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Landrat entzieht Jagdfeld das „Baurecht“. Was bedeutet das überhaupt?

Der Landrat soll dem Investor Anno August Jagdfeld das „Baurecht“ für die Villen der „Perlenkette“ in Heiligendamm entzogen haben. Diese Meldung sorgte für Aufregung – bedeutet das das Aus für die unsanierten Villen der Weißen Stadt am Meer, vielleicht sogar das Ende des FUNDUS-Projekts oder den Untergang des ersten und ältesten deutschen Seebades? Was ist dran am „Baurechts-Entzug“ und was bedeutet das für Heiligendamm und die Stadt Bad Doberan. Was ist überhaupt „Baurecht“?

 

Zuerst die Berichte: Die Stadt Bad Doberan soll dem Landkreis empfohlen haben, die Bauanträge für die Perlenkette nicht weiter zu verlängern. Das Bauministerium in Schwerin soll dem Landkreis die Weisung gegeben haben, die Verlängerung abzulehnen und der Landkreis – vertreten durch den Landrat – soll dieser Weisung gefolgt sein.

Zugleich liest es sich so, dass der Landkreis eine Rechtsauffassung hat, die vom Land geteilt wird, also als ob der Landkreis nicht eine Weisung befolgt, sondern beim Land angefragt hat. In Schwerin gibt es außer „Wir teilen die Rechtsauffassung des Landkreises“ keine Details zu erfahren.

Wie herum es gelaufen ist, muss sich also zeigen – bekannt ist lediglich, dass Bürgermeister Semrau, Bauamtsleiter Sass und Stadtvertretervorsteher Lex vor einigen Wochen zusammen in Schwerin waren, um über Heiligendamm zu sprechen. Insofern kommt die Entscheidung zumindest für die Stadtvertreter gar nicht so überraschend.

Der Landrat Thomas Leuchert – in Heiligendamm aufgewachsen – kommt in den Medien leider nicht zu Wort, stattdessen wird sein Stellvertreter Wolfgang Kraatz zitiert („Wir sind den Weisungen des Ministeriums gefolgt.“).

 

Was ist eigentlich „Baurecht“?

„Baurecht“ gibt es so eigentlich gar nicht. Was Recht ist, regelt das Gesetz und das wird vom Gesetzgeber gemacht. Wer „Baurecht erteilt“ schreibt damit aber kein Gesetz. Man kann auch nicht auf sein „Baurecht“ pochen oder es einklagen, wie es z. B. beim Recht auf freie Meinungsäußerung der Fall ist. „Baurecht“ ist ein Rechtsgebiet (besser: Rechtsordnung), wie Arbeitsrecht oder Verkehrsrecht – beides sind noch lange keine Gesetze. Es gibt in Deutschland das private und das öffentliche Baurecht. Die Bundesländer haben eigene Rechtsordnungen, in Mecklenburg-Vorpommern gibt es das bundeseinheitliche Baugesetzbuch (BauGB) und die Landesbauordnung (LBauO), welche unverkennbar eine Landesordnung ist. Außerdem gibt es die Baunutzungsverordnung, welche vom Bund verordnet wurde.

In dieser Baunutzungsverordnung schließlich geht es dann auch um die Baugenehmigung. Und das ist das Stichwort: Nicht das Baurecht wurde entzogen, sondern die Baugenehmigung nicht verlängert. Hier ist die Landesbauordnung zu bemühen:

§ 74 LBauO
Geltungsdauer der Genehmigung

(1) Die Baugenehmigung und die Teilbaugenehmigung erlöschen, wenn innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Genehmigung mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen oder die Bauausführung länger als ein Jahr unterbrochen worden ist.

(2) Die Frist nach Absatz 1 kann auf schriftlichen Antrag jeweils bis zu einem Jahr verlängert werden. Die Frist kann auch rückwirkend verlängert werden, wenn der Antrag vor Fristablauf bei der Bauaufsichtsbehörde eingegangen ist.

 

Das Gesetz räumt zwar Ermessensspielräume ein aber generell sollte eine Baugenehmigung verlängert werden, wenn sie erteilt wurde. Logisch: Entweder erteilt man die Genehmigung, dann sollte sich nach drei Jahren nichts so gravierend verändert haben, dass man sie nicht auch verlängern kann oder man erteilt sie gar nicht erst, dann gibt es auch nichts zu verlängern. Was uns zur nächsten Frage bringt:

 

Warum wurde die Baugenehmigung nicht verlängert?

