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Was wäre, wenn…? Szenarien für Heiligendamm.

Das Grand Hotel ist insolvent und vieles hängt nun von den wenigen Interessenten und den vielen Gläubigern ab. Grundsätzliches aber ist auch von der Politik und Gesellschaft – also vom Rathaus und den Bürgern abhängig. Erstmals in der Geschichte Heiligendamms denkt man über verschiedene und teils sehr gegensätzliche Optionen für die Zukunft Heiligendamms nach. Erstmals ergibt sich nichts von selbst und erstmals geht es nicht nur um das „Bad“, sondern um den ganzen Ortsteil Heiligendamm, der so ja erst nach 1957 entstanden ist und daher erst jetzt Relevanz hat. Es geht um eine Richtung für Heiligendamm, das da jetzt eigentlich nur auf der Stelle tritt und auf Lösungen wartend verfallend verharrt.

 

Es gibt verschiedene Gutachten und Expertenmeinungen zum Grand Hotel. Sie sehen oft nur das Hotel, nicht aber den Ort ringsherum. Das ist ein grundsätzlicher Fehler: Das Grand Hotel ist nicht Heiligendamm und Heiligendamm nicht nur das Grand Hotel.

 

1. Mal etwas anderes machen: Sanatorium, Jugendherberge, Museum, Universität, Wohnheim…

… Spielcasino, Nobel-Puff… all diese mehr oder weniger ernst gemeinten Vorschläge hat es im Internet und in Zeitungen und Gesprächen gegeben. Man kann es kurz fassen: Der Bebauungsplan gibt nur ein Hotel her. Er müsste von Grund auf geändert werden, um dort etwas anderes zu machen. Das ist kostenintensiv aber nicht unmöglich, lediglich dauert es Jahre, während dessen Heiligendamm weiter still steht und verfällt. Auch danach ginge der Verfall weiter, denn nichts von dem würde Leute animieren, sich eine Wohnung in der Perlenkette zu kaufen. Damit würde die ECH die Perlenkette nicht vermarkten und sanieren können. Alle anderen Projekte könnte sie gar nicht erst beginnen. Auch andere Investoren würden in keine Einrichtungen in den Bereichen Tourismus oder Gesundheitswesen mehr investieren, wenn der Ort nicht mehr für diese Themen steht.

Im einzelnen tun sich dann weitere Probleme auf: Heiligendamm ist abgelegen, die Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr gegeben aber nicht komfortabel und flexibel genug. Studenten würden sich hier (anders als vor 20 Jahren) zu Tode langweilen. Kurpatienten der Median-Klinik klagen heute schon über die Tristesse und eine weitere Kurklinik von diesem Format würde für die Median-Klinik einen enormen Konkurrenzdruck bedeuten. Nicht zu vergessen ist, dass auch die Median-Gruppe sich in einer Phase befindet, die mit dem Ausstieg der Investoren in wenigen Jahren enden wird. Schafft man daneben einen Konkurrenzbetrieb, wird ein neuer Median-Investor den Standort Heiligendamm überdenken müssen. Während für ein Museum an diesem abgelegenen Ort jegliches Konzept fehlt, dürften die Ideen der Umwandlung in ein Casino oder Puff auf Ablehnung der Einheimischen stoßen, die darüber hinaus als Gastgeber daran auch nichts verdienen könnten. Mit Heiligendamm verbindet man „Ostsee“, „Urlaub“ und „Luxushotel“. Alles was nicht in dieses Schema passt, wird nicht nachgefragt. Das Konzept grundlegend zu ändern, würde die Legende – den „Geist“ des ersten deutschen Seebades endgültig zerstören, sodass man damit kein Geld mehr verdienen könnte.

Fazit: Wenn man versucht, etwas anderes zu machen, zerstört man das, womit man Geld verdient.

 

2. Weg vom Luxus-Konzept: Herabstufung auf 3- bis 4- Sterne-Niveau

Es gab Ideen, das Grand Hotel aus dem obersten Segment in eines der darunter liegenden Kategorien umzusiedeln, also ihm Sterne weg zu nehmen. Die Logik dahinter ist, dass mit günstigeren Zimmerpreisen mehr Leute angelockt werden sollen, sodass eine bessere Auslastung erreicht werden soll.

