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Geteilte Stadt am Meer: Warum Heiligendamms Zäune vorhersehbar waren.

Als „Festung“ sehen Tagesgäste das Grand Hotel, als „Sperrzone“ bezeichnet es der Stadtvertretervorsteher und „Reichenzoo“ nennen es Stadtvertreter und Bürger. Der Grund für die Zäune jedoch ist hausgemacht: Von Tagesgästen, Stadtvertretervorstehern, Stadtvertretern und Bürgern. ZAM erklärt, warum es so kommen musste.

Zuerst ein vor Ort verdrängter und in der Ferne unbekannter Fakt: Als das Grand Hotel 2003 öffnete, stand es ohne jeden Zaun auf der grünen Wiese. Ich werde nicht die Busladungen mit den etwa 5000 Tagesgästen pro Wochenende bemühen, die sich einem Sommer lang über das Hotelgelände ergossen. Ja, diese Busladungen gab es und ja, das war ein riesiges Problem. Eine Umfrage im Grand Hotel ergab, dass die Gäste genervt von den sprichwörtlich „gaffenden“ Touristen waren und nicht wieder zu kommen drohten. Ein Jahr nach der Eröffnung stand das Grand Hotel vor der Pleite und es musste reagiert werden. Aber es wurde falsch reagiert. Zuerst zu den Problemen selbst:

 

Die Werbung verspricht mehr, als gehalten wird:
Die Leute kamen und kommen nach Heiligendamm in der Erwartung eines mondänen echten Seebades, zumal dieses hier das erste und älteste sein sollte und zumal in den Prospekten aller Werbenden vom Hotel über die ECH, die Stadt, den Kreis und das Land bis hin zum einfachen Vermieter mit weißen sanierten Gebäuden, Restaurants, Cafés, Wellness, Kultur und kurzen Wegen zum Strand geworben wird. Diese Werbung und die Bilder von der Weißen Stadt am Meer aus dem Fernsehen im G8-Gipfeljahr 2007 haben die Gäste vor Augen, wenn sie nach Heiligendamm fahren. Die verfallene Perlenkette taucht in den Bildern nur im sanften Abendsonnenlicht oder retuschiert auf, oft wird sie aber einfach abgeschnitten und nur das Ensemble gezeigt. DAS ist für die Gäste also Heiligendamm.

 

Die Gäste haben hohe Erwartungen an das erste deutsche Seebad:
Das Hauptziel der Gäste eines Seebades ist das Meer und sind die schönen Häuser, denn deshalb kommen sie. Aber nicht immer wollen alle Gäste baden: In etwa drei Monaten des Jahres wollen mehr Gäste baden, als sich vergnügen oder entspannen wollen. Die restlichen neun Monate will kaum einer in der See baden, umso mehr erwartet er aber Angebote. Gute Schwimmhallen mit Spaßfaktor garantieren auch in der Nebensaison Gäste. Das hat die ECH erkannt und wollte daher ein Thalasso-Zentrum errichten, das auch für die Öffentlichkeit nutzbar sein soll und muss.

Die Gäste zieht es auf die Promenade, die nach ihrer Vorstellung in ganzer Länge zum Bummeln und Vergnügen einlädt, an der man wirklich abwechslungsreich einkaufen, essen und trinken und ausgiebig flanieren kann, wie in jedem anderen Seebad auch, nur hier vielleicht in diesen tollen Villen und Palästen. An der Promenade wird ein Zentrum wie in Warnemünde oder wenigstens ein Zugang zum Zentrum wie in Kühlungsborn erwartet, auf jeden Fall aber schöne Gebäude, eine besondere Seebrücke mit Anleger für Ausflugsschiffe und bei einem mondänen Seebad auch ein Yachthafen. Wie bei allen Seebädern erwartet man in Heiligendamm, einen Weg zu laufen, der eine Runde durch die Stadt macht und dabei die Sehenswürdigkeiten reihenweise anbietet.

 

Die Erwartungen der Gäste werden nicht erfüllt:
Heiligendamm ist eine Ansammlung von Häusern, von denen 16 leer stehen, etwa gleich viele saniert sind und der Rest aus privaten Eigenheimen, Pensionen, Gartenlauben Wohnblöcken und „Funktionsgebäuden“ (Bahnhof, Median-Klinik, Wasserwerk, Heizkraftwerk, Imbiss, Cafés) besteht. Die Promenade ist kurz und provisorisch und zu beiden Seiten eine Sackgasse (nach Osten endet sie auf der Straße). Einen Rundweg durch den Ort gibt es genauso wenig, wie einen Ort an sich. Weder gibt es entlang der Promenade Shops, Boutiquen, Juweliers, Gaststätten, Bars, Cafés, Ateliers oder Kramländen, noch existiert ein Ortszentrum oder auch nur ein Hafen, in bzw. an dem es dieses gibt. Es gibt an der Promenade kein erkennbares Zentrum und es führt auch von der Promenade kein Weg in ein erkennbares Zentrum. Die Promenade endet auf einem Platz, an dem man nur auf den gar nicht so Seebad-typisch ungepflegt wirkenden Strand oder auf die Seebrücke ausweichen kann. Selbst diese enttäuscht – hat außer eines Münz-Fernrohres und frischer Salzluft rein gar nichts zu bieten, ist herunter gekommen und geflickt und taugt nicht einmal zur maritimen Nutzung. Würde der Gast hier in die „MS Baltica“ steigen und nach Kühlungsborn oder Warnemünde fahren, hätte er am Ende des Tages wenigstens noch ein Erlebnis hinter sich.

In Heiligendamm hingegen guckt er, wird enttäuscht und tut angesichts der ihn umgebenen „Wüste“ das einzig logische: Er sieht das Grand Hotel mit seinen strahlend weißen Bauten und der Terrasse mit den Sonnenschirmen und Tischen und Stühlen, sieht die Außenterrasse hinter dem Findling, die Autos, die Leute, riecht den Duft von Essen und denkt sich: DAS ist das Zentrum Heiligendamms. Und da will er hin, da will er Kaffee trinken, will essen und shoppen, sich vergnügen und in diese imposanten weißen Paläste hinein schauen. Das ist das Heiligendamm, das ihm versprochen wurde und das er erwartet hat.

