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Eine Wissenschaft für sich: Hotelexperten widersprechen sich zum Thema Heiligendamm.

Fast jeder hat eine Meinung zu Heiligendamm. Selten wird diese gehört, weil sie auch selten Nutzen bringt. Anders ist das immer dann, wenn die Meinung von Professoren kommt. Besonders, wenn diese Experten auf dem Gebiet der Touristik und Hotellerie sind, hört man aufmerksam zu, denn in Heiligendamm wurde lang genug „gestümpert“ und es wird immer klarer, dass nur echte Experten schaffen, was Freizeitpolitiker und selbst ernannte Allround-Investoren nicht geschafft haben. Der Allround-Investor hatte ein Blick für das Ganze und die Freizeitpolitiker bremsten ihn mit Detail-Verlorenheit gnadenlos aus. Das Ganze ist Summe seiner Einzelteile und so muss jetzt wieder ein Rahmen geschaffen werden, in denen die Details Platz finden. Das kann kein Politiker und das kann auch kein Investor. Aber das können Experten. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch diese zu völlig gegensätzlichen Schlüssen kommen.

 

Aktuell ist es Professor Stephan Gerhard, seit 25 Jahren weltweit als Unternehmensberater für Hotellerie und Gastronomie tätig und seit 2012 ordentlicher Professor für Hospitality Development und u. a. Kuratoriumsmitglied der Internationalen Hotelfachschule Usedom, der sich in die Diskussion einbrachte. Vor einer Woche warnte er vor einem Einzelverkauf der Orangerie und sieht darin den ersten Schritt zu einer Zerschlagung des Grand Hotels und Heiligendamms. Gerhard begleitet die Entwicklung Heiligendamms von Anfang an, kennt die Pläne Jagdfelds und hat in schwierigen Zeiten immer wieder mal Partei für seine Vorhaben ergriffen. Für ihn steht fest, dass die Orangerie im Grand Hotel bleiben muss und dass man nicht Klinik-Privatpatienten und Luxus-Hotelgäste vermischen darf.

Ein nach der Insolvenz erstelltes 100seitiges Gutachten sagte schon 2012 aus, was Hotel-Papst Gerhard heute sagt. Von diesem Gutachten ist nicht so viel bekannt, wie von den derzeit diskutierten: Es wurde einfach kaum beachtet, nicht in der Zeitung zitiert und weg geheftet.

Ganz anders sieht es Willy Weiland, der laut Ostsee-Zeitung (26.01.2013) leitende Funktionen innerhalb der Inter-Continental Berlin inne hatte und als Vice President Operations verantwortlich für alle Hotels der Gruppe in Deutschland, Polen und der Ukraine war. Was Weiland jetzt macht, steht nicht in der OZ aber er hat sich offenbar selbstständig gemacht. Weiland hat für die Median-Klinik eine Studie erarbeitet, die zu dem Schluss kommt, dass „die Nutzung der Orangerie durch die Klinik sinnvoll und zu befürworten“ sei. Als Begründung führt er an, dass es für das Grand Hotel keine wirtschaftlichen Nachteile hat, auf die Orangerie zu verzichten. Die Reduzierung der Zimmerzahl sieht er eher noch als positiv, da nach seinen Informationen das Hotel selbst im Sommer nicht voll ausgelastet sei. Auch müssen die in der Vergangenheit schwer vermietbaren Flächen konzeptionell anders genutzt werden, so Weiland.

Tatsächlich wird die Orangerie seit März 2012 nicht mehr vermietet und auch unter dem damaligen Geschäftsführer Anno August Jagdfeld wurde versucht, die Suiten der Orangerie dauerhaft an Stammgäste zu vermieten, was natürlich heißt, dass mit ihnen weiterhin – nur eben anders – Geld verdient werden sollte. Die Reduzierung der Zimmerzahl bedeutet jedoch auch, dass mit weniger Zimmern mindestens gleich viel verdient werden muss. Das Grand Hotel hat also nur eine Chance, wenn es hohe Preise verlangt, wofür es auch einen hohen Anspruch erfüllen und im 5-Sterne-Bereich angesiedelt bleiben muss. Andernfalls könnte weder die durch die vielen Gebäude sehr aufwändige Logistik, noch die durch die Lage an der See ständig nötige Instandhaltung finanziert werden – von den vielen nötigen Mitarbeitern, die für den ordnungsgemäßen Ablauf ständig vorzuhalten sind, ganz zu schweigen.

