Das Feuer erhalten: Gedanken zum Denkmaltag
Der Tag des offenen Denkmals feierte gestern sein 25. Jubiläum. Grund genug, zum Denkmaltag speziell zu Bad Doberan-Heiligendamm ein paar Zeilen zu schreiben. In der Region hatten fast alle Dorfkirchen geöffnet und auch viele private Besitzer von Denkmälern gaben an diesem Sonntag einen Einblick in ihr Denkmal.
Die ganz großen Denkmäler sind natürlich das Doberaner Münster als ältestes Kloster im ganzen Ostseeraum und die „Weiße Stadt am Meer“ Heiligendamm. Darum haben die Münster-Vereine und das Grand Hotel Heiligendamm zum Jubiläum auch einige Besonderheiten geplant.
Das Wetter spielte mit und so wurde der Denkmaltag ein voller Erfolg. Die letzten Worte des Tages hatte im Ballsaal des Kurhauses im Grand Hotel Heiligendamm eine Podiumsrunde, moderiert von Andreas Ebel, dem Chefredakteur der Ostsee-Zeitung.
Auf dem Podium saßen der „Gutsherr“ Gerd Schäfer, Besitzer des Gutshauses Landsdorf bei Tribsees und der „Schlossherr“ Jan Gloe vom Schloss Klein Nienhagen bei Kröpelin als Sanierer und Eigentümer von Denkmalimmobilien, sowie der Architekt und Denkmalexperte Joachim Loseck, der auch für die EntwicklungsCompagnie Heiligendamm (ECH) arbeitet und Heiligendamm-Experte Prof. Joachim Skerl.
Die Hausherren berichteten brühwarm, wie sie ihre neue Heimstatt entdeckten, sich in sie verliebten und wie die verfallenen Häuser sanierten und was sie heute und in Zukunft dort machen. Der Denkmalexperte berichtete von der Sanierung des Rathauses in Aachen, die sich als sehr speziell erwies und der letzte Professor der Fachschule für angewandte Kunst in Heiligendamm war weniger für die Berichte, als für den großen Zusammenhang zuständig. Die Podiumsrunde wartete mit Erklärungen und klugen Sätzen auf.
Denkmalschutz heißt nicht, die Asche zu bewahren, sondern das Feuer zu erhalten
Das ist ein Leitspruch der Denkmalpfleger und Denkmalschützer. Übrigens gibt es einen Unterschied zwischen den beiden. Denkmalpfleger kann der Verwaltungsangestellte sein, aber auch der Besitzer oder Betreiber einer Denkmalimmobilie, der Verein, der sich um ein Denkmal kümmert oder die Stiftung, die sich für deren Erhalt einsetzt. Denkmalpflege ist das, was täglich geschieht und geschehen muss. Denkmalschutz hingegen ist die rechtliche Grundlage, die der Staat schafft.
Die Podiumsteilnehmer waren sich einig darin, dass die Restauration eines Denkmals nicht bedeutet, wieder in die Vergangenheit zurück zu kehren.
Den Kosten muss ein Nutzen gegenüber stehen
Für Schäfer stellte sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit nicht, denn er suchte ein Haus für sich selbst. Auch Gloe wollte zunächst nur einen Hof für seine Familie und die Pferde haben, erkannte aber bald nicht nur das Potenzial, sondern auch die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Nutzung des Jagdschlosses. Die Gloes gehen normalen Berufen nach und gehören zur Mittelschicht, sanieren und entwickeln also mit einem ganz anderen Budget, als es ein Fond kann.
Denkmäler sind ein Spiegel der Gesellschaft
In Heiligendamm wurde das Grand Hotel mit Hilfe solch eines Fonds saniert. In den FUNDUS Fonds Nr. 34 haben etwa 1900 Anleger eingezahlt. Man wird heute anfügen „und verloren“ aber das ist kurzsichtig, denn auch wenn sie ihr Geld verloren haben, so ist das, was sie ermöglicht haben, eine Meisterleistung auch für die Zukunft. Ob ohne ihr Geld Heiligendamm je saniert worden wäre?
