Gäste in Raten: MV fährt Tourismus in fünf Phasen hoch
24.04.2020
Gestern einigten sich die Vertreter von Tourismus und Politik auf fünf Phasen zum Hochfahren des Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Wer erwartet hatte, dass Hotels wieder öffnen dürfen, wurde enttäuscht. Nicht einmal die Gaststätten sind in der ersten Phase dran. Stattdessen dürfen Dauercamper und Zweitwohnungsbesitzer als erstes kommen. Warum das so ist und wie es weiter geht.
Aktuelle Fallzahlen in MV
Zuerst ein paar Fakten: Mecklenburg-Vorpommern hat mit Stand heute 661 Infektionsfälle. Gegenüber dem Vortag sind das 2 Neuinfektionen und gegenüber wiederum diesem Vortag auch zwei. 92 Patienten mussten in Krankenhäusern behandelt werden, 17 Patienten von ihnen liegen noch auf der Intensivstation. 16 Infizierte sind gestorben und man schätzt, dass 519 Menschen genesen sind. Da die Genesung nicht meldepflichtig ist, kann man das nur schätzen. Die meisten Infektionen hat nach wie vor der Landkreis Vorpommern-Greifswald mit 124 Infektionen, gefolgt vom Landkreis Mecklenburgische Seenplatte mit 108 und am wenigsten Infektionen unverändert der Landkreis Ludwigslust-Parchim mit 65 und der Landkreis Rostock mit 54 Infektionen. Auf Grundlage dieser im Bundesvergleich niedrigsten Zahlen Deutschlands können Lockerungen vorgenommen werden. Zugleich werden auf der anderen Seite aber auch Maßnahmen verschärft, zum Beispiel gilt ab dem 27.04.2020 die Pflicht zur Benutzung eines Mund-Nasen-Schutzes im ÖPNV und beim Einkaufen.
Kritik an der Landesregierung
Zwar haben in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Menschen Verständnis für die Maßnahmen und registriert die Polizei nur wenige Verstöße, aber es gibt auch Stimmen die sagen, dass die Landesregierung über das Ziel hinaus geschossen ist und durch die niedrige Infektionsrate die Durchseuchung nicht mehr stattfinden kann. Würde man die Grenzen wieder öffnen, würden infizierte Menschen aus anderen Bundesländern in einem nicht ausreichend durchseuchtem Land eine Infektionswelle auslösen. Da es knapp so viele Intensivbetten, wie jetzt Infizierte im Land gibt, würde genau das eintreten, was man die ganze Zeit verhindern will.
Auch die Ministerpräsidentin selbst steht in der Kritik, denn auch beim Koalitionspartner CDU ist nicht jeder zufrieden mit der Politik der SPD-geführten Regierung. Trotz Krebserkrankung hält die Ministerpräsidentin Pressekonferenzen und Videoschalten und beantwortet im Radio Hörerfragen. Für die einen ist das mit Blick auf ihr gesundheitliches Risiko lobenswert, andere bezeichnen es als „One Woman Show“ oder sprechen vom „Königreich Schwesig“. Aber das nur am Rande. Wie geht es weiter?
Die 5 Phasen zur Rückkehr des Tourismus
Das Land hat fünf Phasen erarbeitet. Begleitet werden sollen die Lockerungen einerseits mit Aufklärung der eigenen Bevölkerung und andererseits durch eine Kampagne an die Gäste. Mit positiven Bildern soll herüber gebracht werden, dass wir uns freuen und dass der Urlaub bei uns sicher ist.
Phase 1: Dauercamper und Zweitwohnungsbesitzer dürfen kommen
Den meisten Ärger verursachten während des Lockdowns einige Zweitwohnungsbesitzer. Manche blieben illegal im Land oder flüchteten sich in ihre Zweitwohnungen an der Nord- und Ostsee. Auf der Nordseeinsel Norderney musste die Polizei anrücken, um Leute von der Insel zu holen, die sich regelrecht versteckt hatten. In Mecklenburg-Vorpommern hatte die Polizei ungefragte Mithilfe von Einheimischen. Beides ergab keine schönen Szenen.