Weiland sieht die Architektur der Weißen Stadt am Meer durch die Ausgliederung an die Median-Klinik nicht gefährdet, was dafür spricht, dass die Orangerie nicht extra eingezäunt werden soll, sondern die Privatpatienten das Hotelgelände nutzen können. Befürchtungen lauteten, die Orangerie würde mit einem Zaun vom Hotelgelände abgetrennt werden. Letztlich ist aber offen, wie ein neuer Betreiber des Grand Hotels mit der Situation umgehen wird: Wenn auch nicht Median die Orangerie einzäunen will, so könnte trotzdem ein neuer Hotelbetreiber sie ganz legal „auszäunen“ und damit das Ensemble optisch entzweien, bzw. mit Hinblick auf den geplanten Stichweg „entdreien“. Auch zu den nicht zum Hotelgelände gehörenden drei Cottages könnte ein neuer Betreiber Zäune setzen.

Insolvenzverwalter Jörg Zumbaum begrüßt derweil die Entscheidung des Heiligendamm-Beirats zur Zustimmung des Orangerie-Verkaufes. Er habe keine Bedenken, dass Klinik-Patienten die Hotel-Gäste in ihrer Erholung stören könnten. Diese Begegnungen gibt es schon heute: Das Grand Hotel musste auf Wunsch des Rathauses eine Vereinbarung mit der Median-Klinik treffen, die dieser gestattet, mindestens einer bestimmten Gruppe von Patienten auf einem kurzen Weg das Durchqueren des Hotelgeländes zu ermöglichen. Diese Vereinbarung wurde getroffen und Insolvenzverwalter Zumbaum ließ sogar den Weg so verlegen, dass die Patienten keine Treppe steigen und zum Strand hinunter gehen müssen, sondern direkt auf die Promenade gelangen.

Darüber, ob Hotelgäste in ihrem Urlaub Probleme damit haben, mit Klinikpatienten das Hotelgelände teilen zu müssen, gibt es derzeit einige Meinungen aber keine empirischen Studien. Für die Gäste des Grand Hotels sollen eher die Tagesgäste ein Problem gewesen sein, gleichwohl es auch hier nur unterschiedliche Ansichten aber keine fundierten aktuellen Erkenntnisse gibt.

Was uns zu den nächsten Professoren bringt:

Im Thema „Zäune, Sperrungen und Stichwege“ – seit 10 Jahren das Hauptthema Nummer eins im Rathaus – meldete sich 2004 Professor Martin Behnkenstein zu Wort. Er hat wie Weiland für Median damals für die ECH ein Gutachten erstellt, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass bestimmte Wege über das Hotelgelände der Öffentlichkeit zu entwidmen, auf einen Stichweg zu verzichten und als letzte Möglichkeit das Hotelgelände einzufrieden sei. Das Gutachten überzeugte die Verantwortlichen und dies alles sollte zumindest solange befristet sein, bis die Stadt die nötigen Investitionen in das Umfeld des Hotels – also den Ortsteil Heiligendamm – getätigt hat. Zugleich würde die ECH die Perlenkette sanieren und die nötigen Erweiterungen des Ortes (Gewerbeflächen für Geschäfte, Gaststätten etc., evtl. auch schon das Thalasso-Zentrum) realisieren. Dann nämlich wäre ganz Heiligendamm so schön wie das Grand Hotel und die Touristenströme würden sich besser verteilen und nicht ausschließlich das Hotelgelände zum Ziel haben. Damit wären dann Zäune überflüssig und ohne Zäune bräuchte man auch keinen Stichweg.

Behnkenstein arbeitet für das Institut für Marketing und Dienstleistungsforschung an der Universität Rostock und hat den Lehrstuhl für Absatzwirtschaft der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät Rostock inne.

Gegen Behnkensteins Gutachten wandte sich bereits mehrmals in Leserbriefen, zuletzt in einem umfangreichen in der Ostsee-Zeitung veröffentlichten Leserbrief Prof. Gerhard Maeß. Er spricht sich für den Stichweg, einen Wanderweg auf der Küstenoberkante und die Öffnung des Grand Hotels und eine Neuausrichtung des Hotelbetriebs (scheinbar auch mit der Option „weniger Sterne“) aus. Maeß ist bekannt durch seine Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz und ist darum auch in der Wikipedia zu finden. Seine Fachgebiete sind Mathematik und Physik, bis 2003 war er Professor für Numerische Mathematik an der Universität Rostock. Vielleicht darum war er nicht der richtige Auftragnehmer für ein Gutachten über Hotellerie und musste sich in Leserbriefen artikulieren.

Eines haben alle Experten gemein: Sie sind keine Stadtentwickler.
Solange das Grand Hotel herausgelöst von Heiligendamm behandelt wird, schiebt man den Erfolg unerreichbar vor sich her. Es nützt rein gar nichts, einen Professor oder Experten nach dem anderen zu „verbrennen“, ohne dabei den Ort Heiligendamm im Blick zu haben. Heiligendamm ist mehr, als das Grand Hotel und auch mehr, als die Perlenkette, die Median-Klinik oder die Strandversorgung.