 

Die Situation 2003:
Der Gast sieht die Oase in der Wüste und er kommt dort auch hin – läuft zum Kurhaus, setzt sich auf die Terrasse, schaut in die Arkaden oder den Ballsaal, geht in das Restaurant oder im Haupthaus in das Foyer, setzt sich in die Lobby oder Nelson Bar und wartet der Dinge, die nun in dieser doch ungewöhnlichen Atmosphäre geschehen mögen. Entweder fällt er aus den Rahmen und wird nicht wahrgenommen oder argwöhnisch beäugt oder man reicht ihm die Karte, er sieht die Preise und reagiert auf seine Art darauf. Vielleicht geht er einfach heimlich wieder, vielleicht regt er sich aber auch auf. Beides entgeht den echten Hotel-Gästen nicht, die hier für über tausend Euro ihre versprochene Ruhe und Exklusivität erwarten und nun mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert werden, die sie im Urlaub gar nicht haben möchten. Um es aber gleich zu sagen: Das Gros der Touristenscharen wusste schon bei der Ankunft, dass das Grand Hotel in Luxushotel mit Preisen ist, die sie nicht bezahlen können oder wollen.

Die meisten Leute wollten gar nicht im Grand Hotel Kaffee trinken, sondern „nur gucken“. Nun stelle man sich vor, tausend Euro für einen Hotelaufenthalt zu bezahlen, bei dem man zum Teil einer öffentlichen Ausstellung wird – zum Museumsstück, das betrachtet, begutachtet und womöglich noch fotografiert wird. Man will in Ruhe seinen Kaffee trinken und auf die See schauen, die Ruhe und frische Luft genießen und dann sind da nicht enden wollende Kolonnen und Trauben von Touristen, die sich in der Gesamtheit natürlich laut und angeregt unterhalten und eine Unruhe verbreiten, das Gesamtbild der Ruhe stören. Keiner der Gäste hat ernsthaft etwas gegen Tagesgäste – nur eben gegen Touristenströme an der Terrasse entlang, die sich wie im Museum vorbei schieben. Für die Hotelgäste ist diese Situation unbefriedigend und für die Tagesgäste – die dem Hotel zudem auch kaum Geld bringen – ist die Situation auch nicht besser, denn sie konnten zwar das Grand Hotel sehen, wurden aber in ihrem Urlaub mit der Tatsache konfrontiert, sich das nicht leisten zu können – nicht so reich zu sein, wie andere. Nun mag man sich auch die eine oder andere abfällige Geste oder Bemerkung neidischer Leute gegenüber den Hotelgästen vorstellen: Von rotzenden und furzenden Anglern (was eher für Einheimische spricht) war die Rede und von Leuten, denen auch der Blick durch die Fenster zur Befriedigung der Neugierde recht war. Auf diese Situation musste man reagieren und man reagierte mit Zäunen, die das Problem aber nicht die Ursache beseitigten.

 

Die Situation 2012:
Heute steht der Gast vor Toren und Zäunen, kann nicht einmal den Gedenkstein berühren und kommt gar nicht erst zur Terrasse oder in die Gebäude. Wer es weiß, geht durch das offene Tor in der Kühlungsborner Straße zu einem Restaurant oder Café seiner Wahl, zum SPA-Bereich oder ins Fitnesstudio oder zu einer der kulturellen Veranstaltungen des Hotels. Damit ist er auch Gast des Hotels und bringt ihm Geld, ist natürlich willkommen und fällt zwischen den wirklich reichen Gästen gar nicht auf, weil er sich auf die Atmosphäre einlässt und dazu gehört. Für eine Saison versuchte man es mit einem Pagen am Findling, der den Einlass etwas steuern konnte aber das setzte sich nicht durch.

Die Mehrzahl der Tagesgäste weiß nicht, dass es einen für jedermann offenen Weg in das Hotel gibt und das Hotel legt auch gar keinen Wert darauf, dass alle das wissen und dann hinein laufen um festzustellen, dass es hinten nicht wieder hinaus geht. Die logische Konsequenz ist nämlich – oft beobachtet und auch fotografiert – dass die Leute über die Zäune klettern, statt dahin zurück zu laufen, wo sie her gekommen sind. Auch das ist für die Hotelgäste befremdlich und natürlich auch für die Tagesgäste selbst, die eben solche Beschränkungen nicht von einem Seebad erwarten und sich nicht in Heiligendamm willkommen, sondern ausgegrenzt fühlen. Das Grand Hotel machte bis vor Kurzem auf Schildern klar: Zugang (nur?) für Hotelgäste“. Selbst in der Gartenstraße wird ihnen von der Stadt selbst klar gemacht: „Dieses Stück Heiligendamm ist nur für Einwohner“. Wo also sollen sie hin – was sollen sie hier?

 

Das Problem: Oase in der Wüste.
Das Hotel zieht die Leute an, weil es in einem wüsten Umfeld wie eine schöne Oase wirkt. Nun kann man diese Oase einzäunen und somit die Leute in die Wüste zurück schicken oder man macht aus der Wüste eine Oase, in der sich das Hotel eingliedert und sich nicht so hervor hebt, dass jeder dort hin will. Eine schöne Promenade und Seebrücke, ein Yachthafen mit vielen touristischen Angeboten und eine Erlebniswelt, die für Stunden reicht, lässt die Gäste außerhalb des Hotelgeländes glücklich werden. Sie stünden vor dem Tor und würden sagen „Ach hier geht es nicht weiter – egal, kehren wir um und vergnügen uns im Ort.“ So ist es bei jedem Hotel: Wer will denn unbedingt ins Morada oder Upstalsboom , wenn er doch rings herum alles hat, was er braucht? Oder wer will ins Neptun oder muss unbedingt in den Hinterhof eines eingezäunten schönen Privat-Schlösschens, wenn er doch die ganze Stadt mit ihrer Vielfalt zu Füßen hat? Heiligendamm hat diese Vielfalt nicht. Heiligendamm ist eine touristische Wüste mit einer Oase, die das einzige interessante ist.