Ab 1. Mai dürfen die Zweitwohnungsbesitzer kommen. Dazu gehören auch die Dauercamper, die hier mit einem Zweitwohnsitz gemeldet sind. Sind sie es nicht, dürfen sie nicht kommen und werden an der Landesgrenze abgewiesen.
Für die Hoteliers ist das erst einmal unverständlich: Für sie wird der wirtschaftliche Schaden mit jedem Tag der Schließung größer, die Zeit zum Geldverdienen kürzer und das Risiko der Pleite höher. Tausende Arbeitsplätze hängen daran und die Hotels zu retten, kann das Land vielleicht jetzt noch leisten, aber in Wochen oder gar Monaten nicht mehr. Private Besitzer einer Zweitwohnung haben keinen vergleichbaren wirtschaftlichen Schaden. Sofern sie die Zweitwohnung nicht vermieten, fallen nur die Kosten an, die auch anfallen würden, wenn sie mal lange Zeit krank sind und nicht in die Zweitwohnung kommen können. Außerdem können sie ihre Zweitwohnung verkaufen und von dem Geld in der Erstwohnung weiter leben. Ein Hotel kann sein Haus nicht verkaufen.
Der Gedanke hinter der Öffnung ist ein anderer: Zweitwohnungsbesitzer haben ihre eigenen Wohnungen mit Küche und Bad, versorgen sich selbst und wohnen einfach. Auch bei Dauercampern ist das der Fall. Andere Camper nutzen die Gemeinschaftseinrichtungen, wie die gemeinsame Sanitäranlage auf dem Campingplatz. Die bleiben geschlossen – es können also auch nur Dauercamper kommen, die eine eigene Sanitäranlage haben. Das sind wie gesagt die meisten. Der Gedanke ist, dass die Leute sich letztlich genauso verhalten, wie alle, die hier mit einem Erstwohnsitz wohnen. Die Zahl der Zweitwohnsitze ist auch überschaubar, da registriert: Rund 65.000 sind es in MV.
Phase 2: Öffnung von Gastronomie und Tagesangeboten
In der zweiten Stufe sollen dann die Gaststätten mit Auflagen öffnen. Dabei orientiert man sich am RKI. Auch Tagesangebote sollen öffnen dürfen, wie Bootsverleih und Fahrradverleih, aber ebenfalls mit Auflagen.
Warum man diese Phase nicht als erste nimmt, mag beim Verleih einleuchten. Erst müssen Leute kommen, die das auch nachfragen. Bei der Gastronomie leuchtet es erst auf dem zweiten Blick ein: Sie funktioniert jetzt ja auch für Einheimische mittels Lieferung oder Abholung. Das trifft aber bei Weitem nicht für alle Gaststätten zu und die Lieferungen und Selbstabholungen bilden auch ein Hindernis. Es würden viel mehr Einheimische Essen gehen, als sich jetzt Essen bringen lassen.
Phase 3: Übernachtungstourismus für Einheimische
Im dritten Schritt dürfen sich zu den Zweitwohnungsbesitzern und den Dauercampern auch alle anderen Bürger Mecklenburg-Vorpommern gesellen. Der Schweriner darf wieder auf Usedom Urlaub machen, der Rügener in Mecklenburg übernachten und so weiter. Auch hier ist das Risiko überschaubar: Die Bürger Mecklenburg-Vorpommerns können sich auch jetzt am Tage frei im Land bewegen. Es kommen halt nur noch die Übernachtungen hinzu und nachts ist die Ansteckungsgefahr niedriger als am Tage.
Phase 4: Gäste aus anderen Bundesländern
Im vierten Teil dürfen dann auch wieder alle anderen in Deutschland wohnenden Menschen in MV übernachten. Für die meisten ist das die entscheidende Phase. Aber es wird Auflagen geben. Das wird nach wie vor eine Abstandsregelung sein, das kann aber auch eine beschränkte Belegung der Hotels oder eine Beschränkung der Angebote sein. Es wird sich nach dem RKI gerichtet.
Phase 5: Tagesgäste und internationale Gäste
Im letzten Schritt sollen der Tagestourismus und der Tourismus internationaler Gäste wieder hochgefahren werden.