Für das Land bedeutet eine Herabstufung, dass ses seinen Leuchtturm verliert. Alle Welt weiß, dass es sich hier um ein 5-Sterne-Hotel handelt. Heimlich abstufen funktioniert also nicht: Die ganze Welt würde zuschauen, wie das imageträchtige Projekt an der Ostsee scheitert. Für Investoren aus aller Welt wäre das ein Signal, nicht in Mecklenburg, zumindest aber nicht im Landkreis Rostock zu investieren, wenn die Investition auch nur einen Hauch von Risiko beinhaltet. Schon darum ist nicht davon auszugehen, dass man eine Herabstufung zulassen oder gar anstreben wird aber schauen wir uns trotzdem an, was das bedeuten würde:

Das Grand Hotel hatte etwa 300 Zimmer, wobei die historischen Gebäude exzessiv ausgenutzt wurden. Die gesamte Logistik wurde in einem neu gebauten Wirtschaftsgebäude untergebracht. Mehr geht nicht: Es darf nicht angebaut, nicht aufgestockt und schon gar nicht neu gebaut werden. Folglich muss man mit diesen etwa 300 Zimmern sein Geld verdienen. Bisher verlangt man pro Nacht zwischen 170 und 240 Euro (je nach Größe und Saison) für ein Zimmer – besondere Suiten kosten mehr. Mit diesen Preisen hat das Grand Hotel nur zweimal (2010 und 2011) operative Gewinne (also vor Abgaben und Steuern) abgeworfen, insgesamt läuft es defizitär. Mit weniger vermieteten Zimmern und ohne Schuldenlast ist 2013 voraussichtlich eine schwarze Null drin.

Um mit geringeren Preisen dasselbe Ergebnis zu erreichen, braucht man z. B. mehr Zimmer, die auch mehr kosten. Weil schon das nicht gegeben ist, würde eine Herabstufung die nächste Insolvenz nach sich ziehen. Selbst wenn es möglich wäre, noch einen weiteren 100-Betten-Klotz in den Großen oder Kleinen Wohld zu stellen, würde man die Kosten für diesen Neubau erst refinanzieren müssen. Zudem würde man immer noch die hohe Zahl an Mitarbeitern benötigen, denn man kann die Gebäude nicht zusammen rücken und die Zimmer nicht auf 4-Sterne-Niveau (25 qm) halbieren.

Mehr Zimmer bedeuten auch mehr Parkplätze. Hier müsste sich der Betreiber mit der ECH einig werden, denn auf dem Hotelgelände ist kein Platz für weitere Parkplätze und der B-Plan gibt eine kurzfristige Umwandlung von Flächen derzeit nicht her.

Wenn man nicht mehr Zimmer bieten kann, dann muss man zusehen, dass die vorhandenen Zimmer immer belegt sind. Warum aber soll ein 4-Sterne-Hotelgast im Herbst und Winter nach Heiligendamm kommen, wo es ein 5-Sterne-Hotelgast auch nicht tut? Das anspruchslose Umfeld und die mangelnden Angebote stören nicht nur 5-Sterne-Gäste, sondern selbst Tagesgäste.

Heiligendamm im 4-Sterne-Bereich müsste sich direkt der Konkurrenz aus Kühlungsborn, Warnemünde und Graal Müritz stellen. Bisher buchte man das Grand Hotel, weil es etwas besonderes war. Wäre das Grand Hotel ein Vier-Sterne-Hotel, würde die bisherige Klientel z. B. in das Hotel das Neptun in Warnemünde ausweichen. Das Grand Hotel hingegen müsste sich behaupten gegen eine große Masse namhafter Vier-Sterne-Häuser (z. B. Upstalsboom, Hübner, Travelcharme), die allesamt in pulsierenden Touristenhochburgen mit langen Promenaden, vielen Geschäften, Cafés, Boutiquen, Restaurants und Ateliers liegen, in denen der 4-Sterne-Gast alles findet, was er (in Heiligendamm vergebens) sucht.

