Nachrichten

Jagdfelds Gegner haben Blut geleckt und stellen alte Forderungen neu.

FUNDUS-Chef und Heiligendamm-Investors Anno August Jagdfeld hat eine derbe Schürfwunde erfahren, als er eingestehen musste, dass sein Traum zu platzen droht, weil das Zugpferd des Heiligendamm-Projekts mit einem Millionenloch zu kämpfen hat. Bildlich gesehen wird er nun von Haien umzingelt, die sein Blut wahrgenommen haben und nun nacheinander den vermeintlich geschwächten Feind beißen. Zwei bekannte und in letzter Zeit – abgesehen von nicht mehr wahrgenommenen Kommentaren in Stadtvertretersitzungen und wirren Interviews in kleinen Fernsehproduktionen – etwas in den Hintergrund geratene Namen melden sich gemeinsam zu Wort: Hannes Meyer vom Bürgerbund, der seit 2004 die Hand im Rathaus gegen Jagdfeld hebt und Heike Ohde, die als Anführerin der Bürgerinitiative „Pro Heiligendamm“ ihr Gesicht für Polemik, Halb- und Unwahrheiten in die Kameras hält und auch über verstrickte Aktionsgruppen und „Interessengemeinschaften“ aktiv das Geschehen aufmischt. Die Forderungen sind so alt, wie das Grand Hotel: Die Zäune müssen weg, das Hotel muss von jedermann durchlaufen werden können und zwei öffentliche Wege sollen über das Hotelgelände führen. Neu ist nur diese Forderung: Jagdfeld muss weg.

Ostsee-Zeitung vom 05.03.2012:

[important]

Bürgerbund: Neuanfang nur ohne Jagdfeld möglich
Fraktionschef Hannes Meyer glaubt, dass die Abschottung des Grand Hotels viele Gäste vertrieben hat. Ein neuer Betreiber müsse her.

Bad Doberan – Die Diskussionen um die Zukunft des Grand Hotels in Heiligendamm reißen nicht ab. Vor allem Hotel-Geschäftsführer und Investor Anno August Jagdfeld gerät mehr und mehr in das Kreuzfeuer der Kritik. Nach FDP und Grünen fordert nun auch der Bürgerbund in Bad Doberan einen Rückzug des 65-Jährigen und seiner Familie aus Heiligendamm.

„Der wichtigste Schritt für einen erfolgreichen Neuanfang ist die Überarbeitung des Hotelkonzeptes – ohne Familie Jagdfeld. Die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, müssen korrigiert werden“, schreiben Fraktionschef Hannes Meyer und Heike Ohde in einer gemeinsamen Presseerklärung. Denn Jagdfelds „Politik der Abschottung“ sei es gewesen, die dem Hotel und dem gesamten Ort geschadet habe. Das Hotelgelände sei abgeriegelt worden, zudem Teile des Kleinen Wohld und der Promenade. „Wer die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren verfolgt hat, weiß, dass Herr Jagdfeld das Konzept der Abschottung von Anfang an verfolgt hat und es auch nach der Insolvenz weiter fortsetzen wird“, sagt Meyer.

Und weiter: „Die Einzäunung des Hotelgeländes dürfte bei vielen Gästen und Besuchern lediglich Unbehagen und Beklemmung ausgelöst haben.“ Dies sei ein Grund, warum die Geschäfte nicht liefen. Meyer sieht für die Zukunft des Ortes große Chancen: „Heiligendamm hat eigentlich alles, was Gäste suchen: Strand, Meer, Wald und Geschichte.“ Zudem müssten der Weg vom Bahnhof zur Seebrücke endlich gebaut und der Küstenwanderweg wiedereröffnet werden. „Das würde einen Teil des Charmes zurückbringen.“ Meyer glaubt, dass dies nur mit einem neuen Betreiber möglich ist.

A. Meyer

[/important]

ZAM meint:
Richtig: Ein neues Hotelkonzept muss her und der Tagesgast muss sich zugehörig fühlen.