Dass die Gäste aus dem Ausland zum Schluss wieder nach Mecklenburg-Vorpommern dürfen, ist logisch. Einerseits reduziert man so das Infektionsrisiko, das im Moment in Deutschland geringer, als in vielen der relevanten Staaten mit Zielen in MV ist. Andererseits hat das Bundesland jährlich auch „nur“ etwa eine Million Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland bei 30 Millionen Gästen insgesamt. Im Papier des Landes ist von einer „neuen Normalität“ die Rede. Gesundheitsschutz wird also in Zukunft eine viel größere Rolle spielen, damit Pandemien gar nicht erst entstehen oder sich ausbreiten können.
Vorsicht ist besser als Rückfall
Wie lange diese Phasen im Einzelnen dauern, weiß man noch nicht. Das ist einerseits von den Infektionszahlen abhängig, andererseits auch von den Vorgaben der Bundesregierung. Auch die genauen Auflagen folgen der Dynamik der Entwicklung. Der Tourismusverband betont, dass die Maßnahmen – auch wenn sie weit hinter den Erwartungen zurück bleiben – ein Schritt in die richtige Richtung sind. Zwischen den touristischen Interessen und dem Gesundheitsschutz müsse abgewogen werden, denn ein wiederholter Rückfall wäre das absolute Aus.
Weitere Maßnahmen im Gespräch
Für vieles hat Mecklenburg-Vorpommern schon Hilfen auf den Weg gebracht. 240 Millionen Euro sind es allein im ersten Monat. Die Binnenfischer werden von der EU unterstützt und der Landesfinanzminister hofft auf Hilfen des Bundes für den Tourismus in Merkels Heimat. Im Gespräch sind auch Soforthilfen für Werften, Steuererleichterungen für Vermieter von Ferienwohnungen,
Normalisierung läuft
Diese Maßnahmen beginnen etappenweise ab nächste Woche und dazwischen kann es weitere Lockerungen oder auch neue Maßnahmen von der Bundesebene geben. In anderen Bereichen gibt es aber bereits eine Normalisierung.
Läden wieder offen
Geschäfte bis 800 qm Verkaufsfläche haben wieder geöffnet. Der große Run bleibt in MV wie erwartet aus, denn etwa die Hälfte bis drei Viertel des Umsatzes kommt durch den Tourismus in die Geschäfte. Die Läden haben also jetzt geöffnet, aber immer noch keine Einnahmen. Gaststätten müssen sich weiterhin mit Lieferdiensten (wie DOBERAN TO GO) oder Gutscheinen über Wasser halten. Mit der Aktion „Leere Stühle, leere Kassen“ (Hashtag #leerestühle) protestieren sie die zu langsamen Maßnahmen. Hingegen erleben längst gestorbene Autokinos gerade ein Comeback.
Corona-Kur in Heiligendamm
In der MEDIAN-Klinik Heiligendamm erholen sich geheilte Corona-Patienten an der See, die Uni Rostock fährt den normalen Klinikbetrieb wieder hoch und Rostock ist die erste Corona-freie Großstadt. Bauarbeiten und Strandaufspülungen laufen weiter.
Schulen öffnen teilweise
Die Schulen öffnen am Montag wieder für die Abschlussklassen und Anfang Mai dann für die Qualifikationsstufen inklusive der vierten Klasse und der Busfahrplan wird dann auch wieder auf Normalbetrieb umgestellt. Im ÖPNV herrscht Maskenpflicht. Kein Schüler soll 2020 sitzen bleiben. Die Notfallbetreuung in den KITAs wird erweitert.
Schleswig-Holstein macht es ähnlich
Auch im Nachbarland Schleswig-Holstein gibt es Lockerungen. Die beiden Nachbarn stimmen sich ab und so können auch hier ab 4. Mai die Zweitwohnungen wieder genutzt werden. Auch die Maskenpflicht und die erlaubte Sonntagsöffnung – die in Mecklenburg-Vorpommern kaum angenommen wird – gelten in Schleswig-Holstein. Ansonsten ist das Bundesland mit heute 2584 Infektionen bedeutend schlechter dran, als Mecklenburg-Vorpommern und dementsprechend handelt es auch in internen Fragen anders.
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