 

Stadt setzt falsche Prioritäten:
Die Stadt weiß, was die Touristen in Heiligendamm sollen: Geld ausgeben. Kommen sie mit der Molli, verdient die Stadt von selbst mit und auch wenn sie mit dem Bus kommen, profitiert über die Region auch die Stadt von den Einnahmen durch die Verkehrsbetriebe. Besonders dick verdient die Stadt aber an den Autofahrern: Obwohl laut B-Plan eine Grünfläche, hat die Stadt am Golfteich Parkschein-Automaten auf dieser aufgestellt und kassiert 50 Cent pro Stunde und Stellplatz, wobei den Autofahrern selbst überlassen wird, wie eng und gefährlich sie ihre Autos zusammen stellen. Auch gegenüber hat die Stadt auf einem ECH-Grundstück Automaten betrieben und selbst kassiert, inzwischen kassiert hier die ECH selber. Entlang der Seedeichstraße kassiert die Stadt und gegenüber des Grand Hotels – am Bahnhof-Parkplatz – langt sie noch kräftiger zu. Richtig günstig ist es auf dem Waldparkplatz, der trotz 35 Cent pro Stunde und Stellplatz selten voll, da zu weit vom Strand entfernt ist (lieber parken die Leute im Parkverbot, als 100 Meter zu laufen).

Für den Waldparkplatz hat die Stadt nur ein paar tausend Euro bezahlt – der Rest waren Fördergelder und von der ECH übernommene Anteile. Jedes parkende Auto ist also – abzüglich geringer Instandhaltungskosten – reiner Gewinn für die Stadtkasse. Ein neuer Parkplatz soll nun direkt hinter den Dünen an der anderen Seite des Golfteiches entstehen. Er soll die zum Parken freigegebene Grünfläche ersetzen, auf der dann eine Strandversorgung entstehen soll aber statt der ca. 100 Stellplätze sollen 250 Autos auf ihm Platz finden, womit man dann auch weit mehr als das Doppelte verdienen wird. Aus rechtlichen Gründen wird das nur ein „Saisonparkplatz“ sein – praktisch egal, denn man verdient ja auch nur in der Saison an Parkplätzen.

 

Was wird den vielen Autofahrern geboten?
Natürlich Meer! Die Gäste kommen wegen der Ostsee, also bietet die Stadt ihnen die Ostsee. Das sieht dann so aus: Morgens laufen vier Bauhof-Mitarbeiter mit Harken über den Strand und die Promenade und sammeln den Müll ein. Fertig. Ein paar Mal im Jahr wird Rasen gemäht (meistens aber nur an den Rändern) und werden Bäume gepflegt. Blumen gibt es in Heiligendamm nicht zu pflegen – die einzigen Blumenbeete finden sich im Kurwald unter dichtem Unkraut und keiner fühlt sich dafür verantwortlich, weil der Vertrag zwischen Stadt und ECH von der Stadt nicht unterschrieben wird.

Die Stadt glaubt, der Gast käme nach Heiligendamm nur zum Baden. Tatsache ist, dass die Einheimischen und die langjährigen Stammgäste (überwiegend aus den neuen Bundesländern) zum Baden kommen, weil sie in der Nähe wohnen oder Urlaub machen und zwischen Warnemünde und Kühlungsborn der Strand nur in Heiligendamm recht steinfrei und breit ist und man nicht im Schatten der Steilküste liegt. Diese Gäste sind zufrieden mit dem Angebot: Sie wollen baden, ihre Wurst essen und etwas trinken und für sie kann man auch noch 500 Parkplätze bauen und die werden ab 28°C Lufttemperatur auch noch voll. Aber was verdient die Stadt an diesen Leuten? Und was hingegen kostet der Müll, den sie produzieren, während viele von ihnen gar kein Geld in den Kurtaxomaten werfen, sondern es darauf ankommen lassen, kontrolliert zu werden, wo die Strafgebühr doch geradezu lächerlich und mit „einmal nicht erwischt werden“ wieder heraus gespart ist.

 

Die Entscheider leben in der Vergangenheit:
In Bad Doberan glaubt man immer noch, mit Strand allein würde man Geld verdienen. Die Stadt arbeitet immer noch wie in den 70ern und 80ern, als man feste Gäste nach Plan hatte: Kurgäste mit Überweisung und FDGB-Gäste und Forstleute, von denen sich jedes Jahr eine gleich bleibende Zahl Heiligendamm aussuchten – sei es freiwillig oder weil nichts anderes übrig blieb. Damals gab es keinen Markt, an dem man sich behaupten musste: Die Sanatorien und FDGB-Heime wurden nach Plan alle gleich „befüllt“ und die ganze Sache war sicher: Alle wollten dasselbe und alle bekamen dasselbe. Ob nun Bansin oder Heiligendamm – es war beides Ostsee, man konnte baden, tanzen, kegeln, radfahren, wandern und sich überall gleich gut vergnügen. Pikanterweise glaubt man auch in Börgerende heute noch, Leute mit Kegelbahn und Bolzplatz an die Ostsee zu locken. Wer Yachthäfen und Golfplätze baut, hat es verstanden.

Was aber macht man in Heiligendamm?
Die Stadt will in einen Saisonparkplatz und eine Strandversorgung investieren und wünscht sich, dass ein bestehender Privatinvestor ein Strandzentrum baut. Alles was „Strand“ im Namen hat, wird gefördert – „See“ hingegen zählt nicht. Kommen die Leute wirklich wegen dem Strand? Heißt es nicht „OstSEE-Urlaub“?