In Heiligendamm gab es vorher durchaus Überlegungen anderer Nutzungen – Professor Skerl nannte als Beispiel ein Schulheim für Köche, aber natürlich weiß man auch, dass die Asklepois-Gruppe ein Kurhotel aus dem Ensemble machen wollte, aber dafür nicht die notwendigen Geldgeber fand. Anno August Jagdfeld entdeckte die da schon gar nicht mehr so weiße Stadt am Meer in einer Zeitschrift, fuhr hin, verliebte sich und wollte wie schon in Berlin das Adlon auch diese Legende wieder auferstehen lassen.
Er beauftragte den Amerikaner Robert A. M. Stern mit der Erstellung einer Vision für Heiligendamm und der Städtebauexperte entwarf eine Vision, der aus Heiligendamm erst eine Stadt machte, die der Stadtteil nie war. Zwar war Heiligendamm schon früh unabhängig von der Mutter Doberan, aber Doberan nie von Heiligendamm.
Hier zeigt sich der Unterschied im Verständnis des Denkmalschutzes: Zu DDR-Zeiten sollte in industrieller Bauweise ein Kurmittelhaus mit Schwimmhalle direkt vor den Cottages neben der Burg entstehen und am Bahnhof sollte eine Kaufhalle und schräg gegenüber ein Komplex aus zwei Plattenbauten zum Wohnen entstehen. Gegen die Bebauung direkt am Ensemble gab es Widerstand von den Denkmalschützern, die Wohnblöcke hingegen durften gebaut werden. Heiligendamm bekam also kein „modernes“ Kurmittelhaus.
Diese Besonderheit eines 6 Kilometer entfernten Stadtteils musste beachtet werden und Stern tat das, was man auch zu DDR-Zeiten schon getan hat: Den Ortsteil so entwickeln, dass er für sich selbst existieren kann und alles in ihm vorhanden ist, was die Bewohner und Gäste benötigen, aber auch wünschen oder gebrauchen könnten. Das kann das Grand Hotel allein nicht unterbringen und so war für den Amerikaner Stern ebenso wie für die sozialistischen Planer in den 1980ern klar, dass Heiligendamm wachsen muss.
Neubauten müssen keine Blaupause sein
Der Bedarf blieb trotzdem und als Jagdfeld als letzter verbliebener Interessent das Sanatorium für Werktätige wieder zum Luxushotel für Gutbetuchte machen wollte, fehlte ein Schwimmbad umso mehr. Außerdem gehören zum Luxus-Hotel auch Saunen verschiedener Art, es müssen Massagen, Ayurveda, Yoga und alles, was das Herz des Gastes begehrt angeboten werden. Wo aber hätte man das unterbringen sollen, ohne dass es Zimmer gekostet hätte, derer es schon 200 sein müssen, damit sich ein Hotel mit einer so verstreuten Infrastruktur überhaupt rechnet. Schließlich wollten die Anleger irgendwann Rendite sehen und die Banken ihr Geld zurück. Es lag auf der Hand, ein neues Gebäude zu errichten und das war 2003 das Severin-Palais.
Die Teilnehmer von Gästeführungen, die am Mittwoch auch auf die Dachterrasse dieses Hauses führen, sind immer ganz überrascht, wenn man ihnen sagt, dass dieses Haus keine 20 Jahre alt ist. Sie hätten es auf 200 geschätzt. Und genau so funktioniert Denkmalschutz: Etwas so hinzufügen, dass es zum Bestand passt, aber seiner Nutzung heute und in Zukunft gerecht wird. Schäfer führte die Markplätze von Stralsund und Danzig an, auf denen man im Dreh um die eigene Achse ein Ensemble verschiedenster Baustile aus verschiedensten Stilepochen sieht, ohne dass man daran Anstoß nehmen würde.