Der Ort ist gewachsen und hat sich verändert aber jeder sieht in ihm noch immer nur das Hotel, bestenfalls noch die Perlenkette. Solange Heiligendamm keine Geschäfte, Shops, Cafés, Gaststätten und Dienstleistungsbetriebe in einem ausgewogenen und gesunden Maß bietet, die Promenade nur eine fade Wurst mit zwei Enden, die Seebrücke ein besserer Holzsteg, der Kur“park“ nur ein umklassifizierter Wald und das Wasser nur zum Baden und Segeln da ist, wird Heiligendamm nur „Seeheilbad mit Auge-zudrücken“ sein, wirtschaftlich aber trotz des Titels nicht in der Lage, auch nur mit Dierhagen oder Haffkrug zu konkurrieren.

Kennen Sie nicht? Eben: Heiligendamm kannte bis 2003 auch keiner, erst seit 2007 ist es jedem ein Begriff. Und wofür ist Heiligendamm bekannt? Richtig: Für das Grand Hotel. Darum wollten alle da hin – etwas anderes zu sehen gibt es ja nicht!

Gäbe es eine wirklich besondere, vielfältige und vor allem lange und außerhalb der Bebauung überdachte Seepromenade bis nach Börgerende; gäbe es eine ultimative Seebrücke die Sellin und Heiligenhafen in den Schatten stellt und eine echte Luxus-Marina, in der Abramowitsch seine Yacht fest machen und damit die Yachthäfen alt aussehen ließe; gäbe es einen Kurpark, der den von Boltenhagen toppen würde; ein Thalassozentrum, das Scharbeutz und Wismar abhängt; eine Bummelmeile auch nur halb so groß aber genauso abwechslungsreich wie in Timmendorfer Strand – Heiligendamm wäre wieder die Nummer eins und das Grand Hotel nur einer von vielen Gründen, nach Heiligendamm zu fahren und dort sein Geld auszugeben.

Solange aber nur Gutachten von Experten umher geschoben werden, die ihr Geld vom Auftraggeber des Gutachtens kriegen und eigentlich keine Ahnung von Stadtentwicklung und Städtebau haben, tritt Heiligendamm auf der Stelle und der Abstand zu den anderen Seebädern wird immer größer. Irgendwann sind dann Milliarden statt Millionen nötig, um auch nur aufzuholen.

Schon die Millionen sind zu viel für einen privaten Investor: Der eine kann das Grand Hotel kaufen, der andere – wenn man ihn denn lässt – die Perlenkette in „einer zweistelligen Zahl von Jahren“ wieder aufbauen aber aus einem Dorf ein echtes Seebad machen können nicht einmal beide zusammen. Andere Dörfer haben Jahrzehnte gebraucht, um Seebäder zu werden!

Das Land hat – auch wenn es sich 1996 des Problems „entledigen“ wollte – nie den Glauben an Heiligendamm verloren, hat in das Grand Hotel investiert, zusammen mit dem StAUN, der MBB und Forst und dem Landkreis das Umfeld (Straßen, Gehwege, Bushaltestellen, Bahnhof, Promenade, Küstenschutz, Versorgung etc.) in Ordnung gebracht und sogar das Grand Hotel unterstützt, wenn ihm die Pleite drohte. Selbst die EU hat mit Fördermitteln Heiligendamm unterstützt, auch von der Bundesrepublik kam Geld. Bad Doberan hat wenig geschaffen und wenn, dann wurde es durch Fördermittel (Seebrücke) oder mit Hilfe der ECH (Waldparkplatz, Randstraße, Kurwald usw.) finanziert.

Auch jetzt lässt das Land Heiligendamm nicht fallen, hilft bei der Suche nach einem Investor für das Grand Hotel und stellt Fördermittel in Aussicht.

Nur die Stadt muss mit dem Vorwurf leben, sich seit 10 Jahren nur mit Wegen, Zäunen und politischen Spielen zu beschäftigen und detailverliebt das große Ganze aus den Augen verloren zu haben. Fast 400 Millionen hätte Jagdfeld gebraucht, um die erste Hälfte seiner Pläne zu verwirklichen, nicht einmal 300 Millionen hatte er sammeln können – es war also schon 2003 klar, dass er nicht alles allein stemmen konnte. Das Land hat ihn unterstützt – im Rathaus wurde es dafür von vielen Stadtvertretern verhöhnt, wie auch Jagdfeld selbst ungeachtet seiner Erfolge verhöhnt und auf seine Misserfolge reduziert wurde. Jetzt werden dieselben Stadtvertreter verdrängt und ihnen wird Heiligendamm aus der Hand genommen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung aber das Land muss dran bleiben und es muss sich die Experten holen, die es für ein tragfähiges Gesamtkonzept braucht.