Kinder – auf dem einst als Sonderschule gebauten Campus, der heute eine KITA und Schuleinrichtung beherbergt. Inzwischen sind es nur noch 84 Flüchtlinge, denn es erfolgen Weitervermittlungen in andere Orte oder auch eigene Wohnungen. Platz ist für 140 Menschen, die vom DRK und Freiwilligen betreut werden können.
Die zweite Notunterkunft ging in der Folgewoche am Berufsschul-Standort im Stülower Weg an den Start. Hier ist der ASB mit Freiwilligen mit der Betreuung der Flüchtlinge beschäftigt. Damit stellt Bad Doberan zwei der sechs möglichen Notunterkünfte im Landkreis Rostock. Aber auch in Privathaushalten sind viele Flüchtlinge untergekommen. Da noch nicht alle registriert sind, können die Zahlen nur geschätzt werden. Landesweit sind 6.050 der 10.800 Betten belegt, zusammen mit privaten Unterbringungen rechnet man mit etwa 9.000 Flüchtlingen, die seit Kriegsbeginn nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen sind.
Familie Jagdfeld holte Flüchtlinge nach Heiligendamm
Auch in Heiligendamm sind Flüchtlinge untergekommen. Die Berliner Zeitung berichtete zuerst am 21. März darüber, zeigte aber irrtümlich das Grand Hotel Heiligendamm im Titelbild. Auch die OSTSEE-ZEITUNG schreibt am 31.03.2022 von einem „ehemaligen Hotel der Familie Jagdfeld“. Sie meint damit nicht das Grand Hotel – dieses gehörte bis 2012 zur Jagdfeld-Gruppe, ist aber 2013 verkauft worden.
Was beide meinen, ist das Palais „Prinzessin von Reuß“, das nach der Wiedervereinigung von einer Familie Metz als „Residenz Hotel Heiligendamm“ betrieben wurde. Jagdfelds EntwicklungsCompagnie Heiligendamm (ECH) kaufte es 2002 auf, nachdem die Eigentümerfamilie das nicht mehr gut laufende Geschäft aufgab und in ihre rheinländische Heimat zurück kehrte. Seitdem betrieb die ECH das immer noch als Hotel eingerichtete Haus als Mitarbeiterwohnhaus für Mitarbeiter im eigenen Unternehmen und dem Grand Hotel.
Nachdem das Grand Hotel nun am südlichen Ortsrand mit den „Heiligendamm Boarding Houses“ eigene Mitarbeiterwohnungen baut und die ersten schon bezogen wurden, stand das Palais hinter der Perlenkette so gut wie leer. Anno August Jagdfeld erfuhr von UrkainerInnen, die nach Moldawien geflüchtet waren. Die OZ berichtet, dass einige dort nach einer Woche der kostenlosen Unterbringung bezahlen sollten. Von 800 Euro Miete ist die Rede und von einem Bus, der bereit stand, Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Die BZ berichtete auch von tagelangen Fußmärschen und Unterschlupf in leeren Fabrikhallen. Es sind verschiedene Flüchtlinge aus verschiedenen Orten, die sich dort zusammenfanden. Frauen und Kinder, von den Männern dazu gedrängt, sich in Sicherheit zu bringen, während sie in der Ukraine blieben.
Dieser Bus war im Auftrag Jagdfelds in Moldawien. Schon einige Zeit zuvor fiel Marta Jagdfeld auf, als sie in einer Bad Doberaner Facebook-Gruppe nach Übersetzern fragte. Die 30 geflohenen Frauen und Kinder sind ukrainische Juden. Die Familie des im katholischen Kloster erzogenen Unternehmers Anno August Jagdfeld ist dafür bekannt, sich für das Leben der Juden in Deutschland und ihr Schicksal zu interessieren und in der rheinländischen Heimat auch für jüdische Organisationen einzusetzen.
Ein Film einer Geflüchteten auf ihrem Facebook-Profil gibt einen Einblick in die großzügigen hellen Räume mit dem dunklen Holztresen, dem großen Esstisch im Wintergarten, der Lobby mit Ledersesseln und in mehrere Räume mit Waschmaschinen und Wäschetrocknern und einer gut improvisierten Küche mit vielen Herdplatten, Mikrowellen & Co. aufgereiht auf Tischen. Auch an ein Spielzimmer hat der vielfache Großvater gedacht.
Unter den inzwischen 55 Flüchtlingen in Heiligendamm sind auch eine Pianistin und eine junge Violinespielerin und darum hört man aus dem einstigen Sommerhaus der Großherzogin Auguste heute manchmal die Töne einer Violine, die aus Rostock gespendet wurde.
Eindrücke zwischen Freude und Angst
„Das Gefühl von einem Zuhause will sich hier dennoch nicht einstellen. Es sei mehr wie ein Urlaub. „Wir können das Gefühl, glücklich zu sein, nicht richtig zulassen“, sagt ihre Mutter Vera Furman der OZ.
Es gab auch einzelne Personen, denen die deutsche Bürokratie zu lange dauerte. Ohne Registrierung geht in Deutschland nichts – vor allem die Jobsuche und damit das Geldverdienen nicht. Mit den ÖPNV können die Flüchtlinge kostenlos fahren – zum Amt müssen sie selbst. So wie heute.
Doch die Mehrheit ist zufrieden. „Wir haben keinen Palast erwartet“ sagte eine Frau bei der Ankunft in der Turnhalle am Kellerswald. Die Violineliebhaberin fiel bei ihrer Ankunft direkt am Meer auf die Knie und weinte beinahe: „Oh mein Gott. Was für ein Glück wir haben. An diesem wunderschönen Ort“.
Die Doberaner und ihre Nachbarn spenden nicht nur für die Flüchtlinge in der Ferne, sondern engagieren sich auch vor Ort bei der Essensausgabe, helfen bei Amtsgängen oder sind einfach für die Flüchtlinge da. Wir erhalten dadurch wertvolle Einblicke, wie die der ehemaligen Lehrerin Karin Fourmont, die der OZ beschreibt:
„Die Kinder, die schreien nicht. Die sind ganz ruhig. Das ist nicht normal für Kinder. Die wissen, dass es ernst ist. Da schaust du jeden Tag in fragende, freundliche, aber hilflose Augen. Bei den Müttern, bei den Kindern.“
Schießübungen und Feuerwerke in neuem Licht
Und wir stehen vor ganz neuen Herausforderungen, wenn wir in der OZ lesen, dass im Palais Panik ausbrach, als die Leute Schüsse hörten. Nebenan im Wald ist ein Schießplatz mit langer Tradition und während der schon bei so manchem Gast Unverständnis hervorrief, ruft er bei traumatisierten Kindern böse Erinnerungen hervor. Eine Diskussion darüber gab es auch schon anlässlich eines Feuerwerks zu einer privaten Feier, das bei privat untergebrachten Flüchtlingen schlimme Erinnerungen hoch holte. Sollte man darauf verzichten? Noch ist das hier kein Thema.
Das sind ein paar aktuelle Eindrücke im Frühjahr 2022 in Bad Doberan-Heiligendamm.