Laut Medienberichten soll im Bebauungsplan bei der Perlenkette stehen „Wohnen mit Hotelservice“ und es bestehen in Schwerin „Zweifel an der Realisierbarkeit.“

Hintergrund: Geplant ist, die Perlenkette als eigenständige Einheit „Residenzen Heiligendamm“ zu betreiben und dafür hinter der Perlenkette ein „Ensemble Palais“ zu errichten, welches die Versorgung der „Residenzen“, also der Perlenkette übernehmen soll. Zugleich sollen hier Aufenthaltsräume für das Personal, ein Ballsaal und Angebote für die Perlen-Bewohner entstehen.

Da das Grand Hotel zur Jagdfeld-Gruppe gehörte, war auch die Nutzung des SPA-Bereiches und der Restaurants für die Perlen-Bewohner möglich, später soll dann ein Thalasso-Zentrum und noch später ein Ayurveda-Zentrum den steigenden Bedarf decken.

Während der Sanierungsphase der Perlenkette wäre das Ensemble-Palais noch zu überdimensioniert und unrentabel, sodass zuerst das Grand Hotel den Hotelservice übernehmen sollte, bis genug Villen saniert sind und der Bau des Ensemble-Palais sich rentiert.

Finanziert werden sollte die Sanierung der Perlenkette aus sich selbst: Die Gewinne bei der Vermarktung der einen Villa fließen in die Vorleistung für die nächste usw. und so wäre genug Geld für Ensemble-Palais, Tiefgarage und Thalasso-Zentrum übrig.

Nun aber hat sich die Sanierung der Perlenkette durch den Zwist mit und in der Stadt verzögert, sodass die ECH erst 2010 mit der Sanierung der Perlenkette beginnen konnte.

Mitten in der Bauphase ging das Grand Hotel in die Insolvenz, damit ist die Frage nach dem Hotel-Service offen. Die ECH war gerade dabei, dieses Problem zu lösen (da sie die Wohnungen ja auch nur mit Hotelservice vermarkten kann) und mittendrin kommt dann die Ablehnung der Verlängerung des Baurechts, durch den Landkreis begründet mit „erheblichen Zweifeln an der Realisierbarkeit des Hotelservices“.

 

Ist die Ablehnung richtig?

FUNDUS-Pressesprecher Christian Plöger sieht das nicht so: „Wir werden dagegen in Widerspruch gehen. Bleibt es dabei, dass wir keine Baugenehmigung bekommen, dürfen wir die Villen gar nicht sanieren. Sollten wir den Klageweg gehen müssen, sind wir auf Jahre daran gehindert.“

Zum Hotelservice sagt Plöger: „Die ECH hat sich gegenüber der Stadt verpflichtet, einen Betreibervertrag mit dem noch neu zu bauenden,Hotel Residenzen’ abzuschließen. Solange es jenes noch nicht gibt, ist die Bewirtschaftung der Wohnungen in den Häusern der ,Perlenkette’ durch das Grand Hotel nur eine von vielen unserer Optionen.“

Weiterhin wird Plöger zitiert: „Die Stadt Bad Doberan muss sich jetzt fragen, ob sie wirklich an der Sanierung der Perlenkette interessiert ist. Denn sie hat dem Landkreis die Versagung der Verlängerungen empfohlen. Dieser Schritt reiht sich in die Politik der Gemeinde der letzten Jahre, „einerseits den Zustand der Häuser zu beklagen, uns andererseits aber immer wieder neue Steine in den Weg zu legen. Sich dann in aller Öffentlichkeit zu beklagen, ist ein Stück aus dem Tollhaus.“

Juristisch gesehen hätte der Landkreis eine elegantere Lösung gehabt anders verfahren sollen:
Er hätte die Baugenehmigung verlängern müssen und wenn die ECH nach Fertigstellung keinen Hotelservice vorweisen könnte, hätte er die Nutzung der Häuser verbieten können (oder besser: müssen). Die Häuser wären dann saniert. So werden sie weiter klimatisiert und verfallen nicht weiter, dürfen aber auch nicht saniert werden. Da „Möwe“ und „Schwan“ abgerissen werden dürfen, erfolgt hier keine Klimatisierung und logischerweise auch keine Instandhaltung – diese beiden Villen würden also irgendwann in sich zusammen fallen.

Kurzum: Nicht die Baugenehmigung hätte nicht verlängert werden, sondern – wenn es überhaupt rechtssicher wäre – die Nutzung untersagt werden müssen.

Die Aussichten der ECH bei einem Widerspruch und einer Klage sind nicht schlecht, denn die Rechtsaufassung des Landkreises ist nicht sicher und müsste einer juristischen Prüfung unterzogen werden. Ob also die Ablehnung rechtens ist, müssen Gerichte prüfen. Wenn die erst einmal mit dem Fall beschäftigt werden, kommen auch all die anderen Sachen auf den Tisch.