In Heiligendamm ist ob seiner langsamen Entwicklung genau dasselbe zu beobachten: Das klassizistische Kurhaus von 1806, flankiert von Logierhäusern im Stil des Historismus um 1870 bildet den Festplatz, links davon stehen Villen, von denen einige in der Schweiz (Villen Hirsch und Möwe), in Italien (Villa Anker) oder England (Villa Seestern) ihre Vorbilder haben. Sie sind um 1850 entstanden. Der geschwungene Rasen ist eine Sommerwiese und bildet zusammen mit der Promenade und dem Strand die Sonnenseite Heiligendamms. Ganz das Gegenteil stellt die imposante Burg im Tudor-Stil dar, an die sich ein Landschaftspark nach englischem Vorbild anschließt, in dem ebenfalls nach englischen Vorbild die drei herzoglichen Cottages stehen. Das ist der ruhige Rückzugsort. Darum war es auch logisch, entgegen der ersten Idee den Hotelpark nicht hinter der Perlenkette, sondern hinter den Cottages anzulegen.
Diese Entwicklung ist noch nicht zu Ende: Im Jahre 2012 wurde das schweizerisch anmutende kleine „Golfhaus“ durch einen Neubau namens „Linden-Palais“ ersetzt, der den Historismus imitiert und nur darum nicht so modern wirkt, wie er eigentlich ist. Die Stadt und ein privater Investor aus Heiligendamm bauten davor mit einer Strandversorgung und einem Sanitärhaus zwar Zweckbauten, die aber optisch zueinander passen und sich an den Kolonnaden orientieren, die sich hinter den Villen befinden. Auch ein weiterer privater Investor will sich etwas weiter östlich mit einem Neubau eines Strandzentrums an der Höhe der Villen orientieren.
Im Hinterland wurde das Haus „Waldfriede“ – einst „Hotel Stadt Hamburg“ – durch einen Neubau ersetzt, der zwar dem Vorgängerbau nicht ähnlich sieht – ganz im Gegenteil genau entgegen gesetzt konstruiert ist – aber trotzdem so wirkt, als stünde er schon länger dort. Zwischen einer Wiese und einem Einfamilienhaus ist es vielleicht keine Kunst, nicht aus dem Rahmen zu fallen, aber vis a vis eines neogotischen Türmchenbaus und zweier Plattenbauten hätte das Resultat auch ganz anders ausfallen können.
Nicht zu vergessen ist die Median-Klinik – ein nüchterner Zweckbau, der sich an nichts in Heiligendamm, außer vielleicht den Vorgaben durch die Straßenkreuzung orientiert und an dem sich doch niemand stört.
Das Gesamtbild muss stimmen
Dort gegenüber will Jagdfeld einen Apartmentkomplex bauen, der so hoch, wie das Grand Hotel ist und die ganze Straßenfront ausfüllt. Man denkt an eine dichte Bebauung, doch der Name „Demmler-Park“ kommt nicht von ungefähr: Die Bebauung soll aufgelockert werden durch geschickte Anordnung der Häuser, die ansonsten durchaus Demmler-typisch groß und edel, aber doch schlicht sind. Der Marstall und das Arsenal in Schwerin wurden von ihm entworfen. Stern skizzierte die Apartmenthäuser mit Walmdächern – die Modelle zeigen sie mit Flachdach und fast scheint es, als hole man ein Stück Großstadt in das kleine Dorf, damit die Großstädter sich im Urlaub wie zuhause fühlen.
Denn der Demmler-Park wird nicht nur ein Apartmentkomplex, sondern die Shopping-Mall des ältesten deutschen Seebades. Nicht nur ein Novum in Heiligendamm, sondern eine absolute Notwendigkeit, denn – Zitat der Gäste: „Hier gibt’s ja gar nix!“
Geldgeber darf nicht in den Ruin getrieben werden
Besonders Professor Skerl warnt davor, Neubauten mit der Blaupause zu machen. Zwar sollen sie das Gesamtkunstwerk nicht zerstören, aber sie müssen nicht so sein, als hätte sie Friedrich Franz II. dort hin bauen lassen. Loseck warnt davor, den Geldgeber in den Ruin zu treiben. Denkmalpflege muss bezahlbar sein, darum muss sie meistens – von Liebhaberstücken solventer Mäzene abgesehen – auch wirtschaftlich sein. Die Denkmalschützer klammern sich nur allzu oft an Details.