Wahr ist, dass das Hotelkonzept überarbeitet werden muss. Das Hotel muss Angebote für Leute bündeln, die momentan die Umgebung zum Urlauben vorziehen. Das Grand Hotel kann in Börgerende Gäste finden, denen es Dinge bieten kann, die diese in Börgerende nicht finden. Das Grand Hotel muss nicht – aber kann – Geld an den Tagesgästen verdienen, indem es zusätzlich zu den bestehenden Angeboten extra für Tagesgäste ein eigenes Café innerhalb des Ensembles aber außerhalb des Hotel-Kerngeländes eröffnet, das den Gästen etwas besonderes zu einem günstigen Preis bietet und ihnen das Gefühl gibt, im Grand Hotel zu Gast zu sein, statt es nur von außen zu betrachten. Was man den Tagesgästen bietet, soll anders sein als das was man den Hotelgästen exklusiv und teurer anbietet. Kaffee und Kuchen und Eis über Coco-Preis- und Qualitätsniveau aber weit unter dem Hausniveau wären eine Idee. Letztlich aber muss das Hotel selbst wissen, ob und wie es an den Tagestouristen verdienen möchte.

Falsch: Wir brauchen keine Konter-Konterrevolution.
In die eben gezeigte Richtung gehen Meyers und Ohdes Gedanken jedoch gar nicht: Sie wollen es nur anders sehen – wie genau, sagen sie nicht. Wichtiger ist ihnen die Herstellung einer alten Ordnung: Bis 1996 konnte man in Heiligendamm laufen, wo immer man wollte: Zwischen allen Gebäuden führten Trampelpfade hindurch, von der Promenade gab es einen Landweg zur Burg und zum Alexandrinencottage, um als Anlieger mit dem Auto dort hin zu gelangen und der Wald war durchzogen von festgetretenen Pfaden.
Diese in der DDR typische Freiheit, volkseigenes Land nach Lust und Laune belatschen zu dürfen, empfinden viele heute als verloren. Viele einstige Ausflugsziele in der Natur, wo man früher einmal hin wanderte oder eine Radtour dorthin machte, seine Decke auslegte, seinen Korb auspackte und sich in der Familie oder unter Freunden vergnügte, sind heute unerreichbar, weil die Wege dorthin über Privatgrundstücke führen. Viele Eigentümer sahen sich mit Müll- Lärm oder gar Sicherheitsproblemen konfrontiert und haben die selbst laufenden „volkseigenen Naherholungsstätten“ aufgelöst und die Wege dorthin versperrt. Für DDR-Bürger, die noch nicht in der Gegenwart angekommen sind, stellt das einen herben Verlust dar, gegen den einige sogar zu kämpfen bereit sind.

Wer heute davon redet, dass man einst öffentliche Wege ungeachtet der neuen Eigentumsverhältnisse wieder eröffnen sollte, der gehört zu dieser Anhängerschaft. Außer den beiden Architekten Meyer und Ohde (die beide nicht an der Sanierung Heiligendamms teilhaben konnten, weil sie keine Aufträge diesbezüglich bekamen) gehört auch Bürgerbund-Stadtvertretervorsteher Guido Lex zu diesen Leuten, die von der Vergangenheit schwärmen und sie gern wieder haben möchten, sich dafür sogar aktiv einsetzen. So sind dann auch viele Bürgerbund-Wähler ähnlich gestrickt oder lassen sich durch namhafte aber politisch völlig inaktive Mitglieder des Bürgerbundes blenden. Auf der Liste tauchen mehrere bekannte Bad Doberaner auf, die zwar Bürgerbund-Mitglieder sind aber nie auch nur ein zustimmendes Wort zu den Vorstößen der Parteispitze übrig hatten.

Zäune sind nicht Ursache, sondern Konsequenz.