Das Problem: Das Sommer-Hoch an der Ostsee dauert nur zwei, maximal drei Monate und in dieser schon begrenzten Zeit ist auch nicht jeder Tag ein Bade- also Strand- Tag. Heiligendamm ist an Badetagen hoffnungslos überfüllt und an allen anderen Tagen eher leer. Wer also eine Strandversorgung oder ein Strandzentrum betreibt, verdient einige Tage im Jahr richtig gut, muss aber damit über dreihundert Tage leben können. Kurz gesagt: Wer im Jahr an 10 Tagen je 1000 Produkte mit durchschnittlich 2 Euro echtem Gewinn verkauft, muss von den 20.000 Euro das ganze Jahr leben. Das sind 54 Euro am Tag – entspricht also einem Stundenlohn von nicht ganz 10 Euro netto. Da aber keiner das allein schafft, werden die Zahlen eher auf 10.000 / 27 / 5 lauten und da wird der Imbiss dann schon zum Hobby. Regnet es wie 2011 den ganzen Sommer lang, muss der Imbiss-Betreiber entweder allein arbeiten oder im Winter kürzer treten. Kurzum: Ostsee lohnt sich nicht – zu unstetig, zu kurze Saison, zu geringer Gewinn.

 

Ohne Investitionen keine Einnahmen:
Und die Kurtaxe-Einnahmen der Stadt zeigen deutlich, dass diese auf dem falschen Dampfer sitzt: Gerade mal 253.000 Euro nimmt die Stadt im Jahr an Kurtaxe ein – da sind Vermieter, Hotels, Kliniken und die Kurtaxomaten alle mit drin. Dieser Betrag ist im Vergleich zu anderen Seebädern lächerlich: Kühlungsborn  nahm 2009 etwa  2,2 Millionen Euro ein, Binz 2,8 Millionen, Boltenhagen 1,3 Millionen und die Kaiserbäder zusammen 3,6 Millionen Euro. Bad Doberan und Heiligendamm hinkt da weit abgeschlagen hinterher.

So ist es dann auch die Stadt, die ihre Probleme verursacht hat und ausbaden muss:

Es gibt für Heiligendamm und auch für Bad Doberan kein Gesamtkonzept. Weder weiß man, wohin man will noch gibt es Bemühungen, Ziele zu definieren. Für einen Teil Heiligendamms haben Robert A. M. Stern und Anno August Jagdfeld eine Vision ausgearbeitet, auf der ein Masterplan beruht, der den Ausbau Heiligendamms vorsieht: Die Weiße Stadt am Meer soll demnach erst eine Stadt werden, indem sie an der Kühlungsborner Straße ein Zentrum mit Gewerbeflächen bekommen soll. Der so genannte „Demmler-Park“ soll drei Aufgaben erfüllen: Apartments schaffen, die das 2- und 3- Zimmer-Segment abdecken und zugleich der Tourismuspyramide das derzeit fehlende Vier-Sterne-Angebot (das Grand Hotel hat fünf) verschaffen. Heiligendamm hat Luxus und Standard aber es fehlt die „Komfort-Klasse“, die in Bad Doberan durch die beiden Palais (Friedrich-Franz-Palais und Prinzenpalais) bedient wird. Jagdfeld hat dies berücksichtigt, einzig steht die Ausführung nun in den Sternen. Außer den Apartments sollen die Häuser Shops, Boutiquen, einfachere und Luxus-Läden, Juweliers, Cafés, Bars, Ateliers und jede Menge Dienstleister beherbergen und Heiligendamm das geben, was einen Ort ausmacht. Die dritte Funktion ist die Bereitstellung einer Tiefgarage, die sich in unmittelbarer Nähe zum Grand Hotel befinden würde, sodass das Park-Problem des Hotels gelöst werden würde. Aber Jagdfeld hat keinen Plan für eine Stadt, sondern nur für einen Teil eines Stadtteils. Die Stadt hat nie einen eigenen und auf Jagdfeld abgestimmten Plan erstellt.

 

Jagdfeld soll alles allein machen.
Es ist überhaupt nicht klar, inwiefern sich die Stadtvertreter mit Jagdfelds Plänen auseinander gesetzt und diese verstanden haben aber ihr Verhalten seit 2004 zeugt nicht davon, dass sie hinter den Plänen stehen. Schon von Anfang an wurden Klauseln in die Verträge eingebaut, die allesamt darauf ausgelegt waren, im Falle eines Scheiterns von Anno August Jagdfeld reagieren zu können. Das Scheitern des Investors war von Anfang an mit eingeplant und in diesem Falle wollte man seine Wege und bestimmte Rechte wieder zurück erlangen können. Die Verträge lesen sich so: „Jagdfeld soll alles sanieren, scheitert er, wollen wir uns in das gemachte Nest setzen“. Was man dann mit dem gemachten Nest anfangen will – wie man das sehr kostenintensive Ensemble erhalten und betreiben will – das blieb unberücksichtigt und das ist aktuell auch das größte Problem: Schließt das Hotel, beginnt sofort wieder der Verfall.

Zwischen der Stadt und den einzelnen Firmen der Investorengruppe gibt es Verträge, die recht einseitig beschreiben, wie Heiligendamm sich entwickeln soll: „Der Investor wird…“. Die Liste ist lang: Er wird zuerst das Ensemble sanieren und ein Hotel eröffnen, danach die Perlenkette sanieren und ein weiteres Hotel (oder seit 2009 genehmigt eine „Residenz am Meer“) eröffnen, wird dann ein Thalasso-Zentrum bauen, Apartments, ein Konferenzzentrum, Sportstätten, Golfplatz und Biogut betreiben und irgendwann auch ein Villenviertel bauen.  In der Praxis ging das Engagement Jagdfelds noch viel weiter: Seine Gruppe übernahm Planungskosten und städtische Anteile und ersparte der Stadt damit immer wieder Kosten. So konnten die Randstraße um Heiligendamm, der Waldparkplatz, die Sanierung der beiden Ortsdurchfahrten, der Bau der Parkplätze, Fußwege, Radwege und selbst der für die Seeheilbad-Anerkennung nötige Kurpark (in Heiligendamm Kurwald) mit Hilfe der ECH – meistens nur durch ECH-Kostenübernahme plus Fördermittel (also für die Stadt kostenlos) realisiert werden. Diese Praxis – Finanzierung durch Investor plus Fördermittel ohne eigene Kosten – sucht man in Deutschland fast vergeblich. Jagdfeld geht in Heiligendamm Wege, die kein anderer Investor gehen würde. Als Dank darf er sich des Eigennutzes bezichtigen, beschimpfen und behindern lassen.

Während die Stadt also Jagdfeld prinzipiell alles allein machen lassen will und einzelne Stadtvertreter immer neue Sachen finden, die eigentlich die Stadt tun müsste aber Jagdfeld machen soll, trägt die Stadt als Ganzes in Heiligendamm gar nichts bei. Während die anderen Ostseebäder sich immer wieder an Länge und Attraktivität der Promenade überbieten, hat man im ältesten deutschen Seebad nur die Aufstellung postmoderner Leuchtstäbe als Beleuchtung der geschotterten Sackgassen-Promenade realisiert. Im Ortsbild gibt es gar keine einheitlichen Straßenleuchten und auch keine einheitlichen Bänke und Papierkörbe. Selbst die Stadt arbeitet mit verschiedenen Exemplaren nach dem Thema „Was gerade billig ist“. Die Gartenstraße wurde von der Stadt zur Anwohnerstraße deklariert und die Bewohner sind unter sich, wenngleich schon gegenüber in den Gartenanlagen Probleme lauern, wie z.B. die fehlende Müllentsorgung in den Datschen, deren Bewohner ihren Müll in den Tonnen der Heiligendammer oder in den öffentlichen Abfallbehältern verteilen. Auch hier zeichnet sich eine Spaltung der Alteingesessenen von den Datschenbesitzern und ihren – natürlich „verwandten“  – Gästen ab. Dazu gehören auch die beiden Neubaublöcke, an denen es inzwischen mehr auswärtige als einheimische Kennzeichen gibt. Der kleine „Tante-Emma-Laden“ in der Gartenstraße schloss nach kurzer Zeit wieder: Die zweite Reihe zieht nicht. Nur Familie Mundt hält tapfer Stellung und spricht die Radfahrer und Wanderer an, die am Haus vorbei geführt werden.

 

Blick über den Tellerrand: Andere Seebäder investieren kräftig.
Einen Yachthafen wie in Kühlungsborn und Warnemünde sucht man heute so vergebens, wie 2003 der heutige Insolvenzverwalter des Grand Hotels, Jörg Zumbaum, der an einer Seebrücke auch ein Yacht- und Segelrevier erwartet hätte. Die Seebrücke wurde nur so weit gebaut, wie die Fördermittel reichten und auch nur gebaut, weil es Fördermittel gab. Wäre sie länger, könnte auch die MS „Baltica“ anlegen aber insgeheim will man das im Rathaus gar nicht, weil man nicht weiß, wohin mit den Passagieren.

Statt nun also die Seebrücke zu verlängern und wie in Heiligenhafen eine Attraktion für sich daraus zu machen und statt in Richtung Börgerende einen Yachthafen mit Strandzentrum oder einer kleinen Flaniermeile, vielleicht sogar einem Konferenzhotel auch nur zu erwägen, investiert die Stadt in einen noch größeren Parkplatz für noch mehr enttäuschte Besucher und will ihnen neue Imbissangebote offerieren.

In Travemünde will die Stadt ein öffentliches Spaßbad bauen, in Scharbeutz hat man das schon realisiert, zugleich die Promenade umgebaut, Lounge-Bereiche geschaffen und den Kurpark umgebaut. 26 Millionen Euro in zehn Jahren hat Scharbeutz investiert und die 70er und 80er hinter sich lassend den Mittelweg zwischen Klasse und Masse gefunden. Keinem der anderen Seebäder geht es besser als Heiligendamm – keines von ihnen bekommt so viele Fördermittel oder gar Bürgschaften. Alle investieren ihr letztes Geld, um damit die Einnahmen zu erhöhen. Bad Doberan investiert nicht: Bad Doberan gibt nur Geld aus.

In Heiligendamm schafft man es nicht einmal, die kleine Seebrücke von 1993 in einem Zug zu sanieren, flickte sie, musste sie wegen Lebensgefahr sperren und flickte dann wieder, um sie wieder eröffnen zu können.  Schuld daran, dass die Flickerei nicht schon vor drei Jahren stattfand, ist nach Ansicht der Orts-FDP übrigens die „ECH-Lobby im Stadtparlament“ – mögliche Gründe können die Liberalen nicht nennen. Aber Jagdfeld ist immer dann Schuld, wenn etwas nicht gelingt. Das ist natürlich einfach, wo man ihn alles machen lässt und sich selbst auf das beschränkt, was man seit 50 Jahren tut: anspruchslose Badegäste befriedigen.

 

Bad Doberan investiert. Nur nicht in Heiligendamm.
Es wäre falsch zu behaupten, Bad Doberan nähme gar kein Geld mehr für den Tourismus in die Hand. Die Stadtväter haben durchaus eine neue Einnahmequelle entdeckt: Für alles Mögliche gibt es Fördermittel, die man abstauben und mit denen man etwas machen kann. „Etwas machen“ ist derzeit auch das einzige Konzept in der Stadt: Wenn man Geld kriegen kann, dann will man es haben und verbraten. Die Folgekosten – Erhaltung (sh. Seebrücke, Kurwald) hat dabei keiner im Blick. Als einigen Stadtvertretern bewusst wurde, dass der von ECH und Steuerzahlern zu finanzierende Komfort-Rundweg in Heiligendamm nachhaltig viel Geld kosten wird, wollte man plötzlich nur noch eine Light-Variante. Andererseits wollte man auch habgierig das volle Geld zum Verbraten nutzen – nun tut sich da gar nichts mehr, weil die Stadtvertreter sich nicht einig werden, ob „verbraten oder light“.