In Heiligendamm wurde kritisiert, dass die Villa „Großfürstin Marie – Perle“ etwas höher und breiter wieder neu aufgebaut wurde. Das Dachgeschoss wurde erstmals auch für Wohnzwecke ausgebaut und somit waren die strengen Auflagen an Dämmung und Brandschutz zu erfüllen, zugleich aber auch die Vorgaben an Deckenhöhen. Da bleibt nur, das Dach ein paar Zentimeter höher zu bauen. Fällt es jemanden auf? Tut es der Sache Abbruch? Wäre die Alternative – nicht sanieren – besser?
Denkmalschutz heißt, abzuwägen: Erhalt gegen wirtschaftliche Interessen. Wirtschaftliche Interessen gegen Erhalt. Dasselbe gilt für Fenster, wo vorher keine waren oder dem Wegfall von Fenstern oder für Dachgauben, die es vorher nicht gab.
Auch muss es möglich sein, Denkmäler abzureißen, wenn die Restaurierung keinen Sinn macht – sie müssen dann aber wieder aufgebaut werden. Die Stadt selbst hat dasselbe mit dem Kriegerdenkmal „Backenzahn“ auf dem Buchenberg gemacht und auch die ehemalige Jugendherberge auf dem Tempelberg kann nur durch Neubau gerettet werden. Das Haus in der Severinstraße 8 wurde abgerissen, um etwas Neues zu bauen und die neue OSPA-Filiale ist ewin Beispiel, wie man ein Solitär baut, der optisch ganz anders ist, als der Rest, aber „gefühlt“ einfach dahin passt. Ein Haus ist halt mehr, als die Summe seiner Baumaterialien.
Das Moorbad wird der nächste Kandidat und die Diskussion darum so groß sein, wie bei der „Großfürstin Marie – Perle“ in Heiligendamm. Man muss so bauen, wie es für heute richtig ist und am Besten auch so, dass es morgen noch richtig ist. Nur eben nicht so, wie es vor 200 Jahren mal richtig war – sonst bleibt man zurück.
Baukunst ist nicht nur die Schaffung von Baukörpern
Auch der Charme spielt eine Rolle – der Geist und die Seele des Hauses, seine Geschichte und Geschichten und die seiner Eigentümer, Bewohner und Gäste. Warum sonst wirbt man mit großen Persönlichkeiten, die hier mal zu Gast waren? Professor Skerl verdeutlichte, dass das Denkmal Heiligendamm nicht die Summe seiner Gebäude ist, sondern der Charme, den das Ganze ausstrahlt.
Die Erbauer sehnten sich nach dem Paradies, das aber die Lebenden nie erreichen werden, weil es sich hinter dem Horizont befindet. Skerl bringt es in seinen Vorträgen mit dem Zitat der Worte der Schriftstellerin Fanny Lehwald auf den Punkt:
»Ein solch reizender, solch abstrakter Badeort wie dieser muß irgendwo existieren und erhalten bleiben, damit wir die Vorstellung gewinnen können, wie es sich im Märchen oder in den Gefilden der Seligen lebt, in denen man alles hat und nichts entbehrt, in denen nur genießende Menschen verweilen und von des Lebens Müh´ und Arbeit so gut wie nichts zu merken ist.«
Heiligendamm ist für Lewald das Paradies auf Erden, das Arkadien. Und so wie man nicht jeden Tag Gänsebraten ist, so ist auch das ganze Leben nicht jeden Tag ein Paradies, aber, so Skerl – man kann es immer wieder mal genießen.
So werden unsere Kinder und Enkel dieses Ensemble weiterhin pflegen und auch sie werden es verändern. Wenn der Spirit des großartigen 19. Jahrhunderts aber erhalten, erkennbar, erlebbar und erfühlbar bleibt, dann funktionieren Denkmalpflege und Denkmalschutz.
Dann ist es egal, wie groß das kleine Heiligendamm in 30 Jahren ist, wie viele Villen auf dem heutigen Acker stehen und wie verschiedenartig die neu hinzu gekommen Bauten sind. Vielleicht wird in 100 Jahren manch dekonstruktives Bauwerk auch ein Denkmal sein – weil es den Zeitgeist von heute widerspiegelt und sich die Menschen von morgen gern daran erinnern.