Die tatsächlich erfolgte Abschottung des Grand Hotels ist eine Folge des Neugier-Tourismus. Die ECH hat „den Fehler gemacht“, das Ensemble erstklassig und in ganzer Schönheit zu sanieren. Dieses Wunder zieht Menschenmassen an, die dasselbe bestaunen wollen – möglichst natürlich von allen Seiten, von dichtem und auch von innen. Bis zu 5000 Besucher wurden an einigen Wochenenden gezählt – angekarrt mit Bussen, deren Veranstalter explizit damit warben, in Heiligendamm die Urlaubsstätte der Reichen und Schönen bewundern zu können. Das Phänomen ist nicht neu – auch Kampen auf Sylt hat Erfahrungen damit gemacht. In Kampen wollten die Reichen und Schönen bewundert werden – in Heiligendamm suchen sie Ruhe und Erholung (im Gegensatz zu Herzogs Zeiten, wo sie sehr wohl gesehen werden wollten). Dieser Interessenkonflikt führte zur Unzufriedenheit der Hotelgäste und damit zu rückläufigen Zahlen. Also friedete man das Grand Hotel ein und schon stiegen die Besucherzahlen und auch die Zufriedenheit der Gäste.

Wer stört sich mehr an den Zäunen: Hotelgäste oder doch eher Tagesgäste und Einheimische?
Nicht alle sind glücklich darüber, ständig auf Zäune zu stoßen aber in den letzten Jahren hat sich die Zahl der Zäune innerhalb des Hotelgeländes auf ein Minimum reduziert, sodass die Gäste weit laufen können, bevor sie an einen Zaun gelangen. In dem sie dann meistens auch ein Tor finden, über das sie das Gelände verlassen und auch ohne Umwege wieder betreten können. Die von Meyer und Ohde projizierte Unzufriedenheit der Gäste über die Zäune findet sich so nicht in den Hotelbewertungen wieder: Unzufrieden sind nur die Gäste Heiligendamms, die durch diese Zäune am Betreten des Hotelgeländes gehindert werden. Wobei eigentlich nichts sie wirklich hindert: Am Haupteingang in der Kühlungsborner Straße gibt es eine Klingel (abgesehen davon, dass das Tor fast nie fest geschlossen ist) und vor dem Kurhaus steht in der Saison ein Page, der sogar die Speisekarten bereit hält und natürlich Einlass gewährt.

Bis zum Eingangstor gehen Hotelgäste und Tagesgäste genau dieselben Wege.

Jeder Hotelgast, der das erste Mal eincheckt, muss dies auch von der Kühlungsborner Straße aus tun und gelangt entweder mit dem Auto oder zu Fuß durch das Tor in das Hotel. Erst dann bekommt er seine Zimmerkarte, mit der er auch alle Tore öffnen kann. Bis zur Bezahlung gibt es also keinen Unterschied zwischen Hotelgast und Tagesgast oder Einheimischen. Man muss kein Zimmer buchen, um in die Restaurants, Bars und Cafés einzukehren, beim Fitness zu schwitzen, sich beim SPA verwöhnen zu lassen oder nach einem Bad auf der Dachterrasse die Sonne zu genießen: Wer bezahlt, ist Hotelgast – egal, was er bezahlt und wie viel. Fakt ist, dass die Preise hoch sind und damit auch zu hoch für viele Tagesgäste und Einheimische und dass dies Neid verursacht und eine Mentalität des Nicht-Gönnens. Auch gegenüber den Mitarbeitern gibt es diese Mentalität von denen, die sich selbst beworben haben aber nicht angenommen wurden. Ja selbst gegenüber Auftragnehmern des Grand Hotels gibt es spitze Bemerkungen seitens Unternehmern, die für das Luxushotel nicht gut genug waren.

Heiligendamm hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor.

Heiligendamm ist ein Ventil zwischen Erfolg und Misserfolg, Arm und Reich, Oben und Unten. Und FUNDUS-Chef Anno August Jagdfeld ist die Person, auf die alles projiziert wird. ER ist an ALLEM Schuld.

Natürlich weiß jeder vernunftbegabte Mensch, dass es nicht ganz so einfach ist. Jagdfelds Verhältnis zu Heiligendamm – nicht weniger als sein Lebenswerk – ist innig und emotional und das steht einigen ökonomischen Entscheidungen sehr wohl im Wege und ließ ihn Entscheidungen fällen, die andere nicht verstanden haben und Äußerungen machen, die nicht immer ganz glücklich waren. Aber Jagdfeld ist das Kerosin in der Rakete – ohne ihn geht es noch viel weniger, als es mit ihm hier und da nicht geht.