Derweil will man in Bad Doberan kräftig investieren: Nach der mit Steuergeldern gepflasterten Goethestraße (so nötig es auch war) soll nun auch das Klosterareal mit Steuergeld geklinkert werden. Während Dresden das Weltkulturerbe ausgeschlagen hat, weil die Stadt so attraktiv ist, dass sie diese Auszeichnung nicht braucht und darum lieber die viel wichtigere Elbschlösschenbrücke gebaut hat, erhofft man sich in Bad Doberan mehr Bekanntheit und will aus dem Schatten des viel bekannteren Heiligendamms heraus treten. Bad Doberan ist nämlich in der Wahrnehmung nur ein Anhängel Heiligendamms – nur echte Münster- und Molli- Fans kommen auch ohne Heiligendamm-Besuch.

Ob es Absicht ist, Heiligendamm zu schwächen, um Bad Doberan zu stärken, gehört in den Bereich der Spekulation, inwiefern aber eine Aufwertung des Klosterareals – hier insbesondere der „Vitakost-Ruine“ ohne jegliches Nutzungskonzept einen Mehrwert bringt, darf hinterfragt werden. Für die UNESCO-Kommission mag es wichtig sein, dass statt alter schiefer Platten- und matschiger Sandwege ordentliche geschotterte Wege das Areal durchziehen und dass eine Ruine wenigstens so aussieht, als wenn sie einen touristischen oder historischen Zweck erfüllen würde. Auch wäre die Kommission natürlich vom verfallenen Amtshaus und dem unordentlichen Bauhof nicht angetan, hingegen von einem „Licht-Leitkonzept“ möglicherweise fasziniert. Aber welchen Mehrwert bringt das für die Gäste und Bürger der Stadt, wenn die ungenutzte Ruine halt nur ein wenig hübscher ist?

 

Womit will die Stadt im Klosterareal Geld verdienen?
Mit einer hübschen Ruine oder einem hübschen leeren Gebäude? Mit besseren Sandwegen, mit einem Licht-Leitkonzept? Die wahren Probleme des Klosterareals bestehen darin, dass viele Menschen mit Bussen direkt vor die Münster-Tür gekarrt werden, aussteigen, durcheilen, wieder einsteigen und wegfahren. Viele Gäste finden das Klosterareal zu Recht schön und seine Angebote rund ums Kornhaus zu Recht toll aber sie finden nicht in die Stadt, stehen an der lauten Beethovenstraße und schauen Richtung Kamp, sehen dort nur Häuser, Straße und Bäume aber nichts, was sie einlädt und auch nur vermuten lässt, dass man dort bummeln und einkehren kann. So freut es die beiden Imbissbuden, dass die Gäste die Mollistraße nicht finden. Würden die Busse in der Stadt die Touristen heraus lassen und sie zum Münster laufen lassen, hätte nicht nur das Münster gut verdient, sondern auch die Stadt. Dazu bedarf es aber günstiger Busparkplätze in der Stadt und für diese hat Stadtvertreter Horst Gühler während seiner langen Ehrenamtszeit vergeblich gekämpft. Busse in der Stadt haben derzeit nur einen Zweck: Gäste in eines der beiden Hotels oder den Ratskeller zu spülen und sie dann wieder aufzunehmen, um einen „echten Touristenort“ anzusteuern.

 

Galopprennbahn als Ablenkung?
Die Stadt will noch mehr Steuergelder investieren: Auch die Galopprennbahn soll ihre festen Tribünen wieder bekommen. An sich ist das nicht schlecht aber es mangelt an Weitsicht: Wer soll die Tribünen pflegen und was kostet das? Kommt dieser Posten auf die Stadt zu, passiert dasselbe wie bei der Seebrücke: Es wird geflickt, bis gesperrt werden muss und dann relativiert der Schaden jeden Nutzen. Heiligendamm nützt eine Investition in die Galopprennbahn übrigens gar nichts: Weder Pferd noch Reiter bringen Geld nach Heiligendamm und auch die Gäste mit den schönen Hüten und Anzügen werden eher nicht an Butzes Imbissbude oder beim Baden am Strand wieder zu finden sein. Stattdessen blockieren die motorisierten Gäste eher den günstigen Waldparkplatz, um vor den hohen Parkgebühren auf dem Rennbahn-Parkplatz zu flüchten. Die Investitionen in eigene Ställe hat nur einen Zweck: Dem Gut Vorder Bollhagen und damit der ECH die dort (kostenlos) untergestellten Pferde entziehen und sich somit unabhängig von Jagdfeld machen.

 

Grand-Hotel-Kaufinteressenten stehen vor massiven Problemen.
Was für die Gäste gilt, das gilt auch für Investoren: Die Interessenten für das insolvente Luxushotel analysieren den Markt und sehen zunächst gute Chancen für ein 5-Sterne-Luxushotel. Der Standort an der Ostsee ist zwar wegen seiner kurzen Saison immer problematisch aber mit einem guten Umfeld und einem guten Konzept ist auch das möglich. Lediglich muss ein Investor gleich das nötige Kapital für eine Übernahme des Grand Hotels haben, denn Anleger wird er dafür eher nicht begeistern können. Hotels an der Ostsee sind regelmäßig keine Rendite-Objekte und kein vernünftiger Investor verspricht Anlegern hohe Rendite für ein Hotel an der Ostsee. Das hat auch Jagdfeld nicht getan: Er hat auf die Vergünstigungen (Übernachtung im eigenen Hotel, Green Fee für Golf etc.) gesetzt und ausdrücklich Heiligendamm als „Liebhaberstück“ vermarktet. Makler und Banken haben mit Blick auf die Provision diese Argumente oft nicht benutzt, was viele enttäuschte Anleger zur Folge hatte. Geschlossene Immobilienfonds sind in Deutschland seot 2004 nicht mehr attraktiv (darum konnte auch kein Fonds für die Perlenkette aufgelegt werden). Ein Investor muss also das nötige Geld bereits in der Tasche haben oder kreditwürdig sein.

Wenn die Interessenten nun aber Heiligendamm das erste Mal sehen, finden sie einen Ort vor, in dem alles nur für zwei Monate Saison ausgelegt ist. Selbst „Cocos Milchbar“ ist winzig, weil Michael Kirchhoff Realist ist und weiß, dass er mit den Einnahmen weniger Tage das ganze Jahr wirtschaften muss und sich daher keinerlei Luxus bei der Größe des Cafés erlauben kann. Auch in Börgerende zeichnet sich der Sinn für Realität ab: Dort gibt es genau dieselben Strukturprobleme: Alles ist nur auf wenige Tage im Jahr ausgerichtet. Ist das Wetter schlecht, läuft das Geschäft schlecht.

Das bedeutet, dass die Investoren selbst in saisonverlängernde Maßnahmen investieren müssen. Hier aber stoßen sie auf Grenzen, denn das Grand Hotel kann weder in sich, noch nach außen wachsen. Ein möglicher Investor müsste also mit der ECH zusammen arbeiten, weiß aber gleichzeitig um die Probleme seines möglichen Partners mit der Stadt und seinen Bürgern. Die Dauerfehde gegen die ECH wird mit einem neuen Investor nicht beigelegt werden und so sind die Probleme der ECH auch immer die Probleme des Hoteleigentümers- und/oder betreibers. Gerade da Stichweg und Heimfall wieder auf den Tagesordnungen der Stadtvertreter stehen, müssen Interessenten höchst verunsichert sein. Solange aber das Hotel keinen Investor findet, hängt auch bei der ECH vieles in der Luft, denn die Perlen-Interessenten warten lieber erst einmal ab, was denn nun mit dem Grand Hotel passiert.

Da die Stadt nie in saisonverlängernde Maßnahmen investiert hat – statt einer Seebrücke nur einen geflickten Steg und statt eines Kurparks nur einen befestigten Wald vorweisen kann, die Promenade kurz und erlebnisarm ist, die Gastronomie nur auf den Sommer spezialisiert und da es keinen Yachthafen, keine Schiffsverbindung, keine Schwimmhalle, kein Kurmittelhaus, keine Geschäfte, kaum ganzjährige gastronomische Angebote und nicht einmal eine Bäckerei gibt, muss ein möglicher Investor um das Hotel herum erst eine Stadt aufbauen. Das aber war der Plan der ECH und ihr gehören die Grundstücke. Solange sie am Geldverdienen gehindert wird, kann sie nicht investieren und ohne das Grand Hotel, dessen Gewinne investiert werden sollten, muss die ganze Finanzierung überdacht werden. Die ECH kann nur noch kleine Brötchen backen und kann nur das entwickeln, was ihr auch unmittelbar Geld bringt. Da sie immer noch die alten Verträge am Bein hat, muss sie zuerst die Perlenkette sanieren, sodass ihr langfristig kein Geld für die saisonverlängernden Maßnahmen – insbesondere das Thalasso- und das Ayurvedazentrum und die Apartments mit den Gewerbeflächen im Erdgeschoss – übrig bleibt.

Aber auch die Perlen-Bewohner brauchen diese saisonverlängernden Angebote und so wäre die richtige Reihenfolge, erst Thalasso- und Ayurvedazentrum (und sei es zunächst in einem Gebäude) und erst Geschäfte (und sei es zunächst nur ein Abschnitt des Komplexes) bauen zu dürfen und dann erst die Perlenkette zu sanieren. Die Stadt aber besteht auf die Perlenkette und scheinbar ziehen Landkreis und Landesregierung da mit.

Auch diese Umstände wirken sich negativ auf das Insolvenzverfahren aus. Ein strukturiertes Umfeld mit echten Seebad-Bedingungen würden Heiligendamm attraktiver für Investoren machen. Im Moment jedoch ist Heiligendamm eher Aschenputtel als Prinzessin und wartet daher vergeblich auf ihren Prinzen. Das Märchen zeigt den Weg: Heiligendamm muss in schönen Kleidern die Aufmerksamkeit der Investoren erregen und Begierde erwecken. Das aber ist nicht allein Aufgabe eines Investors, denn Heiligendamm ist auch ein Stadtteil, in dem Leute leben und arbeiten. Stadt und Bürger müssen ihr Heiligendamm heraus putzen, statt alles auf einen Mann zu schieben. Wenn jeder vor seiner Türe kehren würde, wäre alles sauber.

 

Fazit:
Es fehlte und fehlt weiterhin ein Gesamtplan und eine gleichmäßige Entwicklung Heiligendamms. Das Grand Hotel hat sich entwickelt, während das Umfeld sich seit 1990 nicht in dem Maße verändert hat, um sich am Markt behaupten zu können. Die Stadt hat mit Fördermitteln die Promenade sanieren, die Seebrücke bauen und den Strand zum Sandstrand machen lassen können und mit Geldern der FUNDUS-Gruppe umfangreiche Maßnahmen für den fließenden und ruhenden Verkehr umsetzen können. Jedoch hat sie in den 22 Jahren trotz Bemühungen keine feste Strandversorgung und kein Strandzentrum etablieren können, sodass das Umfeld immer noch auf dem Stand von 1997 mit Provisorien, wie Imbissbuden arbeitet. In diesem für ein Seebad inakzeptablen Umfeld wirkt das aufwändig sanierte Grand Hotel wie ein Magnet und zieht unweigerlich Leute an. Weder die damals das Hotel führende Kempinski-Gruppe noch die EntwicklungsCompagnie Heiligendamm (ECH) ist für touristische Infrastrukturmaßnahmen verantwortlich. Zwar enthält der Masterplan der ECH Überlegungen zum Standort einer neuen maritim nutzbaren Seebrücke und eines Yachthafens aber diese wichtigen Dinge wurden nie dingfest gemacht und die Stadt hat zu keiner Zeit darauf hin gearbeitet, diese neuen Attraktionen zu realisieren, sich stattdessen in Erhaltungsmaßnahmen verloren und völlig am Bedarf vorbei nur die Wünsche der Einheimischen für ihre „Badewanne“, nicht aber der Gäste für ihr Urlaubsziel zu erfüllen versucht.

Die ECH hätte einige Angebote, wie ein Thalasso-Zentrum  schaffen können, jedoch wurde ihr bis 2009 durch die Ablehnung von Änderungen im B-Plan (Dauerwohnrecht und Tiefgarage) realistisch nicht die Möglichkeit dazu gegeben. Da schon 2004 nicht mehr absehbar war, wann die Investorengruppe die zur Steigerung der Attraktivität und zur Saisonverlängerung nötigen Maßnahmen vornehmen konnte, war an eine Beseitigung der Ursachen des Problems nicht zu denken. Der Universitätsprofessor Martin Behnkenstein kam in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass nur eine Einfriedung des Hotelgeländes den Zustrom zu diesem Magneten verhindern und damit das Grand Hotel vor dem sicheren Ruin retten kann.

Da aber die Ursachen nicht beseitigt wurden, lösten die Zäune um das Hotel zwar die Probleme des Hotels und sorgten für eine steigende Zufriedenheit und damit bessere Umsätze aber auch die Hotelgäste suchen in Heiligendamm das attraktive Seebad und wollen mehr, als nur im umzäunten Hotel ihren Urlaub verbringen. Wie auch die Tages- und Pensionsgäste wurden auch die Hotelgäste vom miserablen Umfeld enttäuscht, sodass viele von ihnen kein zweites – zumindest aber kein drittes Mal nach Heiligendamm kamen. Solange das Umfeld nicht stimmt, läuft ein Hotel nicht und so war die Insolvenz nur eine Frage der Zeit. Jagdfeld hat versucht, wenigstens für das Grand Hotel saisonverlängernde Maßnahmen zu erreichen, scheiterte zuletzt aber mit der Beschaffung von ca. 40 Millionen Euro für ein „Zentrum für Vitalmedizin“, das dem Grand Hotel einen zeitweiligen Vorsprung gegeben und den Betrieb für weitere Jahre aufrecht erhalten hätte. Am Ende musste Jagdfeld den Fonds als gescheitert ansehen und Insolvenz anmelden.

Jeder neue Investor steht vor demselben Problem: Heiligendamm hängt weit abgeschlagen hinter allen Seebädern hinterher und neue Investitionen beschränken sich auf ein zweites Münzfernglas, eine Wetterstation und allein der Absicht, einen festen Imbiss, ein neues WC-Haus und einen weiteren großen Parkplatz zu bauen. Indem die Stadt ihr Geld nur ausgibt aber nicht in neue Einnahmequellen investiert, kann sie keine Einnahmen generieren, um davon Heiligendamm am Markt zu etablieren oder auch nur den fortwährend nur vorüber gehend anerkannten Seeheilbad-Titel dauerhaft zu behalten. Weil die Landesregierung sich mit dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung konfrontiert sieht, muss sie Heiligendamm den Seeheilbad-Titel aberkennen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. eine Alternative wäre die Unterstützung der Stadt durch Schwerin in Form gezielter Planungen und Förderungen von städtischen Investitionen in Heiligendamm.

Mit Hilfe der Wirtschaftsförderung und durch Änderungen der B-Pläne könnte die Stadt in Heiligendamm die Promenade verlängern, eine attraktive maritim nutzbare Seebrücke errichten und auf den ihr verbliebenen Flächen statt einer Strandversorgung einen richtigen Anlandepunkt mit attraktivem Branchenmix als erste Maßnahmen schaffen. In Zusammenarbeit mit Börgerende ließe sich ein echter gemeinsamer Kurpark, ein gemeinsamer Jachthafen und ein gemeinsames Strand- und Besucherzentrum nach dem amerikanischen Vorbild des „Visitor Centers“ realisieren. Auch „Konferenzen am Meer“ als Alleinstellungsmerkmal beider Gemeinden wären durch den Bau eines – von der FH Wismar unlängst entworfenen – Konferenzzentrums in den Dünen realisierbar.

Einzig fehlt dazu die richtige Einstellung in den Gemeinden, nicht mehr wie vor 40 Jahren auf Masse zu setzen, sondern sich der Klasse zu nähern. Dass fünf Sterne an der Ostsee funktionieren, zeigen das „Neptun“ in Warnemünde und das „Upstalsboom“ in Kühlungsborn – beide in einem ansprechenden Umfeld mit attraktiven Promenaden, Bummelmeilen, einer Szene aus kleinen Kneipen, Bars, Shops und Gastronomie angeboten und mit Yachthafen und Seebrücke oder Mole vor der Tür und Angeboten ganz im Sinne der Tourismuspyramide. Der Blick über den Tellerrand würde den Verantwortlichen der Stadt und auch der umliegenden Gemeinden zeigen, was funktioniert und warum man vor Ort so erfolglos inmitten einer so rasant aufstrebenden Urlaubsregion ist. Von den anderen Seebädern zu lernen heißt, sich zu orientieren und in derselben Liga mitzuspielen.

Im Moment aber möchte man in Bad Doberan, dass Schwerin und Güstrow sich doch bitte die Wünsche der Stadtvertreter anhören. Anders herum wird ein Schuh draus: Schwerin und Güstrow haben die Experten und die können den offensichtlich völlig überforderten Stadtvertretern und der Stadtverwaltung sagen, wo es lang geht. Denn vor Ort steckt man in einer Sackgasse und der Wagen kann nicht vor und nicht zurück. Warum sollten Schwerin und Güstrow da einsteigen und sich von den verirrten Insassen sagen lassen, was sie zu tun hätten?

Mit den Heiligendammer Zäunen ist es, wie mit jeder Barriere: Solange die Voraussetzungen für einen Verzicht nicht gegeben sind, wird keiner die Zäune abreißen. Solange Afrikaner nach Europa flüchten, werden die Behörden der Länder ihre Grenzen schützen; solange Pakistan und Indien und Nord- und Süd-Korea im Clinch liegen, wird es zwischen den Ländern Grenzen geben und solange die See die Küste bedroht, wird es Küstenschutzmaßnahmen geben. Solange das Grand Hotel in Heiligendamm die einzige Attraktion ist, wird es sich einzäunen müssen. Oder nie wieder genesen.