Fazit: Eine Herabstufung ist wirtschaftlicher Suizid und führt geradewegs in die nächste Insolvenz.

 

3. Wenn nichts anderes und nicht weniger: Also weiter wie es ist?

Diese Schlussfolgerung liegt nahe. Aber sie ist falsch: Wenn das jetzige Konzept tragend wäre, dann wäre das Grand Hotel nicht insolvent. Es wurden über 200 Mio. Euro investiert, womit der Wert des Grand Hotels 2010 noch bei etwa 40 Mio. Euro lag. Wer es heute kauft, zahlt wahrscheinlich um die 25-30 Mio. Euro. Klingt nach Schnäppchen, ist es aber nicht: Kein Unternehmen hat dieses Geld einfach auf dem Konto und kann es überweisen.

Handelt es sich um einen Investor, der das Hotel nicht selbst führen kann, so muss er eine Management-Gesellschaft bezahlen. 5-8 % des Gesamtumsatzes sind für Management Fees und Systemgebühren üblich. Die Instandhaltungsrücklage für das Hotel beträgt etwa 3% des Gesamtumsatzes. Neu hinzu kommen die Aufwendungen für den Erbbauzins und die Grundsteuer von etwa 200.000 Euro im Jahr. Bisher hat die Fonds KG das getragen und darum sind diese Zahlen nicht im NOP (Net Operating Profit) enthalten – nun müsste das der Eigentümer selbst bezahlen.

Auch eine bisher existente versteckte Subventionierung des Hotels durch die Jagdfeld-Gruppe würde entfallen. Die Gruppe hat u. a. Parkplätze, 40 Personalwohnungen, Tennis- und Sportplätze zur Verfügung gestellt, sowie sich trotz Defiziten in der Orangerie eingemietet, um die Mieteinnahmen dem Hotel zuzuführen. Das Restaurant „Medinis“ kostete dem Hotel mach Aussagen der ECH nur die Nebenkosten, hinzu kommen auch die Vergünstigungen, z.B. für das Golf Resort Wittenbeck und die Nutzung von Angeboten des Gutes Vorder Bollhagen mit Gestüt und Bio-Bauernhof. Alles in allem ist in einem Gutachten der „Treugast“ von 500.000 Euro versteckter Subventionierung pro Jahr die Rede. Auch könnten bisher kostenlos genutzte Flächen zukünftig Pacht kosten. Die ganze Parkplatz-Situation ist maßgeblich davon abhängig, ob ein neuer Investor sich mit der ECH oder der Stadt einig wird. Das sind die weniger kalkulierbaren Risiken.

Zudem ist offensichtlich, dass das Grand Hotel so nicht läuft. Es muss investiert werden, in neue Angebote, in eine Vergrößerung des SPA-Bereichs, am besten auch in Angebote im Bereich des „Medical Wellness“. Dann ist das Umfeld aber immer noch eine Tristesse und der Investor weiß nicht, ob die Stadt und das Land daran etwas ändern werden.

Er muss einkalkulieren, selbst Geld in die Hand nehmen zu müssen. Das bedeutet, dass er mit einer riesigen mindestens achtstelligen roten Zahl beginnt und diese bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine möglichst große schwarze Zahl verwandeln muss. Aktuell fährt das Grand Hotel eine schwarze Null ein – weil der Schuldendienst im Insolvenzverfahren außen vor bleibt. Die 10 Jahre davor waren schwarze Zahlen vor Abgaben Steuern sechsstellig und nach Abgaben und Steuern wieder rot. Ein Investor wird sich fragen, ob und wann sich seine Investitionen rechnen und ob und wann er Gewinne einfährt. Beides liegt in einer Zukunft, die den meisten zu fern ist. Das sind die kalkulierbaren Zahlen und darum sind viele Investoren abgesprungen.

Fazit: Das bisherige Konzept ist mit der Insolvenz gescheitert. Mehr als ein Nullsummenspiel ist damit nicht drin.

