1879
Der Flecken Doberan versinkt durch die Autarkie des Heiligen Damms in Bedeutungslosigkeit und die Einwohnerzahl geht im Vorjahr auf 3.905 zurück. Der Großherzog will Doberan zur Stadt erheben, um dem Ort wichtige Privilegien verleihen zu können, die den Abstieg stoppen sollen. Mehrere Monate lang wird über die Einzelheiten der Erhebung Doberans zur Stadt verhandelt.
Da eines der wichtigsten Privilegien der Betrieb eines Gymnasiums ist, soll ein Progymnasium geschaffen werden, aus dem später ein Vollgymnasium hervor gehen und Schüler aus dem ganzen Umland anlocken kann. Dafür wird das Hamann’sche Haus (wegen seiner allegorischen Figuren am Giebel auch „Puppenhaus“ genannt, heute Beethovenstraße 10) zum Progymnasium umgewandelt. Im Haus werden vier Klassenzimmer, ein Konferenzzimmer, eine Bibliothek und die Rektorenwohnung eingerichtet und ein Mietvertrag über 10 Jahre vereinbart. Erster Rektor wird Wilhelm Kramer.
In der Satzung heißt es:
„Die Schule erstrebt die wissenschaftliche Bildung ihrer Zöglinge auf dem Grund des Wortes Gottes. Sie ist eine evangelisch-lutherische Schule, doch ist der Besuch derselben auch den
Knaben anderer Confession resp. Religion gestattet.“
Das zweite und höchste Privileg ist die Selbstverwaltung des Ortes. Das Salongebäude wird zum Rathaus und damit Verwaltungssitz der neuen Stadt und erhält eine aufwändig geschmückte Renaissance-Fassade.
Schließlich erhebt Großherzog Friedrich Franz II. am 1. Juli den Flecken Doberan zur Stadt.
Mit der Stadtrechts-Verleihung wird der Ort aus dem Domanium heraus gelöst und erhält eine Menge Rechte, die ihm helfen sollen, den stetigen Abschwung zu stoppen. Dazu überreicht der Regent persönlich dem neuen Rat am Morgen des Feiertages die Schenkungsurkunde und das Stadtsiegel. Er setzt Wilhelm Schmidt als Bürgermeister ein und vereidigt den Magistrat. Nach weiteren formellen Akten wird am Nachmittag groß gefeiert. An der großherzoglichen Table d’hôte nehmen erstmals 60 verdienstvolle Doberaner teil. Das neue Zählungsgebiet wird in diesem Jahr mit 4.500 Einwohnern beziffert.
Das Seebad am Heiligen Damm ist von der Stadtrechtsverleihung nicht betroffen: Der Ort ist in Privathand Baron von Kahldens. Kammerherr von Suckow plant weiterhin den Bau der katholischen Kapelle und da sein Entwurf keinen Anklang findet, hofft er, dass der Kirchenfachmann Gotthilf Ludwig Möckel einen Entwurf im modernen Stil der Neogotik vorlegen kann. Möckel trifft zielsicher den Geschmack der Zeit und der Entscheider und wird die Kapelle bauen, sowie genug Geld da ist.
Die Schriftstellerin Fanny Lewald trifft zufällig auf ihrer Reise auf das feiernde Städtchen und schildert in ihrem Buch „Vom Sund zum Posilip! Briefe aus den Jahren 1879 bis 1881“ ihre Erlebnisse und Eindrücke.