Nachtrag 05.10.2012: Was in Güstrow und Bad Doberan offenbar übersehen wird: Die ECH sollte zu keinem Zeitpunkt einen Vertrag mit dem Grand Hotel abschließen. In den Verträgen zwischen Stadt und ECH steht, dass sich die ECH gegenüber der Stadt verpflichtet, einen Betreibervertrag mit dem neu zu bauenden „Hotel Residenzen“ abzuschließen. Vom Grand Hotel ist darin gar nicht die Rede und solange es das „Hotel Residenzen“ noch nicht gibt, ist das Grand Hotel eine von vielen Optionen. Das ist ja das, was Plöger zu verstehen zu geben versucht. Folgt man dieser Darstellung wird klar, dass die Insolvenz des Grand Hotels gar nichts mit dem Betrieb der Perlenkette zu tun hat.

Denn rein logisch: Das Grand Hotel ist ja gar nicht geschlossen, könnte also den Hotelservice erbringen, wenn es denn einen Auftrag HÄTTE. Auch Insolvenzverwalter Zumbaum müsste eigentlich ein großes Interesse an diesem Auftrag haben, denn er würde Geld in die Kasse des Grand Hotels spülen. Noch braucht niemand diesen Service und darum gibt es auch noch gar keinen Auftrag. 

 

Wie geht es nun weiter?

Der einfachste Weg ist, einen Hotelservice nachzuweisen oder einzurichten und damit die Hinderungsgründe nichtig zu machen, sodass der Landkreis nicht noch einmal ablehnen kann. Das ist Sache der ECH.

Nachtrag 05.10.2012: Aber dieser Weg ist wahrscheinlich gar nicht nötig, weil die Entscheider den im vorigen Absatz genannten Vertragsbestandteil übersehen oder ignoriert haben. Natürlich liegt es auf der Hand, zuerst das Grand Hotel zu fragen, ob es den Hotelservice übernehmen würde aber grundsätzlich kann jeder Landschaftsbaubetrieb der Region die Außenanlagen pflegen und jedes Hauswirtschaftsdienstleistungsunternehmen das Housekeeping übernehmen. Dazu eine Gesellschaft als festen Vertragspartner zu gründen (eine Betreibergesellschaft für die Residenzen) ist schnell und mit wenig Aufwand und ohne großen finanziellen Einsatz getan. Insofern sind die Zweifel in Schwerin, Güstrow und Bad Doberan schon etwas merkwürdig. Scheinbar – also Herrn Plögers Ausführungen folgend – haben die Verantwortlichen die Verträge nicht gelesen oder nicht verstanden.

Die zweite Möglichkeit ist, den Hinderungsgrund generell in Frage zu stellen, weil Schwerin ja scheinbar zugegeben hat, nur aus Zweifeln, also nicht auf Grund von handfesten Fakten zu handeln. Das wäre zugleich der einfachste Weg für Jagdfeld, denn während des langen Gerichtsverfahrens könnte er seiner eigentlichen Arbeit nachgehen und mit seiner von allen Seiten angegriffenen Investorengruppe erst einmal ruhigere Gewässer ansteuern.

Zugleich könnte Jagdfeld tun, was er noch nie getan hat:
Die Stadt mit Klagen überhäufen und Schadenersatz fordern. Auch die Verzögerungen bei der Ausstellung des Negativattests zum Vorkaufsrecht haben der ECH viel Geld gekostet, die Fristen sind noch nicht verjährt, hier ist viel Geld zu holen. Die Einnahmen aus den Schadenersatzforderungen würden dann auch einen Verkauf der Villen zu geringeren als den geplanten Preisen attraktiver machen, sodass die ECHII als derzeitige Eigentümer der meisten unsanierten Villen diese an Dritte veräußern und somit den Fuß in der Tür behalten könnte – ganz legal und dank derer, die die Baugenehmigung versagt haben.

 

Welche Spekulationen gibt es?

Auch diesen Part sollte man nicht außer Acht lassen. Es gibt Spekulationen, dass Jagdfeld klein bekommen werden soll, sich von Heiligendamm zu trennen. Da man keine Handhabe hat, ihm irgendetwas zu nehmen, soll laut Spekulationen er zum Verkauf gezwungen werden. Das wäre eine einmalige Sache und würde sehr am Image der Region und des Landes kratzen. Jagdfeld hat sich bisher immer verteidigt aber nie selbst angegriffen, sodass laut Spekulationen damit gerechnet werden kann, dass er es wieder so tut. Wustrow jedoch zeigt uns, dass Jagdfeld Zeit hat, die er auf seine große Familie verteilen kann. Wenn er am Erfolg gehindert wird, muss er nicht verkaufen – er kann auch einfach warten – Monate, Jahre – so lange, bis der Sturm sich legt. Allerdings ist diese Spekulation nicht so wahrscheinlich wie die, dass Jagdfeld klagt und es damit für Bad Doberan und den Steuerzahler sehr teuer wird. Es gibt große Parallelen zur Kammerhof-Pleite. Weitere Vermutungen sind, dass es einen Interessenten für das Grand Hotel gibt, der aber alles allein haben möchte und dass die Politik ihm diesen Gefallen dadurch tun will, dass sie Jagdfeld aus Heiligendamm heraus ekelt. Dass ein Investor wenn er kann alles allein haben will, darf nicht ausgeschlossen werden. Ob das (Jagdfeld vertreiben) aber der Weg dahin ist, sollte zunächst bezweifelt werden, denn die Politiker haben zu viel zu verlieren.

 

Was sagen die Stadtvertreter dazu?

Hier einige Zitate aus der Ostsee-Zeitung vom 02.10.2012.
Von der Art der Berichterstattung machen Sie sich am Besten selbst ein Bild.

Birgit Mersjann, Fraktionschefin der SPD:
„Ich habe mir dazu noch keine abschließende Meinung bilden können. Wir müssen erstmal die Konsequenzen überdenken.“

Harry Klink, Fraktionschef der FDP:
…legt Jagdfeld nahe „sich von seinen Immobilien in Deutschlands ältestem Seebad zu trennen. Das wäre die Chance, Heiligendamm endlich nach den Gesetzen der Marktwirtschaft zu entwickeln und wie in Rerik oder Kühlungsborn die Tür für mehrere Investoren zu öffnen.“

Guido Lex, Bürgerbund, Stadtvertretervorsteher:
„Der Entzug ist absolut „folgerichtig“: „Es ist erstaunlich, dass die Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm (ECH) immer wieder das Baurecht beantragt, aber nie angefangen hat. Seit Ewigkeiten wartet die Stadt darauf, dass die denkmalgeschützten Häuser an der Perlenkette endlich saniert werden. Es ist an der Zeit, dass Jagdfeld Konsequenzen zieht und Heiligendamm von seiner Anwesenheit befreit. Ich glaube, ich hätte ihm das Bundesverdienstkreuz nicht verliehen. Schon gar nicht Erster Klasse.“

Thorsten Semrau, Bürgermeister, parteilos:
„Der Denkmalschutz und der Entzug der Baugenehmigung sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Die Gebäude verfallen weiter. Dabei hatte das Unternehmen genügend Zeit. Wir haben die Baugenehmigung ja nicht nur ein Mal verlängert“

Jochen Arenz, parteilos:
„Herr Jagdfeld steht der weiteren Entwicklung Heiligendamms im Wege. Das Vertrauen ist restlos verspielt.“ Allerdings fürchtet er, „dass die vielen Mitarbeiter der ECH, dann auf der Straßen stehen würden. Und die Menschen können ja nichts für die Entscheidungen ihres Chefs.“

 

Die Ostsee-Zeitung sieht in der Meinung von Jochen Arenz ein „Bröckeln der Fronten“ und „Abwenden einstiger Verbündeter“. Was Chefredakteur Meyer dabei übersieht: Arenz hat immer nur die Pläne der ECH verteidigt. Die Abneigung gegen Jagdfeld auf Grund der Enttäuschung ist gar nicht so neu. Auch andere Stadtvertreter die hinter den Plänen der ECH für Heiligendamm stehen, teilen nicht zwangsläufig die Meinung Jagdfelds oder unterstützen ihn. Die meisten haben ihn nie persönlich getroffen. Sie werden nur von Jagdfelds Kritikern und den Medien alle in einen Topf geworfen. Wie aber auch die andere Seite der „Front“, wo auch nicht alle gegen Jagdfeld sind, sondern nur gegen die Pläne der FUNDUS-Gruppe.

Wichtig ist, sich nicht polarisieren zu lassen und sich nicht auf eine der beiden Seiten zu werfen. Für unsere Stadt geht es nur miteinander. Gegeneinander ist gegen uns selbst – gegen unsere Stadt und unsere Zukunft und gegen alle die, die das aufgebaut haben, was wir zerstören. Ich hätte Ihnen heute gern eher und mehr Informationen geliefert, möchte mich aber genauer informieren. Darum nehmen Sie bitte diesen Artikel als erste und vorsichtige persönliche Einschätzung. Nach meiner Hochzeit werde ich Zeit finden, die Ereignisse und Entwicklung genauer zu recherchieren.

 

Nachträge 05.10.2012 auf Grund von weiterführenden Informationen durch Dr. Plöger.