Jagdfeld jedoch ist der Buhmann aller Kritiker und Gegner, aller enttäuschten Bewerber, Anleger und Geldgeber. Er wäre das Bauernopfer, das zu bringen wäre aber dieses Bauernopfer wäre zu hoch, denn es würde die Integrität der ganzen FUNDUS-Gruppe und aller ihrer Fonds in Frage stellen und die Gruppe angreifbar machen. Wer sich wirklich heftig und eklig rächen will, der sorgt für Jagdfelds Rückzug und bringt damit das Imperium ins Wanken oder gar zu Fall. Genau daran arbeitet eine kleine Gruppe deutschlandweit verstreuter Rachsüchtiger scheinbar unabhängig voneinander gerade und Jagdfelds Niederlage wäre ihr Gewinn.

Verschwörungstheorie: Stecken die Jagdfeld-Gegner mit einem Jagdfeld-Konkurrenten unter einer Decke?
Die Frage stellt sich nur, woher Meyer und Ohde so genau wissen, dass jeder andere und noch völlig unbekannte Investor kooperativer wäre, als Jagdfeld. Steht schon ein Mitbewerber in den Startlöchern und sind all die aktiven Gegner gut bezahlte Marionetten eines FUNDUS-Konkurrenten? Hat ein Widersacher Leute in der Stadtvertretung platziert, die gegen Jagdfeld die Hand heben sollen? Diese Überlegungen gibt es seit 2003 und es gab auch Recherchen dazu. Lediglich Anhaltspunkte gibt es für diese These – zuletzt sprachen die Bad Doberaner Gastronomen und FDP-Mitglieder Tom Wosar und Stephan Rolfs (beide persönlich mit FDP-Ortschef und Stadtvertreter Harry Klink bekannt) von „Interessenten für die Perlenkette, die bereit stehen“. Sind FDP und Bürgerbund im Rathaus und „Pro Heiligendamm“ auf der Straße also tatsächlich bezahlte Marionetten eines Jagdfeld-Widersachers? Indizien konnten nicht gefunden werden – zum Glück, denn für Bad Doberan wäre das eine ungeahnte Katastrophe. Trotzdem: Der Bürgerbund lebt von den Problemen, die in Heiligendamm präsent sind. Für den Bürgerbund gibt es kein anderes Thema, für das er sich aktiv einsetzt – kein verfallener Schuppen in Bad Doberan hat eine Lobby aus Bürgerbund-Mitgliedern, kein zu fällender Baum, kein von der Pleite bedrohter Verein. Wenn es keine Probleme mehr gibt – was macht der Bürgerbund dann? Sich auflösen? Oder sich feiern? Und nach der Feier? Erwachsen werden und sich endlich einmal für die wahren Probleme der Stadt einsetzen – Moorbad, Klosterareal, Parkraumbewirtschaftungskonzept, Kino, Stadtplanung- und Entwicklung, Finanzen?

Ist Heiligendamm ein Gesundheitsstandort?

Am 06.03.2012 veröffentlichte die Ostsee-Zeitung einen Leserbrief des Rostockers Bernd Ladwig, der in der Vergangenheit oft und heute weniger oft in Heiligendamm ist:

[error]
Der „König“ muss endlich gehen

Zur Berichterstattung über die Pleite des Grand Hotels in Heiligendamm:
„Es ist doch einfach nicht zu glauben. Der ,König’ von Heiligendamm geruht dem ,Volke’ mitzuteilen. ,Seht her, ich wollte Euch doch was Gutes tun, aber das Wetter und böse Menschen haben es nicht zugelassen, sie haben ständig auf die Einhaltung von Verträgen gepocht. Nun bin ich pleite.’
Wenn es nicht so traurig wäre (für die Mitarbeiter) könnte man sich fast totlachen. Die Bösen sind natürlich die Stadtvertreter, auf keinen Fall Jagdfeld selbst. Es ist nur komisch, dass sogar eine international anerkannte Hotelkette wie Kempinski genug hatte und sich ausgeklinkt hat. Auch ein abgewählter Bürgermeister kann ihm nun nicht mehr helfen. Seit der Gründung von Heiligendamm (im großen Stein eingraviert) wurde Gesundheitstourismus betrieben. Es war Leben im Ort. Nur diese Leute bringen Geld nach Bad Doberan und Kühlungsborn. Doch keine ,Reichen und Schönen’. Die lassen das Geld in Berlin , Hamburg und sonst wo. In Heiligendamm hätte man doch auch mittleres und gehobenes Niveau einrichten können – mit der entsprechenden Infrastruktur. Es wäre bei zwei, drei Investoren logischerweise Wettbewerb entstanden. Nein, es musste ein Komplex entstehen für Superreiche. Absperrungen, Ausgrenzungen, Abschottungen vom ,normalen’ Volk waren doch die logische Konsequenz. Aber Hartz IV braucht keiner der Verantwortlichen zu beantragen. Man kann nur hoffen, die Mitarbeiter auch nicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Deshalb hoffen wir auf einen seriösen, intelligenten und menschlichen Investor – nur nicht mehr Jagdfeld. Bisher sind wir in der Vergangenheit sehr gern nach Heiligendamm gefahren. Seit Einzäunungen, Absperrungen von Waldwegen, Promenadenverkürzung vorhanden sind – nie wieder!“ Bernd Ladwig, Rostock

[/error]

ZAM meint:
Zuerst der kleinste aller Widersprüche: Ladwig sieht die Schuld für (was auch immer) nicht bei den Stadtvertretern, schreibt dann aber vom von FUNDUS vorgelegten Hotelkonzept für Superreiche und den aus seiner Sicht logischen Folgen (Abschottung). Die Stadtvertreter (natürlich nicht allein, sondern zusammen mit Kreis, Land und Bund) stimmten dem Verkauf an FUNDUS zu (eine Alternative hatten sie auch gar nicht) und damit nahmen sie auch die „logischen Konsequenzen“ in Kauf. Alternative damals : Heiligendamm abreißen.

Wahr ist, dass Kempinski Jagdfeld Einmischung vorwarf, als sich die Gruppe zurück zog. Fakt ist aber auch, dass Kempinski versucht hat, das Grand Hotel über Tchibo zu vermarkten und Jagdfeld eingegriffen hat, weil er den Ruf des Hotels als Luxushotel gefährdet sah. Die Medaille hat also zwei Seiten, von der Ladwig nur eine kennt oder nennt.

König hin oder her: Blanker Unsinn ist die Behauptung, Heiligendamm hätte immer Gesundheitstourismus angeboten. Der alte Marketingtrick zieht heute noch bestens. Professor Vogel wollte wohl kleine Wunder verbringen und Leute heilen. Einerseits war er Wissenschaftler und wollte neu entdecktes erforschen und andererseits auch selbst neues entdecken. Zum Wissensdurst kam auch eine Portion Nächstenliebe des Freimaurers, der tatsächlich Menschen helfen wollte. Welchen Standes diese Menschen waren, dürfen wir heute nur vermuten. Auf jeden Fall profitierte Vogel mehr davon, seinen Herzog von Zipperlein zu befreien, als seine Studenten. Darum schrieb er folgerichtig eben diesem Herzog und machte ihm neben der medizinischen Seite auch die Vorzüge für das Ansehen schmackhaft.

Der Herzog wiederum entdeckte hier auch den finanziellen Aspekt und bezahlte aus eigener Tasche (durch den Verkauf von Soldaten) die Gründung des ersten deutschen Seebades. Von nun an war alles darauf ausgerichtet, die Kapazitäten und damit die Besucherzahlen und damit die Einnahmen zu erhöhen. Es ging um Geld aber auch um Ansehen, Einfluss und gute Geschäfte. Nach Heiligendamm kam, wer genau das suchte: Die Nähe zum Herzog, die Nähe zu allem, was Rang und Namen hatte und damit die Nähe zum Deal des Lebens. Gesundheit stand nicht im Vordergrund: „FREUDE empfängt dich hier, entsteigst du gesundet dem Bade“. Rauschende Bälle, festliches Essen, fürstliche Unterhaltung – die Freiheit, mit allen per Du zu sein – das war Heiligendamm. Rainer Maria Rilke wollte auf dem Hacken kehrt machen: In diesem bunten lauten Trubel promenierender und feiernder Leute sollte er sich erholen? Nur die Entdeckung des Spiegelsee im lauschigen Wald ließ ihn Ruhe und Inspiration finden, drei Gedichte schreiben und gestärkt nach Hause zurück kehren. Heiligendamm jedenfalls war der Ort, zu dem nur kam, wer sich die Kutsche – später Molli – leisten konnte und in dem nur einkehrte, wer sich irgend etwas von den massenhaften Angeboten zu leisten vermochte. Der Rest des „Pöbels“ arbeitete hier bestenfalls.

