Skandal: Nichtöffentliche Stadtvertreter-Sitzung soll abgehört worden sein.
Nach DDR-System-Vokabular sind es nun offenbar DDR-Geheimdienstmethoden, die Bad Doberan erschüttern: Die nichtöffentliche Stadtvertretersitzung soll laut BILD vom 30.03.2012 durch Tonaufzeichnungen abgehört worden sein. Stadtvertretervorsteher Guido Lex bestätigt den Verdacht. Besonders schlimm: Nur ein Stadtvertreter oder Rathausmitarbeiter kann das Aufzeichnungsgerät wieder mitgenommen haben. Wo ist das Leck im Rathaus, das den Ruf einer ganzen Stadt ruiniert?
Zuerst die Pressemitteilung von Stadtvertretervorsteher Guido Lex, seines Zeichens Richter am Landgericht Rostock. Lex fiel selbst durch DDR-Jargon wie „Personensperranlagen“ oder „Sperrgebiet“ in Bezug auf die Zäune um das Grand Hotel auf und sieht sich nun mit echter DDR-Mentalität konfrontiert. Es soll kein Stadtvertreter zur Presse gelaufen sein, sondern irgendjemand ein Tonaufzeichnungsgerät während der öffentlichen Sitzung positioniert und nach dieser wieder mitgenommen haben. Das an sich kann aber nur jemand getan haben, der auch in oder nach der nichtöffentlichen Sitzung Zugang zum Ratssaal hatte. Oder jemand hatte das Gerät nach der nichtöffentlichen Sitzung von einer Person mitnehmen und sich geben lassen, die während oder nach der Sitzung Zugang zum Ratssaal hatte. Das aber waren nur die Stadtvertreter selbst, der Bürgermeister, Mitarbeiter der Stadtverwaltung und vielleicht noch Hausmeister und Putzfrau.
Wer auch immer es war: Sicher ist ihm eine Strafanzeige.
Die Ostsee-Zeitung berichtete zwar am 30.03.2012 in einer Randnotiz von den Pressemitteilungen, sparte aber das Thema „Tonaufnahme“ gänzlich aus und verdächtigte stattdessen die Stadtvertreter selbst (was auch ich so übernommen habe, weil mir die Pressemitteilung nicht vorlag).
FUNDUS-Pressesprecher Christian Plöger sah sich in der Pflicht, die Sache – immerhin hatte die ECH die Zahlen nicht nennen müssen und bei Nennung um Vertraulichkeit gebeten – richtig zu stellen und die Pressemitteilung nebst BILD-Artikel in den Verteiler zu schicken, Dank ihm wissen wir heute, dass nicht die „Petze“ eines Stadtvertreters Ursache für den Skandal ist, sondern eine illegale Tonaufzeichnung. Natürlich kann da immer noch ein Stadtvertreter hinter stecken.
Nachträglich eingefügt: Heutzutage braucht man kein Tonbandgerät mehr, um Gespräche abzuhören. Ein liegen gelassenes Handy reicht aus – man kann damit Gespräche aufnehmen oder einfach vom abgelegten Handy ein zweites Handy anrufen, damit nach draußen gehen und dann dort mit dem Ohr am Hörer lauschen. Oder man ruft das abgelegte Handy an, hat dort den Klingelton ausgeschaltet und die automatische Rufannahme aktiviert und die Verbindung steht. Es muss nur nachher jemand das Handy mitnehmen, um den Beweis zu vernichten. Noch krimineller: Handy eines der in der nichtöffentlichen Sitzung anwesenden Mitglieds „hacken“ (offene Bluetooth-Verbindungen findet man heutzutage überall) und dann live aus fremder Hemdtasche mithören. Natürlich geht es auch ganz klassisch per Richtmikrofon oder Tonverstärker im MP3-Player-Format – dazu braucht man nicht einmal das Rathaus betreten, es reicht ein stilles Plätzchen im Lindenhof.
Indem ich Ihnen diese technischen Möglichkeiten aufzeige möchte ich Ihnen zu verstehen geben, wie viel kriminelle Energie hinter dem Vorgang steckt. Gerade die ersten Möglichkeiten machen die Zusammenarbeit des Datenräubers mit einem in der Versammlung Anwesenden nötig. Die anderen Möglichkeiten hingegen zeigen, wie schon ein einfacher Journalist auf der Jagd nach DER Schlagzeile mit entsprechender und im Handel erhältlicher Ausrüstung spionieren kann.
Die Veröffentlichung von Zahlen, die die ECH nicht bekannt geben MUSSTE, sondern es nur um des Friedens willen tat aber um Vertraulichkeit bat, schwächt die Verhandlungsposition der Stadt enorm. Jeder Investor kann der Stadt nun begründetes Misstrauen vorhalten und von ihr besondere Vorkehrungen zur Sicherung der Vertraulichkeit fordern. Auch der Bürgermeister wird sich dreimal überlegen, ob er eine Information, die er den Stadtvertretern geben darf aber nicht muss, überhaupt gibt. Für Hartmut Polzin dürften diese Ereignisse eine Bestätigung sein, dass er richtig damit gelegen hat, den Stadtvertretern nicht alles zu sagen, was er durfte aber nicht musste. Auch die Zurückhaltung der Kaufpreise durch den Alt-Bürgermeister erscheint damit gar nicht mehr so im sclechten Licht. Man sieht ja, as es bringt, den Stadtvertretern die Kaufpreise zu nennen – egal, ob sie nun etwas für die Veröffentlichung können oder nicht.
Der Lauschangriff wird zur Folge haben, dass der Vorstoß, Bild- und Tonaufnahmen während der Stadtvertretersitzungen zu erlauben, auf Gegenargumente stößt. Damit wird die Informationsfreiheit weiter eingeschränkt und einige Stadtvertreter dürfen sich weiterhin öffentlich ungesehen profilieren. Schlimmstenfalls könnte man sogar Taschenkontrollen einführen, um erneute Spionageversuche zu verhindern. Wer auch immer dieses Verbrechen begangen hat, richtet also nachhaltig enormen Schaden für die Stadt und seine Bürger an.
Interessanterweise ist in der Ostsee-Zeitung (die immerhin als erste die „ihr aus verschiedenen Quellen zugetragenen“ Zahlen großflächig veröffentlichte) auch heute am 31.03.2012 überhaupt nichts von der Sache zu lesen. Darum hier die beiden Pressemitteilungen aus dem Rathaus:
Presseerklärungen
Bezug: Artikel der Ostsee-Zeitung, Lokalteil Bad Doberan, vom 28.03.2012
Presseerklärung des Stadtvertretervorstehers vom 28.3.2012
In der Sitzung der Stadtvertreterversammlung vom 26.3.2012 hatte sich die Stadtvertretung erneut mit den Anträgen auf Vorkaufsrechtsverzicht der ECH zu befassen. Die OZ berichtete hierüber in der Ausgabe vom 28.3.2012. Die ECH hatte sich erst am Freitag vor der Stadtvertretersitzung entschlossen, der Stadtvertretung die betreffenden Kaufpreise bekanntzugeben. Dem war ein monatelanger, die Entscheidung blockierender Streit darüber vorausgegangen, ob die ECH verpflichtet sei, die Kaufpreise zu benennen.
Die Kaufpreise wurden den Stadtvertretern sodann am 26.3.2012 in nichtöffentlicher Sitzung durch den Bürgermeister aus den betreffenden notariellen Urkunden mitgeteilt. Die Stadtvertreterversammlung hatte hierzu die Öffentlichkeit nach § 29 Abs. 5 S. 2 der Kommunalverfassung ausgeschlossen. In Anbetracht der Berichterstattung über die Kaufpreise und deren Zusammensetzung stelle ich fest:
Es ist aus bestimmten Gründen auszuschließen, daß Informationen über die Kaufpreise und deren Zusammensetzung aus dem Kreis der Stadtvertreter oder aus dem Kreis der Verwaltung hinausgegeben worden sind. Es besteht vielmehr der konkrete Verdacht, daß unter Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 StGB) während der nichtöffenlichen Beratung unbefugt eine Tonträgeraufnahme hergestellt worden ist.
Guido Lex
Stadtvertretervorsteher
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Presseerklärung der Stadt Bad Doberan vom 28.03.2012
Als Bürgermeister der Stadt Bad Doberan spreche ich im Namen aller Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Wir sind zutiefst enttäuscht und schockiert über die Veröffentlichung der Kaufpreise aus einer geschlossenen Sitzung heraus. Für mich persönlich ist es unfassbar, dass dieses geschehen ist. Die Stadtverwaltung distanziert sich in vollem Umfang von dieser Art der Informationspolitik und verurteilt die Vorgehensweise aufs Schärfste.
Ich erwarte (wie bereits in meiner Antrittsrede erwähnt) Verlässlichkeit und das Vertrauen aller Beteiligten. Dabei gilt der Vertraulichkeit des Wortes oberste Priorität.
Es gilt, Vertrauen aufzubauen und es bleibt zu hoffen, dass die Basis für eine zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit nicht dauerhaft gestört ist.
Aus der Weitergabe der Informationen könnte sich ein Straftatbestand ergeben. Wir erwägen zur Zeit, diesen zur Anzeige zu bringen.
Thorsten Semrau
Bürgermeister
Quelle: http://www.bad-doberan.de/rathaus/aktuelles.html vom 28.03.12