 

4. Etwas neues muss her: Oder etwas altes?

Eigentlich sahen die 1996 durch die Jagdfeld-Gruppe vorgelegten Pläne die Entwicklung des ganzen Ortes vor: Das Grand Hotel sollte an die Geschichte anknüpfend das Herzstück der Luxus-Destination Heiligendamm sein. Die Perlenkette sollte zunächst auch als Hotelensemble dienen, wurde dann für Wohneigentum (auch zur Weitervermietung) im 5-Sterne-Bereich umprojektiert. Darüber hinaus sollte in der zweiten Reihe ein Apartment-Komplex mit Wohnungen zur Miete und zum Kauf im 4-Sterne-Bereich gebaut werden, in dessen Erdgeschossflächen Gewerberäume für Geschäfte, Büros usw. entstehen sollten. Ein bunter Branchenmix mit hochwertigen Angeboten sollte geschaffen werden, gleichwohl sollte aber auch den Tagesgästen etwas angeboten werden.

Die nötige Besonderheit Heiligendamms sollte durch die beiden Neubauten „Thalassozentrum“ und „Ayurvedazentrum“ begründet werden, abgerundet durch eine „Plastische Chirurgie“. Zusammen mit dem geplanten Konferenzzentrum am Fürstenhof und dem Ballsaal im Ensemble-Palais sollte all das den Ganzjahresbetrieb ermöglichen. Darüber hinaus sollte ein weitläufiges Villenviertel mit Zweit- und Dauerwohnsitzen entstehen – hier würde eine Klientel wohnen, die das Grand Hotel, das Gestüt, das Biolandgut, das Golfresort und die Angebote in Heiligendamm zu jeder passenden Jahreszeit nutzt.

Dieses Projekt an sich wäre schon einmalig und damit ein heraus stechendes Verkaufsargument für potenzielle Gäste. Es würde die „Strahlkraft“ des Grand Hotels nochmals verstärken und sich natürlich positiv auf das Image des Tourismuslandes Mecklenburg-Vorpommern auswirken. Stichwort hier: Ganzjährige Attraktivität.

Laut Treugast-Gutachten gibt es eine Markt- und Wettbewerbsanalyse, die zeigt, „dass eine signifikante Nachfrage für individuelle Luxusprodukte wie das Grand Hotel besteht“. Demnach würde die erfolgreiche Performance der führenden nationalen Wettbewerber (Benchmark-Betriebe) das Potenzial dieses Segments bestätigen. In der Vergangenheit hat das Grand Hotel in den Sommermonaten sehr gute Umsatzzahlen erzielt, die eben nur durch die schwache Nebensaison wieder „aufgefressen“ wurden. Die Nachfrage nach dem Grand Hotel ist da – nur eben nicht im Herbst und Winter, wo in Heiligendamm nichts los ist und man lieber zum Bummeln nach Warnemünde und Kühlungsborn fährt und dann auch gleich dort ein Hotel sucht.

Wäre das Grand Hotel pleite, wenn es in Kühlungsborn oder Warnemünde stehen würde? Kaum vorstellbar. So liegt es dann auf der Hand, dass Heiligendamm den Gästen (und zwar allen Gästen) das bieten muss, was sie in Kühlungsborn und Warnemünde finden und in Heiligendamm vergeblich suchen. Nicht in der Masse – eher in der Qualität. Treugast kommt zu dem Ergebnis, dass die ursprünglichen Pläne der Jagdfeld-Gruppe umgesetzt werden müssen. Tatsächlich spricht man dort davon, dass die Pläne nicht gescheitert seien, sondern man – die vielfältigen Gründe einmal außen vor gelassen – einfach nur am Anfang des Weges zum Stillstand gekommen ist. Nun gilt es, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen, sich auf Gemeinsamkeiten zu verständigen, wenn nötig Modifikationen und Korrekturen vorzunehmen, grundsätzlich aber gemeinsam diese Investitionen zu stemmen. Einer allein schafft das nicht.

 

Mehr Informationen zu möglichen Wegen aus der Krise gibt es in der Serie
Warum Heiligendamm nicht funktioniert. Und wie wir das ändern sollten.