Alle Erweiterungen Heiligendamms geschahen aus dem Grund, dass man besser sein musste, als die inzwischen aufstrebende Konkurrenz. Die Perlenkette diente der Erhöhung der Kapazitäten und auch das Grand Hotel selbst (das Hauptgebäude) sollte die Kapazitäten erhöhen. Ebenso die Burg. Nicht gern gesehen war die Ansiedlung eines Kaufmannserholungsheimes – die „Normalos“ sollten bitte am äußeren Rand bleiben (heutige Gartenstraße). Noch weniger gern gesehen war der Bau von Pensionen in der heutigen Kühlungsborner Straße. Der Herzog erließ Auflagen, um wenigstens optisch (und geruchsmäßig) den Schaden zu begrenzen. Protest gab es bei der Einrichtung eines Altenheimes im gescheiterten Fürstenhof und den Höhepunkt stellt die Regelung der Ausgangszeiten der Bewohner des von Vogel durchgesetzten Armenkrankenhauses (Lehrer, Pfarrer, Mediziner kurten hier 14 Tage) dar. Pöbel und Badegäste sollten sich auf keinen Fall über den Weg laufen.

Auch Zäune gab es zu jeder Zeit in großen Mengen: Fast jede Villa war vollständig eingefriedet, die Perlenkette durch einen Zaun vom Ensemble getrennt, die Burg ebenfalls durch einen Zaun bis ans Wasser heran und auch am Waldrand verlief ein Zaun bis an die Küstenkante. Zwischen Kurhaus und Grand Hotel gab es einen Zaun, zwischen Kurhaus und Orangerie, um die Cottages herum, am Damenbad, am Herrenbad – Zäune waren schon damals ein Mittel, Leute auf bestimmte Wege und von bestimmten Stellen weg zu leiten. Wer die Geschichte Heiligendamms zitiert, darf diese Tatsache nicht verschweigen: Zwischen Severin-Palais und Alexandrinencottage gab es damals mehr Barrieren, als heute: Heute „zäunt“ man nicht Nord-Süd, sondern Ost-West.

Zurück zum Gesundheitstourismus: Auch nach dem Verkauf Heiligendamms durch den Großherzog blieb Heiligendamm das „Kampen des 19. Jahrhunderts“: Sehen und gesehen werden. Und dafür wurde gewaltig erweitert. Im Dritten Reich waren es Polit-Größen, die sich die Klinke in die Hand gaben, Wirtschaftsbosse wie Ernst Heinkel hatten hier ihr Sommerhaus. Erholung war ein Aspekt, für Genesung jedoch gab es Kliniken. Das Bad wurde zum KdF-Bad und damit nichts anderes, als Prora auch werden sollte. Der Massentourismus im schnellen Wechsel ließ gar keine Gesundheitsangebote zu: Erholung, Spaß und Ablenkung waren die Prioritäten. Der Mensch sollte zufrieden sein und dem Führer folgen. Danach verdunkelt sich die Geschichte: Seekadettenschule (also absolt nichts genesungsförderndes), Reservelazarett (auch nicht wirklich Genesung, sondern eher Reparatur von Menschen) und schließlich Notunterkunft für Flüchtlinge.

Erst 1949 wurde Heiligendamm zum Gesundheitsstandort: Wer krank war und gesund werden sollte, der konnte eine Einweisung in das Sanatorium bekommen. Allerdings gab es davon viele und Heiligendamm war nur ein Sanatorium von vielen. Ein wenig besonders war es schon aber keineswegs luxuriös: Bis zu fünf Leute in einem Zimmer, Toiletten auf dem Gang, Speisesaal unten, von morgens bis nachmittags Anwendungen und 22 Uhr war Bettruhe. Es war halt eine Kurklinik. In die keiner hinein ging, der dort nicht wirklich hin gehörte. So viel zum Thema Öffentlichkeit. Öffentlich war dann wie gesagt das Sammelsorium aus befestigten und getrampelten Wegen kreuz und quer über das Klinikgelände, welches so nicht eingezäunt war, weil die Professor-Vogel-Straße und jede Menge Lieferwege hindurch führten. Die weißen Häuser waren in Wirklichkeit rußgeschwärzt und salzzerfressen – alles andere als Touristenmagneten. Die Touristen nahmen Heiligendamm auf ihren Wegen zwischen Warnemünde und Kühlungsborn mit und viele machten hier auch Urlaub. Was gern vergessen wird: Es gab eine Bungalowsiedlung nur für Mitarbeiter der Forst- und Waldwirtschaft, ein FDGB-Ferienheim und auch die meisten anderen Urlaubsstätten waren nur für bestimmte Gruppen. Es gab die Fachschule für angewandte Kunst mit der Masse an Studenten und in den Sommerferien machten hier Kinder aus der CSSR Ferien. Es gab ein Altenheim, Ärzte wohnten in den Villen und im Hinterland entstand ein Wohngebiet extra für Menschen, die in Heiligendamm direkt oder indirekt für das Sanatorium arbeiteten. Wieder waren Erweiterungen geplant: In den 1980ern sollten eine Kaufhalle, Schwimmhalle und Kurmittelhaus gebaut werden. Das scheiterte am Widerstand des Denkmalschutzes und am lieben Geld.

Denn in den 50 Jahren, in dem Heiligendamm als Gesundheitsstandort fungierte, war es ein reines Zuschussgeschäft: Zuletzt butterte das Land bis zu 200.000 DM im Jahr dazu, nur um das weiße Antlitz des Ensembles zu erhalten! Darum stand fest: Heiligendamm braucht einen finanzstarken Investor. Gesundheitswesen wurde favorisiert, es fand sich ein Investor, der ein Gesundheitshotel draus machen wollte aber keine Mitstreiter fanf, es fand sich die Dr.-Marx-Gruppe, die am Widerstand der Bevölkerung gegen die Fällung von Bäumen scheiterte und sich darum bis 1996 zurück zog und dann nur den Neubau errichtete aber nicht das Ensemble kaufte, es fand sich ein kanadischer Investor, der Promenade und Strand mit dazu nehmen und ein Hotel bauen wollte und es fand sich die FUNDUS-Gruppe mit dem Konzept, Heiligendamm zu dem zu machen, was es zweihundert Jahre lang war. Trotzdem gab es Auflagen: Es sollte ein öffentlicher Bereich für Baden und Anwendungen geschaffen werden. Das realisierte die FUNDUS-Gruppe im dafür neu errichteten Severin-Palais: Alle Angebote dort können auch ohne Zimmer einzeln oder als Paket gekauft und in Anspruch genommen werden – öffentlich, von jedermann, nur eben zum Preis eines Hotels und nicht zu Schwimmhallenpreisen. Mit ca. 30 Euro für den ganzen Tag orientiert sich das Grand Hotel dabei am NeptunSPA Warnemünde, der auch von der Öffentlichkeit gern genutzt wird. Wer weniger zahlen will, muss weiter fahren. Tatsache ist, dass kein Hotel in ganz Bad Doberan die Auflage bekommen hat, einen öffentlichen Bereich zu realisieren – nur das Grand Hotel. Und nur durch diese Möglichkeit, in Heiligendamm öffentlich drinnen zu baden und einige Grundanwendungen zu machen – und durch den von der ECH finanzierten Kurwald – erfüllt Heiligendamm überhaupt die Voraussetzungen für die Anerkennung als Seebad. Ohne diese Realisierung durch FUNDUS wäre Heiligendamm kein Ostseebad. Und als Ostseebad erfüllt es auch den Anspruch eines Gesundheits-Touristenstandortes. Nur eben anders, als von anderswo gewohnt.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert